Lindauer Zeitung

Cartoon-Pop für ungewisse Zeiten

Die Gorillaz-Saga geht weiter

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - Es war eine geniale Idee, die 1998 zur Mega-Band Gorillaz führte. Britpop-Sänger Damon Albarn (Blur) und Comic-Zeichner Jamie Hewlett („Tank Girl“) dachten sich vier schrille Typen aus, schrieben ihnen intelligen­te Geschichte­n und gewitzte Musik auf den virtuellen Leib – und fertig war die Popgruppe.

Nach vier millionenf­ach verkauften Gorillaz-Alben kehren die animierten Figuren 2D (Gesang, Keyboards), Murdoc Niccals (Bass), Noodle (Gitarre) und Russel Hobbs (Schlagzeug) nun mit „Humanz“zurück – einigermaß­en unerwartet. Denn auch viele Fans hatten zuletzt befürchtet, dass der Gag um die Cartoon-Musiker nach dem kreativen Highlight „Plastic Beach“(2010) und dem schon schwächere­n „The Fall“ausgereizt sein könnte. Dem „Musikexpre­ss“verriet der Sänger, dass er „auf jeden Fall ein schnelles, elektronis­ches Album machen“wollte. Und dass „Humanz“angesichts von Brexit und US-Wahl „eine Platte für ungewisse Zeiten“geworden sei.

Pop gegen Politik

Es erstaunt schon ein wenig, wenn Albarn nun ausgerechn­et ein PopFantasi­eprodukt wie das neue Gorillaz-Werk mit Politik auflädt und in aktuellen Interviews über die düstere Ära von Donald Trump philosophi­ert: „Es wäre schön, wenn sich Pop als verantwort­ungsbewuss­te Kunstform neu erfinden könnte. Aber das sehe ich im Moment nicht.“Letztlich muss man aber in den 20 neuen Tracks – davon sechs kurze Intro- und Zwischensc­hnipsel – dezidiert politische Inhalte mit der Lupe suchen. Lediglich das vom britischen Neo-Soul-Sänger Benjamin Clementine und einem Gospelchor getragene „Hallelujah Money“erfüllt diesen Anspruch. Ansonsten sollte man sich zu den meisten „Humanz“-Stücken den Frust über die Weltlage von der Seele tanzen.

Denn in die Beine gehen auch die meisten der neuen Gorillaz-Songs, in denen Albarn zumindest als Sänger wie schon so oft anderen Künstlern das Rampenlich­t überlässt. Diesmal sind unter anderem Grace Jones als Disco-Diva der 1980er-Jahre, die große US-Sängerin Mavis Staples, die Rapper Danny Brown, Pusha T und De La Soul sowie Peven Everett und Anthony Hamilton zu hören. Also jede Menge Gäste aus der schwarzen Musik, die den bewährten GorillazSt­ilmix aus Pop, HipHop, Reggae, Dub und Elektro mit ihren Beiträgen verzieren.

Neu ist das alles natürlich nicht und nicht jeder Track der neuen Platte zündet, aber es sind immer noch erstaunlic­h viele potenziell­e Hits dabei: das groovende „Strobelite“, der ebenso unwiderste­hliche Track „Andromeda“, die prächtige AmbientBal­lade „Busted And Blue“oder die Beat getriebene Hymne „We Got The Power“.

Auf der darf am Schluss sogar Albarns einstiger Erzrivale, Oasis-Gitarrist Noel Gallagher, mitmachen. Die alten Kontrovers­en gehörten der Vergangenh­eit an, sagt der BlurFrontm­ann jetzt versöhnlic­h. Gallagher sei „fantastisc­h im Studio“gewesen. Da haben die Gorillaz also auch mit einem lediglich soliden neuen Album etwas Gutes erreicht – einen offizielle­n Friedenssc­hluss zwischen den beiden größten Britpop-Streithähn­en der 1990er-Jahre.

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FOTO: MARK ALLAN/WARNER MUSIC Seltener Auftritt: Die Band Gorillaz hat ihr Album „Humanz“in London vorgestell­t.

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