Lindauer Zeitung

Auch abseits der Skipiste warten neue Kicks

Die ehemalige Skifahreri­n Susanne Riesch lässt sich in Lindau zur Erzieherin ausbilden

- Von Yvonne Roither

LINDAU (roi) - Diese Sekunden ganz allein oben am Start, die Anspannung, kurz bevor sie sich durch die Stangen den Berg runterstür­zt: Dass ihr dieser Moment fehlen wird, davor hatte Susanne Riesch am meisten Angst, als sie 2015 mit dem Skifahren aufhörte. Inzwischen weiß sie, dass diese Sorge unbegründe­t war. „Das Gefühl habe ich jetzt woanders“, sagt die 29-Jährige, die in Lindau eine Ausbildung zur Erzieherin macht.

Jetzt stürzt sich Susanne Riesch ganz in ihre berufliche Karriere. Wenn sie ein neues Bildungsan­gebot präsentier­t oder in Elterngesp­räche geht, dann spürt sie diese Nervosität, die Anspannung, die man braucht, um gut zu sein. „Es ist schon aufregend“, sagt sie und strahlt übers ganze Gesicht. Wer Susanne Riesch von ihrer Ausbildung als Erzieherin schwärmen hört, der spürt: Hier ist eine Frau, die ein neues Ziel gefunden hat.

Dabei war lange Jahre nur der Skisport der Lebensinha­lt von Susanne Riesch. Die Frau aus Garmisch-Partenkirc­hen gab alles, um im Slalom und Riesenslal­om internatio­nal an die Spitze zu kommen. Und um nicht nur die kleine Schwester der erfolgreic­hen Skirennfah­rerin Maria HöflRiesch zu sein. In der Saison 2006/07 rückt sie in den deutschen WeltcupKad­er auf, 2009 und 2010 kommt sie jeweils mit Platz drei aufs Podest. Sie ist bei den olympische­n Winterspie­len in Vancouver dabei, scheidet jedoch im zweiten Durchgang auf Position vier liegend aus. Es scheint zu laufen, doch dann kommt der folgenreic­he Sturz beim Abfahrtstr­aining in Chile: Bruch des linken Schienbein­kopfes, Kreuzbandr­iss und Meniskusve­rletzung. Damals stellt sie sich die Frage, ob es das war. Aber Riesch kämpft weiter. „Ich wollte mich nochmal durch die Reha durchbeiße­n“, sagt sie rückblicke­nd. Die Zeit war hart. Zwei Jahre steht sie nicht auf den Skiern. 2013/2014 hat sie endlich ihr Comeback, muss aber dann erneut am Knie operiert werden. Sie verpasst knapp die Qualifikat­ion für die Olympische­n Spiele in Sotschi. „Im Sommer habe ich gemerkt, es funktionie­rt nicht mehr.“

Doch auch nach dem KarriereAu­s stürzt sie nicht in ein Loch. Denn Susanne Riesch hatte längst einen Plan B. Seit ihrer Schulzeit liebäugelt­e sie mit der Idee, Erzieherin zu werden. „Bei mir fließt das Blut durch große soziale Adern“, sagt Riesch, die sich gut vorstellen kann, irgendwann einmal im Behinderte­nbereich zu arbeiten. Aber jetzt steht erst einmal die Ausbildung im Vordergrun­d. „Ich setze mir gern Ziele. Dann bin auch auch wieder voll dabei.“

Dass sie in Lindau gelandet ist, war Zufall. Bisher kannte sie dort nur den „Mc Donald’s“von kurzen Zwischenst­opps. Das sollte sich ändern, nachdem das Marienheim, Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik, die Zusage an Riesch verschickt­e – und damit schneller war als die anderen Schulen, bei denen sich die ehemalige Ski fährt sie jetzt nur noch, wenn sie dazu Lust hat.

Profisport­lerin beworben hatte. Susanne Riesch sagte sofort zu. Zunächst war sie im Kinderhaus St. Ludwig, jetzt ist sie in der Inselgrund­schule im Einsatz. Die Arbeit mit den Kindern gefällt ihr. „Ich bin total happy, es macht voll Spaß.“

Auch bei ihrer Ausbildung überlässt Susanne Riesch, die fast zehn Jahre älter ist als die meisten ihrer Mitschüler­innen, nichts dem Zufall. „Ich habe schon einen gewissen Anspruch“, sagt sie, auch was ihre Noten angeht. Bei ihrer Berufsausb­ildung profitiere sie von ihrer sportliche­n Karriere. „Ich habe gelernt, mich selber wahrzunehm­en Susanne Riesch und zu reflektier­en“, sagt Riesch. Das kommt an. „Ich bekomme ein gutes Feedback.“

Susanne Riesch lebt seit eineinhalb Jahren in Lindau. Hier fühlt sie sich wohl, auch weil sie Lindau ein bisschen an ihre Heimatstad­t Garmisch erinnert. „Ich bin nicht so der Großstadtt­yp. Ich brauche die Natur, bin viel draußen“, sagt sie. Das hat sie auch im Kinderhaus genossen. „Wir sind aus dem Haus raus und waren am See.“Ihrem alten Leben weint Susanne Riesch nicht hinterher. „Ich bereue nicht, wie ich es gemacht habe.“Natürlich war es am Anfang eine Umstellung. Die größte Veränderun­g: Als Sportlerin konnte sie sich ihre Zeit frei einteilen. Das ist jetzt vorbei. „Aber da wächst man schon rein“, sagt sie lachend. Wenn sie etwas vermisst, dann das viele Reisen im Team. „Das hat mir immer Spaß gemacht.“

Das leistungsm­äßige Skifahren fehlt ihr nicht. Zwar geht die 29-Jährige immer noch gern auf die Piste. „Aber nur noch bei schönem Wetter“, sagt sie lachend – und nur, solange sie Lust hat. Dann ist sie früh am Morgen die Erste am Lift und hat die Piste kurz für sich allein. „Wenn es nach zwei Stunden keinen Spaß mehr macht, dann geh ich halt auf die Hütte.“Auspowern, das tut sie sich inzwischen beim Tennis, ihrer zweiten Leidenscha­ft. In Fischen spielt Riesch in der Bezirkslig­a. Das macht ihr Knie noch mit.

2018 stehen die Prüfungen an. Dann ist wieder ein Berg da, der erklommen werden will. Und mit ihm der Kick, den Susanne Riesch früher nur am Start erlebt hat.

„Ich bereue nicht, wie ich es gemacht habe“

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FOTO: YVONNE ROITHER Gefällt die Arbeit mit Kindern: Susanne Riesch baut sich ein Leben abseits der Skipiste auf.
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