Die Frau mit den großen Händen
Bei den Bregenzer Festspielen lässt Es Devlin Spielkarten durch die Luft fliegen
BREGENZ - Es Devlin hat schon vielen Stars eine Bühne bereitet: Beyoncé, U2 und Adele gehören zu ihren Kunden, ebenso die Olympischen Spiele, die sich eine spektakuläre Abschlussfeier wünschten, und die großen Opernhäuser der Welt. Die Frau, die für Covent Garden in London, die Met in New York und die Semperoper in Dresden Räume und Kulissen erdachte, will schon seit vielen Jahren nach Bregenz. „Es ist der Traum aller Bühnenbildner, hier zu arbeiten“, sagt sie.
Die Dimensionen – „dieses Riesending“– faszinieren sie, aber auch der Gedanke, dass in Bregenz das Bühnenbild nach der Aufführung nicht hinter einem Vorhang verschwindet und die Erinnerung daran schnell verblasst. Stattdessen steht die Seebühne fast zwei Jahre am Ufer, als Teil des Bregenzer Stadtbildes. „Sie ist Architektur und Kunst in einem.“Zur Zeit ragen zwei riesige Hände aus dem Wasser. Es sind die Hände von Es Devlin.
Die Bühne, die Devlin für Georges Bizets Oper „Carmen“erdacht hat, ist fast so etwas wie der Gegenentwurf zur Mauer, vor der in den vergangenen beiden Sommern Turandot zu Puccinis Musik morden ließ. Während dieses monumentale, beinahe träge Bauwerk die Spielfläche von See und Himmel abzuschirmen versuchte, hat die 45-jährige Britin Devlin eine filigrane, durchlässige Konstruktion in die Natur gesetzt: zwei Hände, dazwischen fliegende Karten, die Wasser, Horizont und Bühne verbinden. Ob sich die Hände irgendwann rühren werden, lässt sich nicht erahnen – vielleicht qualmt die Zigarette zwischen den Fingern? Dass es bewegliche Plattformen gibt, verraten die Verantwortlichen der Festspiele gerne, um die Spannung zu erhöhen. Die volle Wirkung wird Es Devlins Bühnenbild erst bei den Aufführungen entfalten. Dann erwecken Projektionen die Kulisse zum Leben: Karten werden sich drehen und abknicken – zumindest in der Illusion, deutet die Schöpferin an.
Viele Seeopern am Bodensee hat Es Devlin selbst besucht, von den anderen sah sie Videos. Der im Wasser ruhende Kopf bei André Chénier oder auch das Tosca-Auge haben sie tief beeindruckt. Devlin sieht in der Seebühne immer auch etwas Mystisches. Als Beispiel nennt sie die zerstörte Stadtlandschaft der „Westside Story“, die jeden Besucher unwillkürlich an das Schreckensszenario von 9/11 erinnerte – dabei war das Bühnenbild vor den Anschlägen von New York erdacht worden.
In den Augen von Es Devlin funktionieren in den Größenordnungen des „Spiels auf dem See“nur surreale Bilder. Sie schildert, wie sie ihre Bühnenskulptur entdeckte. Mit Regisseur Kasper Holten war sie auf der Suche nach einer Idee und hatte sich als Anregung eine Auswahl von Souvenirs vom Flughafen in Sevilla besorgt. Vor ihr lagen ein Aschenbecher mit einem Torero, eine Schüssel und ein Satz Spielkarten. Als der zündende Gedanke ausblieb, warf Es Devlin entnervt die Karten in die Luft. Das war der entscheidende Moment. „Wir beide hatten in dieser Geste etwas Besonderes gesehen“, erzählt die Bühnenbildnerin.
Die Symbolik dieser Szene kann auf dreierlei Weise gedeutet werden. Zum einen verweist sie auf eine Szene der Oper, in der Carmen mittels Kartenlegen in die Zukunft schauen möchte. Darüber hinaus greift Devlin in ihrem 24 Meter hohen Bühnenbild auch die Persönlichkeit der Protagonistin auf: „Carmen stellt sich außerhalb der Gesetze, sie wirft alle Regeln in die Luft – und schaut dann, was daraus wird.“
Die dritte Interpretation hat aktuellen Bezug: Diese Seebühne ist ein einziges Chaos. Alles fliegt auseinander, was die politisch denkende Es Devlin durchaus auch auf die Weltsituation bezieht – um zugleich zu bemerken: „Dieses Werk haben wir uns vor Trump und vor dem Brexit ausgedacht.“
Bevor die Künstler unter den Karten Mitte Juni zu proben beginnen, müssen Handwerker, Techniker und Kascheure noch an vielen Stellen Hand anlegen. Gut zu erkennen sind schon jetzt die feinen Tattoos an den Riesenhänden, der an einigen Fingern abblätternde Nagellack, das orientalische Muster, das die insgesamt 39 Karten ziert. Nicht sichtbar dagegen ist die komplexe Technik, die Bizets Musik zum Strahlen und Es Devlins Riesenhände zum Kartenspielen bringen wird.