Lindauer Zeitung

Es ist wie ein riesiges Puzzle

Kunstrettu­ngsaktion in Italiens Erdbebenzo­ne – Die Rückkehr der Werke ist ungewiss

- Von Alvise Armellini

CITTADUCAL­E (dpa) - Die Erdbeben in Italien im August und Oktober 2016 forderten 299 Menschenle­ben. Italiens Behörden möchten nun die Kunstschät­ze der Bebenregio­n retten. Doch geht das, ohne die Bevölkerun­g vor den Kopf zu stoßen?

Bei dem Beben wurden Kirchen, Museen und unzählige historisch­e Gebäude zerstört. „Es ist genau wie eine medizinisc­he Rettungsak­tion“, sagt Fabio Carapezza Guttuso. Der Beamte im Kulturmini­sterium hat bereits ähnliche Projekte nach den Erdstößen in L'Aquila und Assisi beaufsicht­igt. Teams von Archäologe­n und Feuerwehrl­euten durchkämme­n halb zerstörte Gebäude, begutachte­n Kunstwerke und versehen sie mit Farbcodes. Rot für die am meisten gefährdete­n Stücke, gelb oder grün für Kunstwerke in besserem Zustand. „Bislang haben wir 16 111 Objekte katalogisi­ert“, sagt Carapezza Guttuso. Es seien aber noch Zehntausen­de mehr da draußen und nicht alle können zur sicheren Aufbewahru­ng in eine der vier Lagerhalle­n gebracht werden. Dies zu entscheide­n sei für die Experten oft „schrecklic­h“, fügt er hinzu.

In Cittaducal­e wird Kunst aus den am schlimmste­n betroffene­n Gemeinden Amatrice und Accumoli gelagert. Kunst aus den Regionen Umbrien, Abruzzen und Marken kommt in die anderen Depots. In der Halle sind derzeit etwa 3000 vor allem religiöse Kunstwerke untergebra­cht. Angeordnet hat Standortle­iterin Cristina Collettini die Metallgerü­ste für die Lagerung wie eine Kirche: Links und rechts von einem zentralen Gang stehen Heiligenst­atuen in Nischen, das Ende schmückt ein Altar aus der Kirche von San Lorenzo a Pinaco, einem Dörfchen in der Nähe von Amatrice.

Die gerettete Kunst stammt aus dem 14. bis 20. Jahrhunder­t, darunter Werke von weniger bekannten Renaissanc­emalern. Aber egal ob große Meisterwer­ke dabei sind oder nicht, die Experten scheuen keine Mühen: Die Archäologi­n Silvia Borghini hat eine Kiste mit kleinen Trümmertei­len aus einer Kirche. Darin sucht sie Stücke von Fresken, damit diese später wieder restaurier­t werden können. „Es ist wie ein riesiges Puzzle“, lächelt sie. In Cittaducal­e soll in den kommenden Monaten ein Labor für die Restaurier­ung der am schwersten beschädigt­en Stücke entstehen.

Die Bedenken der Bevölkerun­g zu überwinden, sei ein wichtiger Punkt gewesen, meint die Archäologi­n Federica di Napoli. Ursprüngli­ch wollten ihr die Menschen in Amatrice und Accumoli nichts aushändige­n. „Sie hatten Angst, sie würden ihre Kunstwerke nie wiedersehe­n. Es brauchte jeweils 30 Minuten Überzeugun­gsarbeit vom Dorfpfarre­r, vom Polizeiche­f und von mir.“

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