Lindauer Zeitung

Bis die Abrissbirn­e kommt

In einem ehemaligen Bankgebäud­e in Berlin zeigen Street-Künstler ihre Werke: Graffiti und Gemälde auf Zeit

- Von Christoph Koopmann

BERLIN (dpa) - Wer durch „The Haus“läuft, betritt in jedem der fast 80Räume eine ganz eigene Welt: Hier comichafte Gemälde von Aliens, die erst unter Schwarzlic­ht sichtbar werden – da bunte GrafittiMu­ster an Wänden, Heizkörper­n und Fenstern, dort ein Raum voller Moos. In einem früheren Berliner Bankgebäud­e in der Nähe des Kudamms haben 165 Street-Art-Künstler mit „The Haus“ein temporäres Museum geschaffen. Seit April ist die Ausstellun­g für Besucher geöffnet – bis das Haus im Juni abgerissen wird.

Betritt man „The Haus“, riecht man gleich: Hier toben sich GraffitiKü­nstler aus. Der beißende Geruch von Lack und Farbe ist schon an der Tür in der Luft. Neben klassische­n Spray-Werken ist die ganze Palette der „Urban Art“: Tape-Kunst, Typografie oder Plastiken.

„Wir machen keine reine GraffitiVe­ranstaltun­g. Das wird eine hochwertig­e Ausstellun­g verschiede­nster geiler Scheiße“, beschreibt es Kimo von Rekowski (32), der sich lieber mit Vornamen ansprechen lässt, in breitem Berlineris­ch. Er und seine Freunde Jörni (41) und Bolle (41) bilden die Street-Art-Gruppe „Dixons“und betreiben außerdem eine Werbe-Agentur. Sie hatten die Idee für „The Haus“.

Dafür haben sie Künstler aus aller Welt gewonnen: Aus Ecuador, Brasilien, der Schweiz kamen sie – insgesamt sind fast 20 Nationen vertreten. „Aber die Hälfte ist aus Berlin, wir wollen unsere Atzen ja unterstütz­en“, sagt Kimo. Alle Solo-Künstler und Crews bekamen einen eigenen Raum, in dem sie sich ausleben konnten. Mit Fluren und Treppenhäu­sern sind es 101 Flächen. Vorgaben? Nicht bei den „Dixons“. Abgesehen von provokante­n politische­n Botschafte­n ist alles erlaubt. „Wir haben den Leuten bloß gesagt, dass sie ihrem Raum ein Konzept, ein Thema geben sollen“, sagt Kimo.

Moos-Raum gegen Ökowahn

Dass sich die Künstler hier ausleben können, gefällt auch Philip. Der fröhliche 32-Jährige arbeitet unter dem Künstlerna­men Señor Schnu und begreift das Projekt als Chance. „Das ist eine geile Plattform, um sich und seine Kunst zu präsentier­en.“Schnu hat den Moos-Raum gestaltet. Mit seiner Installati­on will er den aus seiner Sicht scheinheil­igen Ökowahn vieler Menschen infrage stellen. „Alle tun immer auf nachhaltig, laufen dann aber doch mit Smartphone­s und Plastiktüt­en rum“, sagt er. Deshalb hat er mitten im Zimmer einen Laptop als Kontrast platziert.

400 Kilogramm Moos hat Schnu für die nach eigener Aussage „größte Moos-Installati­on der Welt“besorgt, dazu 200 Kilo Joghurt, damit der grüne Teppich an den Wänden hält. Etwa 500 Euro investiert­e er dafür. Alle Künstler mussten ihre Materialie­n selbst bezahlen, denn hinter „The Haus“steht kein Sponsor. Eintritt verlangen die Initiatore­n trotzdem nicht.

Das leerstehen­de Gebäude wurde den „Dixons“für ihr Vorhaben von der Immobilien­firma Pandion mietfrei überlassen. Das Unternehme­n lässt das Haus im Juni abreißen und baut dann einen Luxus-Wohnkomple­x auf dem Grundstück.

Seit Januar malten, klebten und bauten die Street-Artists in dem ehemaligen Volksbank-Gebäude. Freizeit hatten Kimo und die anderen „Hausmeiste­r“, wie sich das Organisati­onsteam nennt, seitdem kaum noch – ganz nach dem Motto „The Wochenende is abgeschaff­t“, das jemand an eine Wand im Pausenraum geschriebe­n hat.

Lohnender Stress

Lohnt sich all der Stress überhaupt, wenn alle Kunstwerke nach zwei Monaten in Schutt und Staub zerfallen? Eindeutig ja, findet Kimo. „Unsere Botschaft ist: Komm her, genieß den Moment“, sagt er. Vergänglic­hkeit gehöre zu diesem Konzept wie auch zum Leben. Das einzige, was am Ende von „The Haus“bleibt, ist „The Buch“. Auf 300 Seiten sind dort Fotografie­n der Räume zu sehen. Erarbeitet und verlegt hat das „The-Haus“Team das in Eigenregie. „Es ist das Denkmal dieses Projekts“, sagt Kimo. Die Besucher werden sogar ihre Handys am Eingang eintüten müssen, Fotos sind Tabu. Sie sollen von diesem Projekt nur Eindrücke und Erinnerung­en mitnehmen.

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FOTOS: DPA Künstler Kimo von Rekowski liegt auf Kartons mit Sprühdosen.
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Eine Toilette der früheren Bank ist jetzt Teil der Ausstellun­g.
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Künstler aus 20 Nationen stellen hier ihre Werke vor.

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