„Ich war Nazi“
Felix Benneckenstein erzählt Schülern von seiner Zeit als Neonazi
LINDAU - Felix Benneckenstein ist ein ganz normaler junger Mann. Er kommt aus einem weltoffenen Elternhaus, hat einen Beruf, ist verheiratet und vor kurzem zum ersten Mal Vater geworden. Und doch ist sein Lebensweg nicht normal verlaufen. Denn er war Neonazi. Dazu noch einer, der kräftig in der Szene mitmischte. Wie er zum Neonazi wurde und warum er sich wieder davon abwandte – das erzählte der heute in der „Aussteigerhilfe Bayern“aktive 30-Jährige auf Einladung der Friedensräume in verschiedenen Lindauer Schulen.
„Frieden anschauen kann man nicht. Man muss sich mit ihm beschäftigen“, erklärte Andreas Briegel, stellvertretender Schulleiter der Realschule im Dreiländereck, den Zehntklässlern die Friedensräume. Die Friedensräume ermöglichen es Lindauer Schulen, Felix Benneckenstein zu sich zu holen, damit er ihnen von seinem Leben als Neonazi berichtet. Eine Art der Friedenserziehung, die den Schülern vor Augen führen soll, welche Irrungen, Unbildung und Absurditäten diesem Leben zugrunde lagen.
Bildungsmangel und Feindbilder führen ihn in die Neonazi-Szene
Absurditäten, wie solche, dass sich Benneckenstein als „Friedenskämpfer“sah, weil er Menschen einschüchterte und massiv unter Druck setzte. Oder, dass er, der seinen Bruder mit Down-Syndrom immer geliebt hat, einer Ideologie nachhing, die Menschen mit Behinderungen als „unwertes Leben“betrachtet, das vernichtet gehört. Aber, so erklärte Benneckenstein den Schülern: „Es hat viele logische Lücken in der Ideologie, die ich nicht gesehen habe.“Weil er es nicht besser wusste und weil sich Neonazis die Dinge zurechtlegen, damit sie passen.
Warum der heute 30-Jährige zum Neonazi wurde, hat verschiedene Gründe. Benneckenstein wuchs in einem weltoffenen Elternhaus auf, in dem die Eltern mit ihren vier Kindern andere Kulturen und Länder kennenlernten. Eine andere Sicht der Dinge gewann Benneckenstein allein schon dadurch, dass einer seiner Brüder mit Down-Syndrom geboren war. Die Familie zog nach Erding, einer bayrischen Kreisstadt, die nicht ganz so sauber ist, wie sie scheint. Benneckenstein kam in ein neues Umfeld. Besuchte er zuvor noch das Gymnasium, wechselte der damals Dreizehnjährige auf eigenen Wunsch auf die Hauptschule und wurde dort von einer deutsch-türkischen Freundesgruppe gemobbt. „Hier wurde der Grundstein gelegt“, sagte er und erzählte, dass er sich damals zudem in einer schwierigen Phase befunden habe, „wo ich jeden Blödsinn hinterfragt habe“, kleinere Straftaten beging, in Konflikt sowohl mit der Polizei als auch mit anderen Jugendlichen geriet.
Über Nazimusik wird er zum Rechtsradikalen
Damals baute er Feindbilder auf. Er schloss sich einer Clique an, die Nazirock hörte. „Das ist nicht nur Musik, sondern Propaganda, mit dem Ziel junge Leute mit Problemen anzusprechen.“Es gehe darum, ein Weltbild zu vermitteln: „Du, als Deutscher, wirst hier im Land schon verfolgt, nur weil du Deutscher bist. Du, als Deutscher bist in Deutschland eine Minderheit.“Typisch sei, so erklärte er weiter, dass die Neonaziideologie „Sachen, die nicht stimmen, auf die Spitze bringt. Wenn man das nicht prüft, hat man schon ein Problem.“Benneckenstein freundete sich mit der Ideologie an, machte sie sich zu eigen und hasste den Staat, Amerika, die Juden, hing Verschwörungstheorien an und wurde zum Holocaust-Leugner. Die ganze Palette eben. „Die Jugendlichen fühlen sich scheiße und werden da gefangen. Aber es ist der falscheste Weg im Leben, sich einer Ideologie anzuschließen“, sagt er rückblickend.
Er hat darüber nachgedacht, jemanden zu töten
Durch seine Lehre zum Bäcker konnte sich Benneckenstein eine eigene Wohnung leisten, die er zum Treffpunkt der Naziszene machte und von dort aus Demos und Aufmärsche organisierte und Propagandamaterial lagerte. „Das hat sich eine Zeit lang gut angefühlt. Ich habe Anerkennung gefunden.“Auch er machte Nazimusik. „Ich hatte als Kind klassische Gitarre gelernt.“Sein Album nannte er „Bock auf Freiheit“. „Das war strategisch gedacht – um die Jugend zu fangen. Zusehens radikalisierte er sich. „Es ging darum, andere Menschen zu bekämpfen und einzuschüchtern.“Er ging nach Dortmund, wo die Szene noch radikaler war als in Erding. „Ich selber habe mich niemand töten sehen, aber es war Thema“, gab er zu.
Dann lernte er Heidi kennen, seine jetzige Frau, die eigentlich Heidrun heißt. Ihre Eltern waren Nazis und erzogen sie im Sinne des Nationalsozialismus. Mit Heidi begann er, über Nazis zu lästern. Das war sein Einstieg in den Ausstieg. Denn mit den Lästereien hinterfragte er sein Lebensmodell. Dann sagte seine schwangere Freundin, sie wolle ihr Kind nicht so erziehen müssen, wie sie erzogen worden war. Trotzdem sollte es noch drei Jahre dauern, bis Benneckenstein endgültig den Neonazis den Rücken kehrte.
Heute schämt sich der Ex-Neonazi für seine Vergangenheit. Vieles kann er sich nicht verzeihen. Bei seinen ehemaligen Freunden gilt er als Verräter. Deswegen findet er es angenehmer, dass Zeitungsartikel über ihn erst dann erscheinen, wenn er längst schon wieder abgereist ist.