„Geld lässt sich mit Vinyl kaum verdienen“
Ausnahmekünstler Martin Kohlstedt über seine liebste Art, Musik zu hören, und Impulse aus Texas
Die modularen Kompositionen des experimentellen Pianisten Martin Kohlstedt lassen sich vielfältig interpretieren. Der 1988 in Thüringen geborene Musiker arbeitet sowohl mit akustischen Klavieren als auch mit elektronischen Elementen, Beats und dem Fender-Rhodes-Piano. Am 25. Mai tritt er im Zeughaus in Lindau auf. Christiane Wohlhaupter hat ihn im Vorfeld zu seinen Erlebnissen beim South by Southwest, dem Megaevent der Kreativbranche, und zu Auftragsarbeiten befragt.
Herr Kohlstedt, mit „Tag & Nacht Piano & mehr“kommen Sie nach Lindau. Was erwartet Ihre Zuhörer?
Zunächst sitzt da lediglich ein Typ am Klavier mit einer fremden, erwartungsfreudigen Menschentraube darum. Wenn alles gut geht, sitzen wir zwei Stunden später völlig aufgelöst bei einem Wein zusammen und teilen in hüllenlosester Vertrautheit unsere intimsten Gedanken, als würden wir uns schon ewig kennen. Alles was dazwischen passiert, bohrt und streichelt zugleich und steht nie wirklich fest.
„Tag“und „Nacht“sind Ihre beiden bisherigen Alben. Was folgt als Nächstes?
Die Frage bekomme ich oft zu hören. Verraten möchte ich jedoch nichts, außer vielleicht, dass in diesem Jahr ein neues Album kommt.
Ihre Titel tragen abstrakte Namen, deren Kombination aus drei Buchstaben an Flughafencodes erinnert. Der Hörer hat also allen Interpretationsspielraum. Sind alle Interpretationen Ihrer Musik gleichberechtigt?
Neben dem Interpretationsspielraum sollen diese modularen Kompositionen auch eine Art Diskussionsspielraum haben dürfen. Je nach Zeit, Raum und Moment gehen die einzelnen Stücke aufeinander ein und verformen sich – vereinigt oder sogar im Kampf. Der Gleichberechtigung kann ich mir deswegen kaum sicher sein, denn der Kontext lässt immer wieder neue Blickwinkel auf die Charaktereigenschaften meiner kleinen „Wesen“zu. Ich versuche natürlich, alle Standpunkte gleich aufzunehmen, aber auch meine Tagesform verzerrt das Ergebnis wieder und wieder. Es ist ein Teufelskreis ...
Sie sind bei South by Southwest (SXSW), dem Megaevent der Kreativbranche, in Austin, Texas, aufgetreten. Was war das für eine Atmosphäre dort?
Das SXSW ist ein gigantisches Festival, 2400 Musikacts, die in zehn Tagen an den verrücktesten Plätzen Austins ihre Musik zum Besten geben wollen. Hinzu kommen große Filmpremieren, Games und viele andere Themenbereiche, die den ganzen Salat äußerst vielseitig, aber auch sehr unübersichtlich und unkonzentriert erscheinen lassen. Ich hatte großes Glück, mein Konzert in einer Kirche platziert zu wissen, da dort der Fokus auf mein Schaffen noch am größten schien. Insgesamt also ein großer Trubel im Herz der Musikindustrie, zu der man aber auch eine gesunde Distanz wahren sollte, um seinen Weg gehen zu können. Neben einer einmalig schönen Zeit in den USA sind wohl die Erkenntnisse aus vielen Gesprächen vor Ort und der Austausch mit Partnern der eigentliche Gewinn eines solchen Unterfangens.
Welche Impulse haben Sie von der Veranstaltung mitgenommen?
Das Konzert selbst war wundervoll und gut besucht. Alle Beteiligten waren tief versunken und konnten mein 40-minütiges Showcase genießen, gerade weil es im Kontrast zum allgemein dichten SXSW-Programm als Slow Motion fungierte. Ich hatte wundervolle Gespräche im Nachhinein mit Menschen aus aller Welt und bekam sehr inspirierendes Feedback. Ein kleiner Volltreffer in meinen Augen und damit einhergehend ein schöner Startpunkt für meine Musik in einem weiteren Land.
Auf welchen interessanten Künst- ler sind Sie dort aufmerksam ge- worden?
Wer kommt mir zuerst in den Sinn? Ich durfte beispielsweise Robert Glasper, Alice Phoebe Lou und Charlie Cunningham kennenlernen, die auch ihre Showcases auf dem Festival zum Besten gaben.
Neben der ungezügelten Kreativität zählen auch Auftragsarbeiten wie Musik für Computerspiele zu Ihrem Werk. Was reizt Sie an diesen Beiträgen?
Manchmal ist es schön, nicht in der Verantwortung zu sein, eigene Entscheidungen treffen zu müssen. Versetze ich mich also spontan in die Lage eines fiktiven Charakters, kreiere mir seine Welt und die damit einhergehenden Problemfelder, entstehen meist ganz intuitiv neue musische Themen und Motive. Eine Art emphatisches Komponieren, das auch für Film und Hörspiele funktioniert.
Sie bieten Ihre Musik auf Vinyl, aber auch als MP3s an. Wie konsumieren Sie Musik am liebsten?
Vinyl ist das liebevollste Medium. Geld lässt sich damit wohl kaum verdienen. Aber ich habe das Gefühl, dass der Ansatz, bewusst eine Schallplatte von der Hülle zu befreien, die Nadel aufzulegen und dieses Gefühl zu haben, Musik in der Hand halten zu können und somit deren Wertigkeit zu spüren, viele Menschen reizt und wieder reizen wird in Zeiten der Streaming-Inflation.
Live ist Martin Kohlstedt am 25. Mai, 20 Uhr, im Zeughaus Lindau zu Gast. Karten sind im Vorverkauf erhältlich. Infos unter www.zeughaus-lindau.de.