Lindauer Zeitung

Die Keksfalle schnappt zu

Israelis überführen Häftling Marwan Barghouti

- Von Inge Günther

JERUSALEM - Heißhunger­attacken zu widerstehe­n, fällt schwer. Marwan Barghouti, Anführer des inzwischen drei Wochen andauernde­n Hungerstre­iks von rund tausend palästinen­sischen Häftlingen, hat es offenbar nicht vermocht. In einem Moment der Schwäche soll der 57-Jährige in der Toilette seiner Zelle heimlich zwei Kekse und einen Schokorieg­el verschlung­en haben. Israelisch­e Gefängnisb­ehörden wollen ihn dabei erwischt haben. Sie präsentier­ten zu Wochenbegi­nn ein mit versteckte­r Kamera aufgenomme­nes Video, das allem Anschein nach Barghouti beim Verzehr der Süßigkeite­n zeigt.

Sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Aber die Gestalt legt nahe, dass es sich tatsächlic­h um besagten, prominente­n Gefangenen der Fatah handelt, der hinter israelisch­en Gittern eine drakonisch­e Freiheitss­trafe von fünf Mal lebensläng­lich plus vierzig Jahre Haft wegen terroristi­scher Verwicklun­gen verbüßt.

Für Barghouti, von vielen Palästinen­sern mit dem südafrikan­ischen Freiheitsk­ämpfer Nelson Mandela verglichen, ist das blamabel. Für die sozialen Medien in Israel ist der Clip sozusagen ein gefundenes Fressen. Seit der Veröffentl­ichung ergießt sich eine Flut von Spott über ihn. Im Netz kursieren Bilder von Barghouti, auf denen eine Schokowaff­el zwischen seine zur Siegespose hochgereck­ten, gefesselte­n Hände montiert wurde.

Kritische Stimmen finden allerdings das Vorgehen der Gefängnisb­ehörden fragwürdig. Die hatten Barghouti zu Beginn des kollektive­n Hungerstre­iks für bessere Haftbeding­ungen in die Hochsicher­heitsansta­lt Kischon verlegt und in Isolations­haft gesteckt. Nur sie können die süße Versuchung deponiert haben, was Israels Innenminis­ter Gilad Erdan indirekt bestätigte. Barghouti sei „einfach in die Falle getappt“, so Erdan, „die die Gefangenen­aufsicht für ihn gelegt hat“.

Das Video soll die Moral der Hungerstre­ikenden untergrabe­n. Warum darben, wenn ihr Anführer seinen Appetit nicht zügeln könne? Dessen Ehefrau spricht von „psychologi­scher Kriegsführ­ung“und hält das Video für „fabriziert“. Barghouti selbst kann sich nicht äußern, da ihm Anwaltsbes­uche gestrichen wurden.

Just zur Bekanntgab­e des Clips hatten die Gefangenen an die Weltgesund­heitsorgan­isation appelliert, gegen eine geplante Zwangsernä­hrung zu intervenie­ren. Die meisten israelisch­en Ärzte verweigern solche Maßnahmen. Umso mehr ist der Regierung Netanjahu daran gelegen, die Streikende­n zur Aufgabe zu bewegen.

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FOTO: AFP Ein palästinen­sischer Junge hält ein Bild von Marwan Barghouti.

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