„Innovationen sichern Beschäftigung“
Audi-Personalvorstand Thomas Sigi über die radikalen Veränderungen in der Autoindustrie
RAVENSBURG - Für den Autobauer Audi ist es schon einmal besser gelaufen: Zwar verkaufte der Traditionskonzern aus Ingolstadt im vergangenen Jahr mit 1,87 Millionen Fahrzeuge so viele Autos wie nie zuvor, in der Rangliste der Premiumhersteller liegt Audi aber weiter hinter den Rivalen Daimler und BMW – und der Rückstand hat sich weiter vergrößert. Dazu die Ermittlungen in der Abgas-Affäre, die zu einer Aufsehen erregenden Razzia kurz vor der Jahrespressekonferenz führten. Audi-Personalvorstand Thomas Sigi ist trotzdem optimistisch für die Zukunft – und zwar deswegen weil der frühere Personalchef des Friedrichshafener Automobilzulieferers ZF seinen Blick nicht auf die aktuellen Probleme richtet, sondern auch die großen Umbrüche in der Autoindustrie. Und für die sieht er sein Unternehmen gut gerüstet. Martin Hennings und Benjamin Wagener haben den 52-Jährigen nach den Gründen für die Zuversicht gefragt.
Die Digitalisierung und die mit ihr einhergehende Automatisierung verändert zurzeit grundlegend die Arbeitsprozesse und die Produktion in der Industrie. Was bedeutet das für die Automobilbranche?
Wir erleben gerade den größten Transformationsprozess seit der Erfindung des Autos. Die gesamten Produktentstehungs-, Herstellungsund Vermarktungsprozesse verändern sich. Zuallererst wollen wir die Kundenansprüche noch besser verstehen und daraus passende Angebote im und um das Auto herum generieren. Dabei bewegen wir uns in einem sehr dynamischen Umfeld. Das gilt auch für unsere Audi-Arbeitswelt: Wissen schnell zu teilen, Zeit effizient zu nutzen und sich global zu vernetzen, kann im Wettbewerb den entscheidenden Unterschied ausmachen. In intelligenten Fabriken schaffen wir mit MenschRoboter-Kooperationen innovative, digitale und noch effizientere Produktionsprozesse.
Fallen durch die Entwicklung Stellen in der Autoindustrie weg?
Die Stellen werden sich in erster Linie verändern. Das betrifft den Entwickler ebenso wie die Fertigungsfachkraft oder den Mitarbeiter im Vertrieb und in der Beschaffung. Als Unternehmen müssen wir die Veränderungen im Blick behalten und jeden einzelnen Mitarbeiter nach seinen Bedürfnissen qualifizieren. Allein 2016 hatten wir bei Audi beispielsweise rund 13 500 Weiterbildungsseminare. Wir erwarten von unserer Mannschaft die Bereitschaft, sich für die Zukunft fit zu machen und flexibel zu sein. Im Gegenzug haben wir Ende vergangenen Jahres mit der verlängerten Jobgarantie ein klares Signal an unsere Belegschaft gesendet. Derzeit arbeiten wir an einem Zukunftspakt, der zu- sätzlich eine Beschäftigungssicherung bis weit in das nächste Jahrzehnt hinein beinhalten soll.
Werden Jobverluste durch andere Stellen, die aufgebaut werden müssen, ausgeglichen?
Wie bereits gesagt: Innovationen sichern Beschäftigung. Bei Audi holen wir in diesem Jahr beispielsweise weitere IT-Spezialisten und Experten für Elektrotechnik an Bord. Sie entwerfen innovative Kommunikationsmodelle und ganzheitliche Mobilitätskonzepte. Außerdem sind Stellen rund um die digitale Fabrik der Zukunft zu besetzen. Der Wandel der Mobilität eröffnet bei uns also sehr vielseitige Möglichkeiten.
Was wird unterm Strich herauskommen?
Unterm Strich bin ich überzeugt: Es war noch nie so spannend, bei Audi einzusteigen, wie jetzt. Die Veränderungen in der Automobilindustrie haben mit Sicherheit ein rasantes Tempo. Jeder einzelne Mitarbeiter kann umso mehr bewegen und gestalten. Als Unternehmen stehen wir ihnen mit dem passenden Rüstzeug zur Seite.
Werden Sie künftig noch genügend Fachkräfte finden? Schon jetzt streitet sich die Industriekonzerne um die talentierten Ingenieure.
Wir sind bei der Rekrutierung erfolgreich unterwegs und eine attraktive Marke. Ich bin sicher, das wird auch so bleiben. Pro Jahr gehen bei uns mehr als 100 000 Bewerbungen ein, das Aufkommen ist seit Langem stabil. Auch in den internationalen Arbeitgeber-Rankings belegen wir Top-Plätze. Damit das so bleibt, müssen wir das Ohr immer am Puls der Zeit haben, wissen, was den Mitarbeitern wichtig ist. Wir führen regelmäßige Befragungen im Konzern durch und hören hin, wo der Schuh drückt. Unternehmen dürfen auch nicht schlafen, sie müssen selbst frühzeitig für den eigenen Fachkräfte-Nachwuchs sorgen. Bei Audi haben wir beispielsweise unsere Ausbildungsplätze um zehn Prozent erhöht und ein neues Fachtraineeprogramm gestartet. Damit wollen wir insbesondere Engpassqualifikationen besetzen. Zusätzlich ist uns der Diskurs mit der Wissenschaft wichtig, um Lücken in der akademischen Ausbildung zu finden und gemeinsam zu schließen. Weltweit kooperieren wir aktuell mit 45 Hochschulen. Unser klares Ziel ist, den Wissenstransfer zwischen Forschung und Industrie intensiv zu fördern und innovative Bildungsangebote zu schneidern – für junge Talente und für unsere Mitarbeiter.
Welche Qualifikationen müssen Bewerber in Zukunft haben, um bei Ihnen zu arbeiten?
Das kann man nicht pauschal sagen. Unterschiedliche Aufgaben in einem Unternehmen erfordern unterschiedliche Herangehensweisen. Eine mechanische Ausbildung, etwa für Karosserie- und Elektronikkonstruktionen, bleibt genauso wichtig wie IT-Kenntnisse, zum Beispiel für die App-Entwicklung. Leidenschaft für die Marke sollten aber alle Bewerber mitbringen. Wir wollen Menschen, die sich ausprobieren, Mut zu ungewöhnlichen Ideen haben und aus ihren Visionen Vorsprung machen.
Gesetzt den Fall, das Auto der Zukunft fährt im Jahr 2030 vollkommen autonom und hat einen Elektromotor als Antrieb. Werden dann in Deutschland noch so viele Menschen in der Autoindustrie arbeiten wie heute?
Ich kann nicht für die gesamte Autoindustrie sprechen. Für Audi versichere ich Ihnen: Wir sind mit unserer Strategie für die Zukunft gut aufgestellt und denken bereits jetzt voraus, wen wir wann an welcher Stelle brauchen. Die Audi-Familie ist stark und jederzeit bereit, an ihren Aufgaben zu wachsen.