Armutsrisiko in Bayern gestiegen
Über den vierten bayerischen Sozialbericht gehen die Ansichten weit auseinander
MÜNCHEN (lby) - In Bayern sind statistisch gesehen immer mehr Menschen von Armut bedroht. Die Quote stieg zwischen 2010 und 2015 von 10,8 auf 11,6 Prozent. Das geht aus dem neuen Sozialbericht hervor, den das Sozialministerium am Dienstag in München vorlegte. Als armutsgefährdet gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen muss. Diese Schwelle lag laut Sozialbericht im Jahr 2015 bei 942 Euro im Monat. Nimmt man das mittlere Einkommen der Bevölkerung in Bayern als Vergleichsmaßstab, stieg die Quote sogar von 13,8 auf 15,0 Prozent.
MÜNCHEN - Am kommenden Donnerstag will Sozialministerin Emilia Müller (CSU) im Landtag den vierten bayerischen Sozialbericht erläutern. Einzelheiten daraus wurden bereits am Dienstag in München bekannt. Opposition und Staatsregierung interpretieren diese jeweils unterschiedlich.
„Die soziale Lage im Freistaat ist so gut wie nie zuvor“, sagte Sozialministerin Müller. Die Bayern könnten von guten Einkommen und Arbeitsmarktchancen wie in keinem anderen Bundesland profitieren. Sie verfügten über das höchste durchschnittliche Nettovermögen und die dritthöchsten Nettoeinkommen in Deutschland. Auch Rentner verfügten über mehr Geld als in anderen Bundesländern und die Neurenten stiegen. In keinem anderen Land werde Grundsicherung im Alter sowie Hartz IV von Ausländern in geringerem Umfang in Anspruch genommen als im Freistaat.
Die Gefahr, in Armut zu verfallen, sei laut Müller in keinem Bundesland so klein wie in Bayern. Und wenn es denn doch einmal passiere, handele es sich nicht um einen Dauerzustand, sondern um eine kurze Lebensphase. Der Anteil der Bevölkerung, der dauerhaft armutsgefährdet sei, habe sich in Bayern innerhalb von zehn Jahren mehr als halbiert. Er sei mit 2,5 Prozent der Bevölkerung weniger als halb so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
Kritik von Sozialverbänden
Für die sozialpolitische Sprecherin der SPD im Landtag ist Müllers Darstellung „schamlose Schönfärberei“und ein Zeichen satter Selbstzufriedenheit. Defizite und dringender Handlungsbedarf würden nur am Rande benannt oder ganz weggelassen. Die SPD-Politikerin verwies auf eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Studie zufolge seien 85 Prozent der Bayern der Ansicht, dass sich Beruf und Familie nicht gut miteinander vereinbaren ließen. Hinsichtlich der Betreuungsquote für Kinder hinke der Freistaat im Bundesvergleich hinterher. Probleme dieser Art würden im Sozialbericht gar nicht benannt. „Der Sozialbericht wird immer mehr zu einer ans Peinliche grenzenden Selbstdarstellung der CSU-Regierung“, kommentierte die sozialpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Kerstin Celina, das Zahlenwerk. Sozialministerin Müller vermische die sozialwissenschaftlichen Analysen gesellschaftlicher Trends und Entwicklungen mit der ausführlichen Darstellung der eigenen Maßnahmen und Konzepte. Sie lasse „die seriöse Sozialberichterstattung damit zur Farce verkommen“.
Ebenso scharf ging der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Thomas Beyer, mit Müllers Sozialbericht ins Gericht. Dieser sei ein „Dokument der Spaltung“zwischen Arm und Reich. Auch Müllers Zahlen belegten die problematischen Lebenslagen von Rentnern, Alleinerziehenden, Langzeitarbeitslosen und Zuwanderern im Freistaat, die ebenso und zum Teil sogar stärker von Armut betroffen seien als anderenorts in Deutschland.
Der Landesvorsitzende des bayerischen DGB, Matthias Jena, bescheinigte der Staatsregierung, dass es Bayern „im Ländervergleich hervorragend“gehe. Gleichwohl sei dessen Staatsregierung „auf einem Auge blind“. Die sozialen Folgen des vielerorts angespannten Wohnungsmarkts und die „wachsende Armutsgefährdung“komme im Bericht nicht vor, so Jena. 2010 seien in Bayern 10,8 Prozent der Menschen in Gefahr gewesen, ökonomisch abzurutschen, 2017 seien es 11,6 Prozent. Die Mindestsicherungsquote, so Jena, sei in den letzten sechs Jahren nach Müllers eigenen Zahlen von 4,3 auf 5,2 Prozent gestiegen.
So fehlten im Freistaat etwa 50 000 Sozialwohnungen. Die staatliche Förderung von 1500 Wohnungen pro Jahr sei „nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein“, so der DGB-Chef. Es bringe überdies den Rentnern nichts, wenn die Sozialministerin ihnen erzähle, dass jeder Rentnerhaushalt über ein durchschnittliches Vermögen von 70 000 Euro und Immobilien im Wert von 145 000 Euro verfüge, wenn die Lebensrealität vieler Pensionisten ganz anders aussehe.