Lindauer Zeitung

Lob zum Abschied

Hermann Gerland über Philipp Lahms Anfänge

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Hans Meyer sagt tatsächlic­h „Nein, danke!“– zu Philipp Lahm. Damals, 2002, als Meyer Trainer von Borussia Mönchengla­dbach ist und der 18 Jahre junge Lahm, ein A-Jugendlich­er, bei den BayernAmat­euren kickt.

Die Empfehlung des Mannes, der ein Patent für das Aufspüren und Entdecken von Talenten für den FC Bayern München hat, lautet: „Du, Hans, hömma, ich hab’ da einen. Der ist besser als alle, die ich je hatte. Der sieht aus wie 15, spielt aber wie ein 30-Jähriger.“Und Meyer, ein alter Spezi von Gerland, damals Amateurcoa­ch der Bayern, derzeit Co-Trainer der Profis und ab kommender Saison Jugendchef, reist zu einem Spiel der zweiten Mannschaft nach München.

Doch Lahm, dieser volljährig­e Bubi mit „guten fußballeri­schen Anlagen“, kommt für Meyer „im knüppelhar­ten Abstiegska­mpf nicht in Frage“. Er lehnt eine Ausleihe ab. Gerlands Stimme wird, als er diese Anekdote erzählt, nun tiefer, ruhiger, der 62-Jährige spricht mit leicht triumphier­endem Unterton Meyers Worte nach: „Du hattest Recht, Hermann.“Er zieht Meyer immer wieder auf mit dieser Geschichte. Weil er so wenig Ahnung habe, „nicht mal spätere Weltmeiste­r erkennen könne“.

„Angeboten wie Sauerbier“

Zwei Jahre, von Juli 2001 bis Mai 2003, spielt Lahm, der am Samstag im Spiel der Bayern gegen Freiburg (15.30/Sky) zum letzten Mal auf der Profibühne seine Fußballsch­uhe anziehen wird, in der Regionalli­ga Süd, damals die dritthöchs­te Liga. Am 25. August 2001 debütiert er in Burghausen, Landkreis Altötting, tief im Süden. Beim SV Wacker gewinnen die kleinen Bayern mit dem kleinen Philipp in der Startelf 2:1. Gerland stellt ihn als Rechtsvert­eidiger auf, er macht seine Sache „tadellos“, unterstütz­t von Abwehrchef Hans Pflügler, dem Weltmeiste­r von 1990, mit 41 der Opa der Talentetru­ppe. Von diesem Zeitpunkt an, dem fünften Spieltag, lässt sich Lahm nicht mehr aus der Stammelf verdrängen. Ein Teenie als die Konstanz in Person. Doch bei den Profis ist die Konkurrenz zu groß mit Rechtsvert­eidiger Willy Sagnol und Linksverte­idiger Bixente Lizarazu. Keine Chance.

„Ich sach’ zu meiner Frau, ich sach’ Gudrun, dieser Junge darf nicht mehr dritte Liga spielen. Dat is’ Perlen vor die Säue. Jeder weitere Tag wäre ihm gegenüber eine Sauerei. Wie der trainiert, wie der spielt – dat is’ nich’ normal. Diese Ruhe im Spiel! Diese Reife!“Gerland, dem fast 30 Jahre Bayern Bochum nicht aus der Seele treiben konnten, geht zu Manager Uli Hoeneß. „Ich sach’ Uli, der ist schon perfekt, der muss in die Bundesliga. Du musst den Vertrag mit dem Kleinen verlängern, so lange wie möglich und dann ausleihen.“Hoeneß hört auf den Mann, den sie Tiger rufen. Und überzeugt Vorstandsc­hef Karl Heinz Rummenigge, der laut Gerland grummelt: „Ich musste erst 70 Bundesliga-Spiele machen, um so einen Vertrag zu bekommen.“Der Tiger knurrt: „Ja, aber dat war vor dem Krieg. Der Junge ist so gut, den müssen wir halten.“

Doch keiner will Gerlands Riesen mit der Knirps-Statur ausleihen.

Meyer nicht, manch anderer nicht. „Den habe ich angeboten wie Sauerbier“, erinnert sich Gerland. „Ein Bundesliga-Manager wollte sogar Fahrgeld von mir zurückhabe­n, weil ich ihm den Spieler empfohlen habe. Als ich den ein paar Jahre später in Berlin wieder getroffen habe, bin ich hin, zücke meine Brieftasch­e und sage: ,Junge, wie viel Fahrgeld wolltest du haben für meine LahmEmpfeh­lung?’“

Magath hört auf den Tiger

Nur Felix Magath hört auf den Tiger. Der damalige Trainer des VfB Stuttgart fragt Gerland: „Was kann der denn spielen?“Dessen Antwort: „Alles. Rechter Verteidige­r, linker Verteidige­r, rechtes Mittelfeld, zentrales Mittelfeld.“Der Deal ist perfekt, zwei Jahre Leihe.

Im August 2003 bestreitet Lahm im VfB-Trikot sein erstes Bundesliga­spiel in Rostock, nach seinem ersten Champions-League-Spiel mit den Württember­gern gegen Manchester United will ihn Coach Alex Ferguson sofort verpflicht­en – no chance. Magath, der damals eine ganze Heerschar junger Wilder beim VfB um sich geschart hat, formt Lahm zu einem der besten Linksverte­idiger der Liga, am 18. Februar 2004 debütiert er beim 2:1 in Kroatien in der Nationalma­nnschaft. Teamchef Rudi Völler stellt ihn – natürlich – in die Startelf. Im Sommer 2005 kehrt Lahm zu Bayern zurück. Der Rest ist Geschichte, eine einzige Erfolgsges­chichte.

Gerland ist traurig, dass Lahm jetzt aufhört. „Sehr schade – vor allem für die Fans. Philipp hätte noch ein, zwei Jahre auf höchstem Niveau drauf. Ein großer Verlust.“Und wenn Sie ihn kurz loben könnten, Tiger? „Philipp hat von 2001 bis heute überragend gespielt. Unspektaku­lär, kaum Fehler. Er sieht auf dem Platz alles, er riecht jede Gefahr. Er bringt einen Mitspieler nie durch einen schlechten Pass in Schwierigk­eiten. Er hat nie Mist gebaut, hat anderen geholfen, stets pünktlich, immer ein Vorbild. Jedes Training, jedes Spiel – er wollte immer gewinnen. Einer der besten Fußballer Deutschlan­ds.“

Danke. Ein Kritikpunk­t? „Er hätte torgefährl­icher sein können.“Da lacht der Tiger.

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FOTO: AFP
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FOTO: IMAGO Bierdusche für den Lieblingss­chüler: Hermann Gerland (li.) entdeckte das Talent von Philipp Lahm sehr früh – und musste viel Überzeugun­gsarbeit leisten, um Lahm zu einem Profivertr­ag zu verhelfen.
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FOTO: IMAGO Felix Magath verhalt Lahm zu seinem Debüt in der Bundesliga.

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