Subtil geht anders
„Phädras Nacht“von Albert Ostermaier und Martin Kusej am Bayerischen Staatsschauspiel
MÜNCHEN - Einen Mythos ins Heute holen will Intendant Martin Kusej an seinem Bayerischen Staatsschauspiel mit „Phädras Nacht“. Zusammen mit dem Schriftsteller Albert Ostermaier hat er einen Theaterabend entwickelt, der zwischen antiker Tragödie und plakativem Aufklärungstheater oszilliert. Im Mittelpunkt steht eine Bibiana Beglau, die als Phädra die tragische Heroine gibt und sich mit ihrer ganzen Körperlichkeit schonungslos dem Publikum ausliefert. Das reagiert zwiespältig auf dieses Exerzitium über die Verrohung durch Krieg und den Hass auf alles Fremde.
Der Stoff ist alt, sehr alt: Viele antike Autoren haben die Geschichte der Phädra erzählt: Wie sie sich, enttäuscht von der Untreue ihres Mannes Theseus, ihrem Stiefsohn Hippolytos zuwendet, zurückgewiesen wird und ihn aus Rache der Vergewaltigung bezichtigt. Theseus tötet ihn, Phädra legt Hand an sich.
Zu verschiedenen Zeiten haben sich Dichter mit diesem Mythos beschäftigt, ihn für ihre Zeit adaptiert, von Racine bis Sarah Kane, nun also das Duo Ostermaier-Kusej. Bei ihnen kämpft Theseus als General in Afghanistan und sendet vor seiner Heimkehr schon mal seinen afghanischen Übersetzer als Boten voraus. Der Heerführer will den jungen Hippolyt schützen und bittet Phädra, sich um ihn zu kümmern. Das macht sie dann auch, aber nicht so, wie man sich das von einer Pflegemutter vorstellt. Sie will diese Liebe erzwingen und schäumt, als sie feststellt, dass Töchterchen Aricia und Hippolyt einander zugetan sind. Praktischerweise gibt es auch noch einen rechten Mob, der dann die Drecksarbeit erledigt und den Flüchtling zu Tode jagt.
Zu feiern gibt es nur die Beglau
Bibiana Beglau bekommt Verse von archaischer Wucht in den Mund gelegt, aber ebenso muss sie zwischendrin ordinär fluchen: „Hau ab, du Pisser“trifft auf Oden der Kälte des Herzens. Jeder Auftritt dieser Körperschauspielerin ist große Oper. Als Megäre rutscht, stolpert, gleitet sie in ihren goldenen Cowboystiefeln über die Bühne. Die ist übrigens übersät mit Eisschollen, weswegen die Herrrschaften in den ersten Reihen Decken ausgeteilt bekommen. Klar, die Seelen der Menschen sind vereist. Wir hätten es nicht kapiert?! Das Bühnenbild von Annette Murschetz ist symptomatisch für dieses Theater: plakativ und eindimensional.
Es gibt die Guten – Hippolytos (Nils Strunk) und Aricia (Pauline Fusban) – und die Bösen. Theseus ist bei Aurel Manthei ein Prolet im Tarnanzug, der mit einer posttraumatischen Belastungsstörung aus dem Krieg zurückkommt. Und der Arzt Asklepios (Thomas Gräßle) versorgt nicht nur Phädra mit Drogen. Aus seinem Fremdenhass und seiner Sympathie für die rechten Mörder macht er kein Hehl. Und den Krieg braucht er, damit er weiter mit Drogen dealen kann. Puhh. Manche „Tatort“-Folge ist subtiler als dieser Theaterabend. Nach mehr als zwei pausenlosen Stunden verließen viele Besucher kopfschüttelnd das Haus. Der Rest feierte Bibiana Beglau.