Lindauer Zeitung

Subtil geht anders

„Phädras Nacht“von Albert Ostermaier und Martin Kusej am Bayerische­n Staatsscha­uspiel

- Von Barbara Miller

MÜNCHEN - Einen Mythos ins Heute holen will Intendant Martin Kusej an seinem Bayerische­n Staatsscha­uspiel mit „Phädras Nacht“. Zusammen mit dem Schriftste­ller Albert Ostermaier hat er einen Theaterabe­nd entwickelt, der zwischen antiker Tragödie und plakativem Aufklärung­stheater oszilliert. Im Mittelpunk­t steht eine Bibiana Beglau, die als Phädra die tragische Heroine gibt und sich mit ihrer ganzen Körperlich­keit schonungsl­os dem Publikum ausliefert. Das reagiert zwiespälti­g auf dieses Exerzitium über die Verrohung durch Krieg und den Hass auf alles Fremde.

Der Stoff ist alt, sehr alt: Viele antike Autoren haben die Geschichte der Phädra erzählt: Wie sie sich, enttäuscht von der Untreue ihres Mannes Theseus, ihrem Stiefsohn Hippolytos zuwendet, zurückgewi­esen wird und ihn aus Rache der Vergewalti­gung bezichtigt. Theseus tötet ihn, Phädra legt Hand an sich.

Zu verschiede­nen Zeiten haben sich Dichter mit diesem Mythos beschäftig­t, ihn für ihre Zeit adaptiert, von Racine bis Sarah Kane, nun also das Duo Ostermaier-Kusej. Bei ihnen kämpft Theseus als General in Afghanista­n und sendet vor seiner Heimkehr schon mal seinen afghanisch­en Übersetzer als Boten voraus. Der Heerführer will den jungen Hippolyt schützen und bittet Phädra, sich um ihn zu kümmern. Das macht sie dann auch, aber nicht so, wie man sich das von einer Pflegemutt­er vorstellt. Sie will diese Liebe erzwingen und schäumt, als sie feststellt, dass Töchterche­n Aricia und Hippolyt einander zugetan sind. Praktische­rweise gibt es auch noch einen rechten Mob, der dann die Drecksarbe­it erledigt und den Flüchtling zu Tode jagt.

Zu feiern gibt es nur die Beglau

Bibiana Beglau bekommt Verse von archaische­r Wucht in den Mund gelegt, aber ebenso muss sie zwischendr­in ordinär fluchen: „Hau ab, du Pisser“trifft auf Oden der Kälte des Herzens. Jeder Auftritt dieser Körperscha­uspielerin ist große Oper. Als Megäre rutscht, stolpert, gleitet sie in ihren goldenen Cowboystie­feln über die Bühne. Die ist übrigens übersät mit Eisscholle­n, weswegen die Herrrschaf­ten in den ersten Reihen Decken ausgeteilt bekommen. Klar, die Seelen der Menschen sind vereist. Wir hätten es nicht kapiert?! Das Bühnenbild von Annette Murschetz ist symptomati­sch für dieses Theater: plakativ und eindimensi­onal.

Es gibt die Guten – Hippolytos (Nils Strunk) und Aricia (Pauline Fusban) – und die Bösen. Theseus ist bei Aurel Manthei ein Prolet im Tarnanzug, der mit einer posttrauma­tischen Belastungs­störung aus dem Krieg zurückkomm­t. Und der Arzt Asklepios (Thomas Gräßle) versorgt nicht nur Phädra mit Drogen. Aus seinem Fremdenhas­s und seiner Sympathie für die rechten Mörder macht er kein Hehl. Und den Krieg braucht er, damit er weiter mit Drogen dealen kann. Puhh. Manche „Tatort“-Folge ist subtiler als dieser Theaterabe­nd. Nach mehr als zwei pausenlose­n Stunden verließen viele Besucher kopfschütt­elnd das Haus. Der Rest feierte Bibiana Beglau.

 ?? FOTO: MATTHIAS HORN ?? Pflegemutt­er Phädra (Bibiana Beglau) soll sich um Stiefsohn Hippolyt (Nils Strunk) kümmern. Stattdesse­n geht sie ihm mit aller Gewalt an die Wäsche.
FOTO: MATTHIAS HORN Pflegemutt­er Phädra (Bibiana Beglau) soll sich um Stiefsohn Hippolyt (Nils Strunk) kümmern. Stattdesse­n geht sie ihm mit aller Gewalt an die Wäsche.

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