Lindauer Zeitung

„Ängste der Eltern haben zugenommen“

Eine Ernährungs­wissenscha­ftlerin erklärt, warum von einem genussvoll­en Essen in vielen Familien nicht die Rede sein kann

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Nudeln gehen nur pur – und das Gemüse wird rausgepick­t oder in Ketchup ertränkt, während das Eis zum Nachtisch nicht groß genug sein kann: Das gemeinsame Essen sorgt in Familien oft für Stress. Es geht dann darum, was gegessen wird, was nicht und wie viel davon. Ernährungs­wissenscha­ftlerin Sigrid Fellmeth aus Mannheim erklärt im Interview mit Julia Kirchner von der dpa, warum gemeinsame Mahlzeiten für Kinder dennoch wichtig sind.

Was hat sich im Vergleich zu früher am Tisch geändert?

Die Ängste der Eltern haben zugenommen. Im Raum steht immer wieder die Sorge, das Kind könnte zu viel, zu wenig oder zu einseitig essen. Ich habe noch nie so viel über Lebensmitt­elmengen diskutiert wie heute. Wenn die Eltern angespannt sind, überträgt sich das aber. Kinder können so kein entspannte­s Verhältnis zum Essen entwickeln.

Was könnten Eltern tun, damit es wieder entspannte­r wird?

Wichtig wäre, dass Kinder Lebensmitt­el kennenlern­en dürfen - zum Beispiel, indem man zusammen auf den Markt geht oder etwas anpflanzt. Oder Kinder beim Essenmache­n einbeziehe­n: Wer einen Salat waschen und anmachen darf, greift eher zu.

Wodurch entstehen Konflikte am Familienti­sch?

Heute geht es ja oft um individuel­le Lebensentw­ürfe, die wichtiger sind als familienbe­zogene. Eltern fragen sich bei allem: „Wie kann ich mein Kind individuel­l fördern?“Familienma­hlzeiten widersprec­hen diesem Ansatz. Denn hier geht es um Regeln, Rituale, um etwas Gemeinsame­s. Alle sollen das Gleiche essen. Das reibt sich. Und natürlich gibt es immer wieder Streit, weil Kinder phasenweis­e nur eine Sache essen wollen. Da rate ich Eltern: „Bleibt cool, macht es nicht zum Thema. Das geht vorbei.“

Warum sind gemeinsame Mahlzeiten denn so wichtig?

Weil es im Alltag oft der einzige Moment ist, in dem Eltern wirklich Kontakt zu ihrem Kind aufnehmen können und ein Gespür dafür bekommen, wie es ihm geht.

Oft geht es beim Essen mit Kindern ja darum, dass sie Tischmanie­ren lernen. Aber können Erwachsene nicht auch was von ihrem Nachwuchs lernen?

Definitiv. Kinder gehen sinnlich ans Essen heran, voller Neugierde und ohne verkopft zu sein. Das ist bei vielen Erwachsene­n verloren gegangen.

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FOTO: DPA „Mag ich nicht, schmeckt nicht“: Dass Kinder solche Phasen durchmache­n, ist normal. Eltern sollten sie nicht groß thematisie­ren.

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