Shaolin-Mönche bringen „Qi“auf den Gitz
Meditation zwischen Wohnwagen und Zelten
LINDAU - Die beiden Frauen haben ihre Waschbeutel unter den Arm geklemmt und sind auf dem Weg zur Morgentoilette. Ihr Gespräch bricht ab, als zwei Männer an ihnen vorbeilaufen. Sie sehen aus, wie die Helden, die man aus Kung-Fu-Filmen kennt: kurz rasierte Haare, orangefarbener Kimono, der mit einem Gürtel zusammengehalten wird. Ein Hauch von Fernost weht über den Campingplatz Gitzenweiler Hof in Lindau.
Die Chinesen machen keinen Urlaub. Sie sind in geschäftlicher Mission unterwegs. Zehn Tage sind Großmeister Zheng und sein Schüler Li auf dem Gitzenweiler Hof, um gestressten Menschen den Weg zu innerer Gelassenheit zu zeigen. Über Tai-Chi, Qigong und Shaolin-Massagen wollen sie ihren Schützlingen den Weg in eine entschleunigte Welt zeigen.
Den Kontakt stellte Jörg Schilling, Geschäftsmann aus Wasserburg, her. „Bei einer Reise durch China war ich auch in dem berühmten Xinquan Shaolinkloster in Henan“, erzählt er. Dort lernte er Großmeister Zheng kennen, einen ehemaligen Klostermönch, der inzwischen am Fuße des Klosters eine eigene Kung-Fu-Schule hat. Als Schilling der Chefin des Gitzenweiler Hofs von der Idee erzählt, die Mönche auf ihren Campingplatz zu holen, ist sie gleich dabei. Als Beraterin für chinesische Campingplatzbetreiber ist Heidrun Müller das Reich der Mitte vertraut. Die beiden machen sich an die Organisation der „Shaolin-Tage am Bodensee“und bieten ein Wochenseminar und Tagessenminare an.
Als der Tag für Großmeister Zheng beginnt, liegt der Campingplatz noch im Dornröschenschlaf. In dem komfortablen „Varia-Home“, in dem er und sein Schüler untergebracht sind, macht er die ersten Übungen. „Ich stehe jeden Tag um 5 Uhr auf und trainiere“, sagt der 41-Jährige. Zuhause übt er mit 60 Kindern und Jugendlichen, bis spät in den Abend unterrichtet er Kung-Fu, Thai Chi und Qigong und übt mit ihnen die Kunst des Meditierens. Hier am Gitz ist er erst einmal für sich. Denn für die Frauen und Männer, die er hier unterrichtet, beginnt das Training erst um 8.30 Uhr. Die Kursteilnehmer könnten unterschiedlicher nicht sein: Durchtrainierte sind genauso dabei wie Übergewichtige, Menschen mit spiritueller Erfahrung und solche, die einfach mal etwas Neues ausprobieren wollten.
Aufeinandergestapelte Biertische mit Blümchen-Tischdecke sind an den Rand geschoben. Die Spielecke zeigt Bastelarbeiten der Campingplatz-Kinder. An Asien erinnert hier nichts bis auf den Tee, den Heidrun Müller selber ansetzt. Da nicht alle eigene Yogamatten haben, werden Gartenauflagen und Schaffelle ausgerollt. Der Tag beginnt langsam. Zu chinesischen Klängen dehnen sich die Kursteilnehmer und wärmen sich auf. Schon hier wird klar: Was auch immer der Meister macht, er macht es ganz. Er reibt sich das Ohr mit einer Ausdauer und Hingabe, die Ungeduldige nervös macht. Er klopft sich sein Bein so lange und intensiv, dass man darauf wartet, dass es endlich weitergeht. Doch Zheng ist ganz versunken in seinem Tun und lehrt damit – gerade den Ungeduldigeren – eine wichtige Lektion: im Hier und Jetzt zu sein.
Gemeinsames Meditieren: 30 Minuten im Yogasitz - wer Zheng und Li sieht, der denkt, es gäbe nichts Bequemeres und Entspannteres. Und so ist es vermutlich auch, wenn man ganz in eine andere Welt abtauchen kann. Aber auch die Kursteilnehmer wirken entspannt. Niemand versucht, heimlich eine bequemere Position einzunehmen, niemand macht die Augen auf, und wenn ihnen die Beine eingeschlafen sein sollten, so überspielen es alle gut. Nichts stört diesen gemeinsamen Moment der Ruhe – bis ein Handy klingelt. Es dauert, bis sich der Besitzer zuständig fühlt: Es gehört dem Großmeister persönlich. Und jetzt huscht auch dem eher ernsten Mann ein Lächeln übers Gesicht. Großmeister Zheng zu der schnelllebigen westlichen Welt
„Jeder kann es lernen“
Dass die Uhren hier anders gehen, weiß Zheng, der acht Jahre als Mönch im Kloster gelebt hat. „Ich spüre es schon daran, wie die Leute hier Auto fahren“, sagt er. Aber ihm selbst mache die Hektik nicht viel aus. Er war schon in ganz Europa unterwegs, um die Shaolin-Kultur zu vermitteln. Früher habe er im Kloster sein Können für sich behalten. Nun spüre er aber, dass auch die Menschen im Westen dieses Können brauchen. Er möchte ihnen daher helfen, „ihr inneres Gleichgewicht zu finden und ihre Beweglichkeit zu fördern“, sagt der Mann, der schon als Fünfjähriger mit Kung-Fu begann. Seine Botschaft macht Hoffnung: „Jeder kann es lernen“, sagt er. Wer
„Ich spüre es schon daran, wie die Leute hier Auto fahren.“
bessere Voraussetzungen hat, lernt es eben schneller.
Ipek Vossen ist die ganze Woche dabei. „Ich wollte schon immer zu den Shaolin und jetzt kommen die zu uns“, sagt die Wasserburger Kosmetikerin. Sie hat noch nie Tai-Chi gemacht, als Reiki-Meisterin kennt sie sich aber mit Energieströmen aus. Konzentriert geht sie die verschiedenen Übungen an, die der Meister und sein Schüler lehren. Und merkt, dass die acht Brokate des Qigong noch ganz gut gehen, die fließenden Bewegungen des Tai-Chi aber mehr Übung brauchen. „Du musst erst den Ablauf können, dann kannst Du die Bewegung fühlen.“
Gemeinsam stützen sie den Himmel mit den Händen, spannen den Bogen und schießen auf den Adler und schauen hinter sich. Sie versuchen, die Energie fließen zu lassen, richtig ein- und auszuatmen. Sind voll bei der Sache und erfahren, was sie ihrem Körper dabei Gutes tun. Die Kommunikation ist nicht immer einfach, auch wenn eine Übersetzerin dabei ist.
Und so wissen die Schüler manchmal nicht so genau, wie sie es besser machen können. Doch der Blick des Meisters verrät, wenn er nicht zufrieden ist.
Isabelle Schellhorn lässt sich davon nicht stressen. Die junge Frau aus Baindt genießt den Tag mit ihrer Mutter und Tante. Ihre Familie ist Dauercamper auf dem Gitz. Sie weiß nicht, ob ihr die Entspannungstechniken bei ihren Kopfschmerzen helfen, aber der Tag mit den ShaolinMönchen hat ihr „sehr gut gefallen“. Ipek Vossen freut sich über viele neue Erkenntnisse und ihre Fitness: „Ich habe keinen Muskelkater.“
Das können nach dieser Woche nicht viele von sich sagen.