Nach langem Kampf: Azubi Charles darf weiter kochen
Regierung von Schwaben erteilte dem Senegalesen ein Arbeitsverbot – Nach Nachfragen der LZ geht’s plötzlich
LINDAU-AESCHACH - Für Alexandra und Michael Gerstmayr ist am letzten Maiwochenende ein Alptraum wahr geworden: Die Regierung von Schwaben hat gegen ihren senegalesischen Koch-Azubi Charles Coucovi ein sofortiges Arbeitsverbot erteilt. Der Grund: Er konnte bis zu einer vorgegebenen Frist seine Geburtsurkunde nicht vorlegen. Die Inhaber der „Villa Alwind am See“standen im Hochbetrieb plötzlich mit einem Mann weniger da. Besonders zynisch: Die Geburtsurkunde war schon in Deutschland, Charles hatte der Regierung von Schwaben neben einer Kopie sogar die Tracking-Nummer der Post vorgelegt. Gerstmayrs wehren sich, informieren verschiedene Politiker – darunter Angela Merkel persönlich – und einige Medien. Nach einigen Presseanfragen der Lindauer Zeitung erteilt die Regierung von Schwaben Charles plötzlich eine Ausbildungsduldung.
Im September sah noch alles gut aus: Das Landratsamt hatte Charles eine Arbeitserlaubnis erteilt, Anfang August war zudem das neue Integrationsgesetz in Kraft getreten (siehe Kasten). Im November 2016, zwei Monate nachdem Charles mit seiner Ausbildung zum Koch begonnen hatte, verschickte das Bundesamt für Migration (Bamf) dann den Bescheid: Charles’ Antrag auf Asyl ist abgelehnt. Er soll in den als sicher geltenden Senegal zurück.
Für Charles bricht eine Welt zusammen, lebt er doch seit Ende 2013 in Deutschland. Bereits zwei Jahre vor seiner Ausbildung hat er in der „Villa Alwind am See“als Aushilfskoch gearbeitet. „Alexandra und Michael haben viel für mich gemacht. Sie haben mir Deutsch beigebracht, mir kochen gelernt, alles für mich geklärt“, sagt er.
Ab dem Zeitpunkt als sein Asylantrag abgelehnt ist, ist nicht mehr das Lindauer Landratsamt, sondern die Regierung von Schwaben für Charles zuständig. „Man teilte uns schriftlich mit, dass Charles seine Ausbildung fortführen darf, wenn er seine Identität nachweist oder nachweisen kann, dass er sich darum bemüht“, erzählt Alexandra Gerstmayr. Als Frist dafür setzt die Regierung von Schwaben den 24. April 2017.
Für Charles ist es schwierig, an Papiere aus dem Senegal heranzukommen: Zu seiner Familie hat er keinen Kontakt mehr. Er geht zur senegalesischen Botschaft nach Berlin, versucht mehrere Male, den Bürgermeister der senegalesischen Hauptstadt Dakar zu erreichen – ohne Erfolg. Senegalesische Anwälte, die Charles anschreibt, verweigern ihre Hilfe. „Mit Unterstützung der IHK bekamen wir noch einmal einen Monat Aufschub“, erzählt Alexandra Gerstmayr.
Ein Pfarrer aus Charles Heimatort hilft schließlich: Er besorgt Charles seine Geburtsurkunde und schickt sie nach Deutschland. Am 24. Mai geht Charles mit einer Kopie seiner Geburtsurkunde und der TrackingNummer – das Original befand sich bereits im Verteilerzentrum der Post in Leipzig – zur Regierung von Schwaben nach Augsburg. Der Sachbearbeiter dort erteilt ihm sofortiges Arbeitsverbot.
Und mehr noch: Der Regierungsmitarbeiter habe Charles nicht geglaubt, dass sein Kontakt zum Senegal vollständig abgebrochen sei. Er habe verlangt, dass Charles ihn sein Mobiltelefon kontrollieren lässt. „Ich habe es ihnen nicht gegeben“, sagt Charles. Alexandra und Michael Gerstmayr macht das Verhalten des Regierungsmitarbeiters, der Charles’ Fall bearbeitet hat, wütend – zumal sie ihren Azubi dringend brauchen: „Unsere Gäste mussten am Wochenende teilweise eine Stunde auf ihr Essen warten“, erzählt Michael Gerstmayr. Er habe sogar überlegt, seinen Biergarten über das lange Vatertagswochenende ohne Charles ganz zu schließen. Mitarbeiter oder gar Auszubildende in der Branche zu finden, sei schwierig. „Wir haben unsere Azubi-Stelle vergangenes Jahr bundesweit ausgeschrieben und keine einzige Bewerbung bekommen“, erzählt Alexandra Gerstmayr.
Dass ein Mitarbeiter der Regierung von Schwaben die Mobiltelefone von Flüchtlingen kontrollieren wolle, könne er sich nicht vorstellen, sagt Karl-Heinz Meyer, Sprecher der Regierung von Schwaben, auf Anfrage der LZ. „Die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben hat dem senegalesischen Staatsangehörigen zuletzt eine Frist bis zum 24. Mai 2017 gesetzt. Die Vorlage einer TrackingNummer der Post, mit der er die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht anzeigen wollte, reicht als Identitätsnachweis nicht aus“, schreibt er. Das Bamf entscheide über die Asylanträge von Flüchtlingen unabhängig von deren Ausbildungsverhältnis. „Es passiert immer wieder, dass es automatisch zu einer Ausreiseaufforderung kommt“, erklärt Meyer. Wenn der Flüchtling dann beim Nachweis seiner Identität mitwirke, dürfe er die drei Jahre während seiner Ausbildung und die darauffolgenden zwei Jahre in Deutschland bleiben.
Der Ton der Regierung ändert sich plötzlich
Nur zwei Tage, nachdem die Lindauer Zeitung ihre Anfragen an die Regierung von Schwaben gestellt hatte, bekommt Alexandra Gerstmayr plötzlich einen Anruf. Am anderen Ende ist ein Mitarbeiter der Regierung von Schwaben. „Er sagte, man könne noch einmal über Charles Situation nachdenken“, erzählt sie. „Der Ton war plötzlich ganz anders als sonst.“Doch nachdenken möchte Alexandra Gerstmayr nicht mehr. „Ich habe gesagt, ich komme sofort mit Charles und der Geburtsurkunde, aber nur, wenn wir dann die Arbeitserlaubnis auch bekommen.“Wenige Stunden später hält Charles das Dokument in der Hand.
Für Charles war es knapp. Und er ist nicht der Einzige, der in dieser Situation ist. Erst Anfang Mai berichtete Flüchtlingshelferin Ruth Sonnenmoser aus Weißensberg in einem Leserbrief von einem afghanischen Flüchtling, der nach einem halben Jahr Ausbildung seinen Ablehnungsbescheid erhalten hat und nun am Boden zerstört sei.
„Einen Ablehnungsbescheid bekommen viele, das heißt aber nicht, dass sie wirklich abgeschoben werden“, sagt Josefine Steiger, bei der IHK Schwaben zuständig für den Bereich Ausbildung. Doch oft bedeute der Ablehnungsbescheid für die Flüchtlinge ein Arbeitsverbot. Sie rate jungen Azubis daher immer dringend, bei der Klärung ihrer Identität mitzuwirken. „Ich habe Verständnis dafür, dass man wissen möchte, wer im Land ist“, sagt sie. Dass Charles einen Arbeitsstopp bekommen hat, nur weil er eine Frist um wenige Tage überschritten hat, könne aber auch sie nicht nachvollziehen.
Die Gerstmayrs sind jetzt erst einmal glücklich. Denn Charles kann seine Ausbildung abschließen und danach zwei weitere Jahre in ihrem Betrieb arbeiten. Dann wird er aber zurück in den Senegal müssen, wie Karl-Heinz Meyer von der Regierung von Schwaben erklärt. Denn Charls’ Ablehnungsbescheid gilt noch immer.
„Es passiert immer wieder, dass es automatisch zu einer Ausreiseaufforderung kommt.“Karl-Heinz Meyer