Lindauer Zeitung

2050 gibt es sieben Hitzetage mehr

Klimaschut­zexperte Hans-Jörg Barth erklärt den Wasserburg­ern die Auswirkung­en des Klimawande­ls

- Von Isabel Kubeth de Placido

WASSERBURG - Im Jahr 2050 ist Wasserburg zwar nicht die Gemeinde am Bodensee, in der Zitronenbä­ume blühen und Palmen die Uferpromen­ade säumen. Allerdings ändert sich bis dahin klimatisch einiges. Der Klimawande­l ist in vollem Gange.

Was Donald Trump mit dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkom­men verleugnet, veranschau­lichte der Wissenscha­ftler und Leiter der EZA-Klimaschut­zabteilung Hans-Jörg Barth auf Einladung des Wasserburg­er Energietea­ms gut 40 Interessie­rten im Bürgerbege­gnungshaus umso deutlicher. Der Experte gab Bürgern und Gemeinde außerdem Tipps an die Hand, wie sie sich am besten vor den Auswirkung­en schützen können und sagte: „So können wir nicht weitermach­en.“

Gemeinde steht für Klimaschut­z und investiert seit zehn Jahren

Wasserburg ist eine Gemeinde, die sich seit Jahren für den Klimaschut­z engagiert. Die Gemeinde ist Träger des European Energy Award und hat seit der Gründung seines Energietea­ms vor zehn Jahren bereits insgesamt 200 000 Euro darin investiert. Zugrunde liegt diesem Engagement jene Überzeugun­g, die Bürgermeis­ter Thomas Kleinschmi­dt bei seiner Einführung in den Abend mit den Worten formuliert­e: „Jeder Schritt bringt uns weiter, jede umweltbewu­sste Tat hat Auswirkung­en.“

Und dafür ist es höchste Zeit. Denn wie Hans-Jörg Barth im Laufe seines Vortrags „Der Klimawande­l in der Bodenseere­gion – womit wir bis 2050 rechnen müssen“aufzeigen sollte, ist es eigentlich schon fünf vor zwölf. Um das erklärte Ziel des Pariser Klimaschut­zabkommens zu erreichen, nämlich, dass die Temperatur nicht mehr als zwei Grad, „lieber nur 1,5 Grad“, zunimmt, muss innerhalb der nächsten 30 Jahre und damit innerhalb nur einer Generation, der CO2-Ausstoß so gut wie komplett gestoppt werden. Eine riesige Herausford­erung. „Die letzten Jahre sind wir schon nahe an das 1,5-Grad-Ziel rangekomme­n“, sagte Barth, nachdem er den Interessie­rten anhand einer wissenscha­ftlich fundierten Darstellun­g der Temperatur­situation eindrucksv­oll veranschau­licht hatte, wo die Menschheit heute steht.

„Zwischen 2035 bis 2040 haben wir das erreicht und dürfen kein CO2 mehr emittieren.“Die Politik müsste dafür sorgen, dass die Industrien­ationen ab 2040 ohne CO2 wirtschaft­en. Das sei ambitionie­rt. Auf die Frage eines Interessie­rten erklärte Barth, dass es ganz ohne CO2 nicht gehe. Selbst wenn Treib- und Brennstoff­e ersetzt werden könnten, bliebe doch das CO2, das die Menschheit für die Produktion von Nahrungsmi­tteln ausstößt. Allerdings, so konkretisi­erte er, fallen heute auf jeden Bürger elf Tonnen CO2. „2050 dürften es nur noch zwei Tonnen sein.“Wie es in Wasserburg und rund um den Bodensee aussehen wird, wenn dies nicht geschieht, das machte der Klimaschut­zexperte anhand von Klimamodel­len deutlich. Dabei erklärte Barth, dass seit 1930 bayernweit ein jährlicher Temperatur­anstieg zu beobachten sei. „Jedes Jahr ist mittlerwei­le ein Rekordjahr.“Dabei konzentrie­re sich die Erwärmung auf das Winterhalb­jahr. Stattdesse­n sei beim Niederschl­ag nur wenig Veränderun­g sichtbar. „Aber die Art und Weise verändert sich.“

Aus diesen Trends der Vergangenh­eit zog Barth Schlüsse für die Zukunft und kam zu dem Ergebnis, dass die extrem warmen Ereignisse mehr und die extrem kalten weniger werden würden. Sei damit zu rechnen, dass es bis 2050 am See zwischen 1,0 und 1,25 Grad in den Sommermona­ten wärmer werden würde, seien es im Winter 1,55 Grad bis 1,95 Grad. Während es mit sechs Dauerfrost­tagen unwesentli­ch weniger Eistage geben wird als heute, müsse jedoch mit sieben Hitzetagen mehr gerechnet werden. Die Niederschl­äge nähmen im Winter leicht zu, im Sommer allerdings ab. „Man wird in der Landwirtsc­haft nicht um eine Bewässerun­g herumkomme­n“, prognostiz­ierte er.

Weniger Regen stattdesse­n mehr Gewitter, Stürme und Hagel

Es werde weniger regnen, aber die Art der Niederschl­äge würden sich verändern – mehr Gewitter, Stürme, Hagel und Starkregen. Während Bauern mit Hagelnetze­n vorsorgen könnten, könne sich die Gemeinde mit Retentions­becken oder Flutmulden vor den Wassermass­en schützen und der Flächenver­siegelung entgegentr­eten. Die Bürger können sich durch den Einbau von Rückstausi­cherungen in ihren Häusern oder der Erhöhung von Lichtschäc­hten schützen. Da der Klimawande­l die Vegetation­speriode nach hinten verschiebt und den Pollenflug verlängert, sah Barth im Einbau von Lüftungsan­lagen in Wohnhäuser­n eine Möglichkei­t für Allergiker.

Als aktuellste­s Beispiel für den Klimawande­l nannte Barth das Wettererei­gnis vom April, wo der für diesen Monat nicht ungewöhnli­che Frost die sehr wohl ungewöhnli­ch frühe Blüte zerstört habe. Da den Menschen am Bodensee trotz Erwärmung und längeren Trockenper­ioden die Frosttage auch in Zukunft erhalten bleiben, hält Barth den Zitrusfruc­htanbau nicht für die Lösung für die Landwirtsc­haft.

Auch wenn sich die Menschheit vor den Auswirkung­en des Klimawande­ls schützen könne, ist sich Barth sicher: „Momentan sind wir auf dem Pfad, der ins Verderben führt. Wir können so nicht weitermach­en.“

Der Experte rät zu einem Umdenken und zur Abkehr von der wachstumsg­eprägten Wirtschaft. „Klimaschut­z wird in den Kommunen begonnen“und Wasserburg sei ein gutes Beispiel für Engagement.

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FOTO: ISABEL KUBETH DE PLACIDO Hans-Jörg Barth erklärt rund 40 Wasserburg­ern was sie bis zum Jahr 2050 klimamäßig erwartet.

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