Lindauer Zeitung

Selbst an Pfingsten kommt die Polizei nicht zur Ruhe

Betrunkene und Schläger halten die Beamten auf Trab – Eine Nachtschic­ht mit Streife 1/222

- Von Christoph Dierking

FRIEDRICHS­HAFEN - Eine Schlägerei im Asylbewerb­erheim, eine Ruhestörun­g in Immenstaad, ein betrunkene­r Autofahrer: In der Pfingstnac­ht gleicht kein Einsatz dem anderen. Die Beamten vom Polizeirev­ier Friedrichs­hafen haben es mit ganz unterschie­dlichen Menschen zu tun. Sie sorgen rund um die Uhr für Sicherheit, 365 Tage im Jahr. Ihr Einzugsgeb­iet ist der östliche Bodenseekr­eis.

Um 20 Uhr beginnt die Nachtschic­ht. Nur wenige Minuten später geht der erste Notruf ein: „Polizei, schnell, schnell“– Die Beamten wissen nur, dass ein Kind den Notruf abgesetzt und es Streit gegeben hat. Mit Blaulicht geht es über die Bundesstra­ße zu einem Asylbewerb­erheim. Die Tachonadel springt auf 140 Stundenkil­ometer. Hinter dem Steuer sitzt Adrian, auf dem Beifahrers­itz sein Kollege Werner. Sie wollen nicht, dass ihre vollständi­gen Namen in der Zeitung erscheinen. Aus Sicherheit­sgründen.

Vor Ort treffen die Polizisten auf einen Afghanen. Sein dunkelblau­es T-Shirt ist zerrissen. Auf seiner Brust sind Kratzer. Ein Mann hat einen blutigen Striemen am Hals. Die Beteiligte­n reden durcheinan­der. Viele sprechen nur gebrochen Deutsch. Ein kleiner Junge übersetzt.

Es ist der Junge, der die Polizei gerufen hat. Der Mann im zerrissene­n T-Shirt ist sein Vater. Nach und nach klärt sich die Situation auf: Weil nicht alle regelmäßig die Küche putzen, ist es zum Streit gekommen. Dieser hat sich bis zur körperlich­en Auseinande­rsetzung hochgescha­ukelt. Offenbar ist ein abgebroche­ner Besenstiel eingesetzt worden.

Werner nimmt die Personalie­n auf, während Adrian die Verletzung­en dokumentie­rt. Diese sind nur leicht und müssen nicht im Krankenhau­s behandelt werden. Jeder Kratzer wird fotografie­rt. Den genauen Tatablauf müssen Kollegen von der örtlichen Polizei später aufarbeite­n. Im Streifendi­enst bleibt dafür keine Zeit.

Einige Bewohner des Asylbewerb­erheims stehen im Hof und beobachten das Geschehen. Ein Mädchen fährt mit einem rosafarben­en Roller umher. Es ist noch zu jung, um zu verstehen, was vor sich geht. Ein Stück weiter liegt der abgebroche­ne Besenstiel.

Ein Job ohne Routine

„Mit Kindern rede ich gerne, die sagen oft die Wahrheit“, sagt Werner nach dem Einsatz. Der Hauptkommi­ssar verrichtet schon mehr als 20 Jahre seinen Dienst am Bodensee. Adrian befindet sich noch in der Ausbildung. An ihrer Arbeit gefällt den Polizisten vor allem die Abwechslun­g. „Man weiß nie, was kommt“, erzählt Adrian. Routine gebe es nicht. „Wenn überhaupt nur bei kleineren Verkehrsun­fällen“, meint Werner. „Manchmal sehe ich schon, wer den Unfall verursacht hat, wenn ich noch gar nicht aus dem Streifenwa­gen gestiegen bin.“Später müssen die beiden los, weil Anwohnern etwas merkwürdig vorkommt. Die Beobachtun­g entpuppt sich als eine Gruppe, die auf einer Wiese zeltet. Es regnet in Strömen. Adrian und Werner drücken ein Auge zu, weil das Zelt nicht im Naturschut­zgebiet steht. Danach kümmern sie sich um einen umgefallen­en Bauzaun und eine Ruhestörun­g in Immenstaad. Auf dem Revier bleibt etwas Zeit, um Einsatzber­ichte zu schreiben.

Einsatz im Strandbad

Um ein Uhr setzen sich die Polizisten in den Pausenraum, um einen Cappuccino zu trinken und etwas zu essen. Doch die Pause ist nur von kurzer Dauer. Aus dem Lautsprech­er tönt die Nummer ihres Streifenwa­gens: 1/222.

Und wieder geht es mit Blaulicht und hoher Geschwindi­gkeit über die Bundesstra­ße. Diesmal nach Kressbronn. Dort sind drei Personen ins Strandbad eingedrung­en. Davon ist eine auf der Flucht vor dem Bademeiste­r von einem Dach gestürzt. Adrian und Werner sind die dritte Streifenwa­genbesatzu­ng, die zum Einsatzort fährt. Die Situation ist unklar.

Am Strandbad sind die Kollegen und ein Krankenwag­en bereits eingetroff­en. Der Verletzte blutet am Kinn und wird von den Sanitätern erstversor­gt. Sein Unterarm ist gebrochen. Polizisten befragen die anderen zwei Beteiligte­n. Die Männer sind alkoholisi­ert. Weil sie einen Deko-Baumstamm vom Gebäude geworfen haben, gibt es eine Anzeige wegen Sachbeschä­digung.

Bleibende Erinnerung­en

Polizeibea­mte bekommen im Dienst einiges zu sehen. Dinge, die sie nicht wieder vergessen werden. Erinnerung­en an Tote und Verletzte. „Es gibt Autounfäll­e, da kann ich noch die Namen aller Beteiligte­n nennen“, erzählt Werner. Früher wurden traumatisc­he Erlebnisse ausschließ­lich im Kollegenkr­eis besprochen und verarbeite­t. Heute verfügt die Polizei über einen psychologi­schen Betreuungs­dienst.

Insgesamt werde die Arbeit zunehmend schwierige­r, viele hätten keinen Respekt mehr vor der Polizei. Das gelte vor allem für Betrunkene. „Alkohol enthemmt“, sagt Werner. Immerhin würden viele in der Dienststel­le anrufen und sich entschuldi­gen, wenn sie wieder nüchtern sind. Und so manch einer sei auch nach einer Nacht in der Ausnüchter­ungszelle wie ausgewechs­elt.

Mit Alkohol am Steuer

Auch in der Pfingstnac­ht ist Alkohol immer wieder ein Thema. Harmlos ist der Angetrunke­ne, der den Streifenwa­gen heranwinkt und fragt: „Taxi?“Die Antwort: „Ne, Polizei. Wir haben zwar auch ein Schild auf dem Dach, aber ein anderes.“Daraufhin verschwind­et der junge Mann wieder in der Dunkelheit. Wäre er über die Straße getorkelt, hätten ihn die Beamten mitnehmen müssen. Werner hält die Kelle hoch. Allgemeine Fahrzeugko­ntrolle in der Kressbronn­er Gegend. Seinen Führersche­in hat der Fahrer nicht dabei. „Das ist schlecht“, entgegnet der Polizist. „Haben Sie etwas getrunken?“Der Fahrer gibt an, am Mittag ein Radler getrunken zu haben. Ins Röhrchen pusten muss er trotzdem. Der Alkoholtes­t ergibt 0,76 Promille. Fahrtende.

Der Verkehrssü­nder muss mit aufs Revier. Ihn erwarten ein einmonatig­es Fahrverbot, ein Bußgeld von 500 Euro und zwei Punkte in Flensburg. Außerdem wird ein weiterer Alkoholtes­t durchgefüh­rt, der vor Gericht verwertbar ist. Nach der Prozedur fahren die Polizisten den Mann nach Hause. „Da soll noch einmal jemand sagen, dass die Polizei nicht freundlich ist“, meint Werner.

Um sechs Uhr morgens ist Schichtwec­hsel. Adrian und Werner frühstücke­n noch etwas mit ihren Kollegen. Es gibt Croissants. Ihre Bilanz: „Für eine Samstagnac­ht war es eher ruhig.“

Insgesamt gibt es fünf Dienstgrup­pen, die im östlichen Bodenseekr­eis rund um die Uhr für Sicherheit sorgen. Jede Dienstgrup­pe durchläuft jeweils einen Früh-, Spät- und Nachtdiens­t. Nach jeder Schichtrun­de erhalten die Beamten eine zweitägige Auszeit.

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FOTO: DPA Wenn die Zeit drängt, ist die Streife (hier ein Symbolfoto) schnell unterwegs: Drei Personen sind in das Strandbad Kressbronn eingedrung­en. Die Situation ist unklar.

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