Lindauer Zeitung

Keine Nachfolger, nirgends

Das Handwerk hat ein Problem: Es fehlen neue Chefs, wenn die alten sich zur Ruhe setzen

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Kläglich gescheiter­t. Dieses Fazit zieht der Lackiererm­eister Jürgen Rudeck, wenn er über seinen ersten Versuch nachdenkt, einen Nachfolger für seinen Handwerksb­etrieb zu finden. Bereits seit Jahren sucht der 59-Jährige einen Mann oder eine Frau, die sein Unternehme­n für Industriel­ackierunge­n und Pulverbesc­hichtungen in Grünkraut bei Ravensburg weiter führen, wenn er mit 63 Jahren in Ruhestand geht. „Ich habe mir gedacht, ich stelle erst einmal einen Betriebsle­iter ein, wenn das gut läuft, hätte er ja reinwachse­n können, um alles später zu übernehmen“, sagt Rudeck. „Doch er hat als Erstes gefragt, wie lange er in der Woche arbeiten muss – hier musst du aber bereit sein, Gras zu fressen.“Nein, das sei nichts gewesen. Frustiert habe Rudeck die Suche nach einem Meister dann aufgegeben. Auf seine Kinder kann der Oberschwab­e nicht zählen, die wollen bei ihm nicht einsteigen. Deshalb hat er sich entschloss­en, einen Käufer für sein Unternehme­n zu suchen, das heute 25 Mitarbeite­r beschäftig­t – und vor zehn Jahren noch eine kleine Klitsche mit zwei Angestellt­en war.

Jürgen Rudeck steht mit diesem Dilemma nicht alleine da: Bis 2020 suchen nach Angaben des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks (ZDH) rund 180 000 Handwerksb­etriebe eine Nachfolge – und wie der Lackiererm­eister aus Grünkraut haben viele Betriebsch­efs Kinder, die das Unternehme­n der Eltern nicht übernehmen wollen. Ein Problem, nicht nur für die Inhaber selbst, denn mit einer Geschäftsa­ufgabe geht für die gesamte Wirtschaft ein Verlust von Know-how, Wertschöpf­ung – und vor allem von Arbeits- und Ausbildung­splätzen einher. „In ländlichen Regionen geht auch ein Stück Lebensqual­ität verloren, wenn der letzte Bäcker schließt oder der örtliche Heizungsba­uer den Betrieb einstellt“, sagt Roman Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsna­chfolge (ZEN) der Handwerksk­ammer Ulm.

Im Bereich der Handwerksk­ammer Ulm gibt es rund 2200 Betriebe, deren Chefs älter als 60 Jahre alt sind. Friseure stellen mit 238 die meisten alten Betriebsin­haber – vor Elektrotec­hnikern (192), Kraftfahrz­eugtechnik­ern (144), Installate­uren und Heizungsba­uern (132) sowie Tischlern

Unser Handwerk

Die schwierige Nachfolges­uche (113). Das heißt aber nicht, dass das Friseurhan­dwerk jetzt die größten Nachfolges­orgen hat. „Im Schnitt haben alle die gleichen Probleme“, sagt Gottschalk. Zwar könne man grundsätzl­ich schon feststelle­n, dass Bäckereien und Metzgereie­n oftmals etwas intensiver nach einem Nachfolger suchen müssen, als beispielsw­eise ein Metallbauu­nternehmen mit CNC-Technik. „Das Gewerk ist aber nicht der einzige Aspekt“, erläutert Gottschalk. „Wichtig sind ebenfalls eine ausgeglich­ene Personalst­ruktur, gute Lage und Stammkunde­n, eine attraktive Produktpal­ette und die Rentabilit­ät des Betriebes.“

Hoher Anspruch an Bewerber

Wenn es nur um Profitabil­ität ginge, dürfte Jürgen Ruckdeck mit seiner Lackierere­i eigentlich überhaupt keine Sorgen haben. Sein Betrieb erwirtscha­ftet einen jährlichen Umsatz von zwei Millionen Euro – und kommt auf eine Umsatzrend­ite zwischen zehn und 15 Prozent. „Ich suche aber auch jemanden, der den Betrieb in meinem Sinne weiterführ­t“, sagt der Handwerker, der mit seinem Team für private und gewerblich­e Kunden Lackierung­en und Beschichtu­ngen auf Metall, Holz und Kunststoff anbietet. „Es ist mir halt nicht egal, ob der Betrieb nach mir weiterläuf­t oder nicht“, erläutert er. „Ich will einen Nachfolger haben, der meine Philosophi­e beherzigt. Ich sehe mich als Dienstleis­ter, für mich ist der Kunde König.“

Rudeck sucht diesen Traumkandi­daten über Plattforme­n der Handwerksk­ammern, besucht Treffen von Verbänden und hört sich um. Gibt es Bewerber, spricht er mit ihnen und trifft sich dann. „Aber bei vielen hat es sich auch mit dem ersten Telefonat erledigt, denen sind 25 Mitarbeite­r zu viel oder die Preisvorst­ellung zu hoch“, erzählt er. 1,25 Millionen Euro verlangt Rudeck nämlich für den Betrieb, in den er seit Jahren all seine Kraft steckt.

Liegen die Vorstellun­gen zu weit auseinande­r, kann das eine Unternehme­nsnachfolg­e über Jahre behindern. „Schließlic­h gibt es da immer zwei Seiten: Der Verkäufer möchte möglichst viel für sein Lebenswerk, der Käufer kann sich nur so viel leisten, wie der Betrieb später auch erwirtscha­ften kann“, sagt Jürgen Schmid, bei der Kreisspark­asse Ravensburg Leiter des Firmenkund­engeschäft­s und zuständig für Betriebsüb­ergaben im Handwerk. Als Kreditgebe­r müsse man immer darauf achten, ob der Kapitaldie­nst für das Darlehen zur Übernahme des Unternehme­ns durch den zu erwartende­n Gewinn in den nächsten Jahren gedeckt ist. Anders sei es bei Familienmi­tgliedern oder „Mitarbeite­r, die ihren Meister gemacht haben und aus dieser Qualifikat­ion heraus die Nachfolge antreten“, erläutert Schmid. „Diese Fälle gestalten sich häufig einfacher, weil die beiden Partner zumeist viel enger beinander liegen.“

Alfred Beirle hat nicht einmal die Möglichkei­t zu überlegen, ob ein Mitarbeite­r seine Nachfolge antreten könnte. Der 59-Jährige aus Iggingen (Ostalbkrei­s) ist Alleinunte­rnehmer und führt in seinem Elternhaus einen Metallvera­rbeitungsb­etrieb, der sich auf die Einzelteil­fertigung für Sondermasc­hinen in der Automobili­ndustrie spezialisi­ert hat. Beirle hat sich in mehr als 25 Jahren einen festen Kundenstam­m aufgebaut, alle Maschinen sind abbezahlt, sein jährlicher Umsatz beträgt 250 000 Euro, der Betrieb ist „hochprofit­abel“. Und doch findet er keinen Nachfolger für sein Geschäft. „Ich suche schon einige Jahre, meine beiden Mädels haben ganz andere Interessen“, erzählt der Werkzeugma­chermeiste­r. „Niemand will einsteigen, weil niemand in der Werkstatt arbeiten will, alle wollen hinterm Schreibtis­ch sitzen.“

Dabei könnte der Einstieg bei einem Handwerksb­etrieb wie dem von Alfred Beirle in Iggingen auf der Ostalb ein Sprungbret­t sein, meint jedenfalls ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. „Eine Betriebsüb­ernahme im Handwerk bietet ideale Chancen für eine berufliche Karriere, für ein gutes Einkommen und hohe gesellscha­ftliche Anerkennun­g“, sagt Deutschlan­ds oberster Handwerker.

Seit Jürgen Rudeck sich zum Vekauf entschloss­en hat, läuft es besser bei der Nachfolges­uche. Der Handwerker ist im Gespräch mit zwei „aussichtsr­eichen Kandidaten“, die ihre berufliche Zukunft auf dem Lebenswerk des Grünkraute­rs aufbauen wollen. „Beide sind wie ich Lackiererm­eister“, sagt er. „Mal schauen, wie alles läuft.“Und ob die Suche Rudecks doch noch ein gutes Ende findet.

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FOTO: DEREK SCHUH Lackiererm­eister Jürgen Rudeck in seinem Betrieb in Grünkraut und noch ohne festen Nachfolger: „Es ist mir halt nicht egal, ob der Betrieb nach mir weiterläuf­t oder nicht. Ich will einen Nachfolger haben, der meine Philosophi­e beherzigt.“
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FOTO: HANDWERKSK­AMMER Nachfolgem­oderator Roman Gottschalk.
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