In der Höhle des Löwen
US-Regisseur Oliver Stone hat Wladimir Putin interviewt – Das gefällt nicht allen
BERLIN - Oliver Stone hat ein Porträt von Wladimir Putin gedreht. Der Regisseur von Filmen wie „Platoon“will den russischen Präsidenten nach eigener Auskunft „jenseits gängiger Klischees präsentieren“. Kritiker werfen Stone vor, Putin auf den Leim gegangen zu sein. Nun ist das Filmporträt auf Sky und 14 Tage lang im Internet zu sehen.
Die ersten Bilder sind Trickfilmbilder, eine Matrjoschka öffnet sich, eine jener Puppen, die in sich immer noch eine weitere verbergen. Das ist das Russland in den Augen des Westens: Undurchschaubar, immer neue Gesichter und Facetten zeigend, und jede von ihnen entpuppt sich nur als eine weitere Täuschung.
Das Design der Bilder ist modern und schnell, genauso wie die Musik dazu: Man sieht Schwarzweißfotografien von Putin und der Geschichte der UdSSR im 20. Jahrhundert, eingerahmt von konstruktivistischen Farbelementen in Rot, Weiß, Gold – die Anmutung ist fast sowjetisch. Dann der Kreml von innen, Oliver Stone bekommt das Mikro angesteckt, Putin, begleitet von Leibwächtern und Assistenten, tritt herein, etwas Maske noch, man sieht die Kamera. Man könnte sagen: Oliver Stone betont von Anfang an, dass dies ein Film ist, eine Inszenierung, nicht die Wirklichkeit.
Dann geht es ans Eingemachte: Es kommen Fragen nach der Demokratie in Russland, der Unterdrückung der Opposition, nach der Ukraine und dem Verhältnis zu den USA. Manchmal folgt nur ein „Njet!“, und auch sonst bietet Putin nicht immer die Antworten, die einen Demokraten befriedigen oder gar allen Staatsführern im Westen gefallen. Aber manche Erklärungen, etwa zu den demokratischen Defiziten der ukrainischen „Demokraten“und zu ihren Finanziers im Westen ist zumindest nachdenkenswert. Putin kann auch seine Sichtweise zeigen – wie es schon die Höflichkeit gebietet. Es ist das erklärte Ziel des Regisseurs, ihn zu Wort kommen zu lassen. Putin erscheint mitunter nachdenklich, witzig, charmant und, ja sympathisch. Vieles aber liegt da auch im Auge des Betrachters.
Es ist ein Film, der uns Zuschauern ungesehene Bilder zeigt und uns die Freiheit gibt, uns unser eigenes Urteil zu bilden. Ein Kniefall ist es nicht. Es ist allerdings der Verzicht darauf, nur mit vorab feststehenden (Vor-)Urteilen zu hantieren oder im Inquisitorenton den Ankläger zu spielen und sein eigenes schrecklich gutes Gewissen zur Schau zu stellen. Das hat vor ein paar Jahren Günther Jauch im ARD-Exklusiv-Interview getan.
Dazwischen zeigt Stone viel Dokumentarisches, Nachrichtenbilder, und Homestory-Passagen, Putin beim Sport. Stones Film ist aber auch eine Geschichte des Zerfalls der UdSSR und Russlands seit 1991.
Wenn dies ein Boxkampf ist, dann gewinnt Putin die ersten beiden Runden (Folgen), Stone die dritte und vierte. Wer Augen hat zu sehen, und wer hinter Stones höfliche Gesten blickt, wird erkennen, dass der Regisseur sich Putin nicht anbiedert.
Allerdings nutzt er das Gespräch auch für etwas, das nicht nur im amerikanischen Kino selten ist: zur Selbstkritik. Stones Lebensthema ist die Kritik an den USA, genauer: Er stellt den Gründungsmythos eines Landes der Freien und Gleichen der Realität amerikanischer Großmachtpolitik gegenüber.
Insofern darf man es sich mit diesem Regisseur nicht zu einfach machen. Stone ist ein hochpolitischer Künstler. Das mögen die vielen Anwälte des Mainstream nicht – erst recht nicht, weil Stone auch noch in ihrem Revier wildert und breiten Publikumserfolg hat.
Nach eigenen Gesetzen
Zwei Boxer im Ring – dieser Vergleich mit einem Boxkampf ist nicht übermäßig originell. Deswegen wird er jetzt auch von vielen Beobachtern in Amerika gezogen. Originell oder nicht, er trifft eben sehr gut: Beide bleiben in der Deckung, versuchen zunächst, nicht getroffen zu werden, und dann den einen oder anderen wohlgesetzten Hieb zu landen, eine Runde für sich zu entscheiden, zumindest nach Punkten. Und sie wollen dem Publikum einen guten Kampf liefern. Solche Boxkämpfe sind wahrscheinlich das Verbindungsglied zwischen Putin und Stone.
Oliver Stone hat sich jedenfalls immer mit den Mächtigen gemessen. Neben Spielfilmen über Richard Nixon, George W. Bush, den KennedyMord, Alexander den Großen und zuletzt Edward Snowden hat er in einem knappen Dutzend Dokumentarfilmen unter anderem Fidel Castro, Jassir Arafat, Hugo Chavez und die Volkstribune Lateinamerikas porträtiert. Putin liegt da als Thema sozusagen auf der Hand.
Weil dies vor allem Populisten und autoritäre Herrscher sind, ist Stone aber noch lange kein Diener der Mächtigen, keine Leni Riefenstahl unserer Tage. Wenn man schon mit großen Vergleichen kommen will, dann ist Stone eher schon der Godard Amerikas: Einer, der die Gesetze seines Handelns selbst definiert, nach eigenen Maßstäben gemessen werden will und wohl auch muss. Und dessen Filmemachen sich keiner Macht unterordnet. Vor allem ist Stone auch nicht naiv. Aber er hat Lust an dem Coup, Putin vor die Kamera zu bekommen.
Man sollte daher bei mancher Kritik, Häme und Abneigung, die Stones „Putin-Interviews“nicht nur von interessierter Seite und besonders in Deutschland jetzt entgegengebracht werden, auch nicht vergessen, dass es Stone immerhin gelingt, in die Höhlen der Löwen überhaupt einzudringen – für uns, sein Publikum.