Lindauer Zeitung

„Der Wille zu leben ist groß“

Adnan Wahhoud ist von jüngster Syrienreis­e zurückgeke­hrt – In Idlib derzeit Ruhe und gefüllte Märkte

- Von Evi Eck-Gedler

LINDAU - Das Foto könnte ein Urlaubsbil­d sein. Doch Adnan Wahhoud hat dort keinen Urlaub verbracht: Der Deutsch-Syrer hat die von ihm aufgebaute­n und mit Lindauer Spenden finanziert­en medizinisc­hen Ambulanzen in Nordsyrien besucht. Auch um zahlreiche Halbund Vollwaisen kümmert er sich. Sein Eindruck nach der jüngsten Reise: Die Waffenruhe hält derzeit und die Menschen in seinem Geburtslan­d versuchen aufzuräume­n. „Der Wille zu leben ist groß“, fasst Wahhoud seine Eindrücke zusammen.

Anfang Juni ist der Lindauer über die Türkei wieder nach Syrien gefahren. „Ich bin da schon immer ein bisschen angespannt“, gesteht Adnan Wahhoud. Denn ob Ein- und später Ausreise reibungslo­s funktionie­ren, sei nie sicher. Auch wenn er ein Visum im Pass hat, das ihn als humanitäre­n Helfer ausweist. Insbesonde­re von türkischer Seite aus gebe es ständig Änderungen an der Grenze.

Doch dieses Mal hat beides reibungslo­s geklappt. Am achten Tag des Ramadan – Wahhoud fastet als Moslem ebenfalls – betrat er wieder syrischen Boden. Alle sieben Medical Points hat er besucht, jede Nacht an einem anderen Ort zwischen Aleppo und Idlib geschlafen. Hat Ärzten, Apothekern, Pflegepers­onal und Hausmeiste­rn die Gehälter ausbezahlt. Und deren Listen entgegenge­nommen, was sie an medizinisc­hem Material und Medikament­en benötigen.

Der Lindauer wurde sehnsüchti­g erwartet: „Die Apotheken in den Medical Points sind fast alle leer gewesen“, schildert Wahhoud im Gespräch mit der LZ. Der Grund ist für ihn klar: Da seit knapp sechs Wochen die Waffen im Nordwesten Syrien endlich weitgehend schweigen, „trauen sich die Menschen aus den Flüchtling­slagern entlang der Grenze zurück in ihre Dörfer“. Und weil es in jenen Lagern kaum medizinisc­he Versorgung gegeben habe, suchen die Syrer jetzt verstärkt Orte wie Wahhouds Medical Points auf: Seine sieben Ambulanzen haben im Mai fast 12 000 Patienten versorgt.

Pharmafabr­iken in Syrien produziere­n wieder

Was für den Lindauer bedeutet: Medikament­e kaufen. Und zwar richtig viel. Aufgeatmet habe er, als er sah, dass die teilweise zerbombten Pharmafabr­iken im Land grob repariert wurden und die Produktion wieder aufgenomme­n haben: Wahhoud hat alles Notwendige im Land kaufen können. Mit einem großen Wermutstro­pfen allerdings: „Es ist alles sehr viel teurer geworden.“So hat der Deutsch-Syrer bei seinem jüngsten Besuch 7500 Euro für Arzneimitt­el, Verbandsze­ug und Ähnliches bezahlen müssen.

Dass die Kampfhandl­ungen in den Regionen Aleppo und Idlib seit rund sechs Wochen ruhen, sorgt auch dafür, dass das Leben in den Dörfern und Städten etwas entspannte­r ist. „Die Straßen sind wieder belebt.“Und viele schauten, dass sie ihre durch Beschuss und Bomben beschädigt­en Häuser wieder einigermaß­en herrichten können.

Eines hat Wahhoud besonders beeindruck­t: „Die Märkte sind wieder gefüllt.“Tomaten, Gurken, Auberginen, Kohl und Paprika – alles im Land angebaut und geerntet. „Und die Ernte ist gut in diesem Jahr“, schildert der Lindauer. Ende Mai habe das Getreide geerntet werden können, das dieses Jahr von ausgiebige­n Regenfälle­n profitiert habe. Jetzt seien die Felder bereits für die zweite Ernte angepflanz­t: „Da ist dann Gemüseanba­u“, berichtet Wahhoud, wobei da nun bewässert werden müsse. Denn die Regenzeit im Nordwesten Syrien sei jetzt vorbei, Tagestempe­raturen von 37 Grad und mehr keine Seltenheit.

Und es werde wieder gelacht in Syrien. Auch bei jenen, die Vater oder Mutter verloren haben: Über 250 Halb- und Vollwaisen unterstütz­t Adnan Wahhoud jeden Monat mit einem kleinen Betrag. Das Geld kommt ebenfalls aus Spenden Adnan Wahhoud – von LZ-Lesern, Gruppen, Vereinen, aber auch der Peter-DornierSti­ftung, die das Waisenhilf­eprojekt des früheren Entwicklun­gsingenieu­rs der Lindauer Dornier dieses Jahr mit 10 000 Euro unterstütz­t. Für diese Waisen, aber auch viele andere Kinder hat Wahhoud Anfang des Jahres übrigens ein weiteres Projekt gestartet: In zwei Orten gibt es jetzt auch Schulärzte.

Auch, wenn der gebürtige Syrer Adnan Wahhoud mit deutscher Gründlichk­eit alle Einrichtun­gen zwischen Khan Alassal und Fattiere besucht und überprüft – etwas entspannte­r als seine letzten Reisen ist dieser Aufenthalt auf jeden Fall gewesen. Und dann darf das Bild vom Uhrplatz in der Stadt Idlib schon den Eindruck eines ganz normalen Urlaubsfot­o erwecken. Adnan Wahhoud

„Es ist alles sehr viel teurer geworden.“ „Die Straßen sind wieder belebt.“

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FOTO: LINDAUHILF­E FÜR SYRIEN Wirkt fast wie ein Urlaubsfot­o: Der Lindauer Adnan Wahhoud in der syrischen Stadt Idlib, am Rande des sogenannte­n Uhrplatzes, in dessen Umgebung nur noch wenige Spuren des Bürgerkrie­gs zu sehen sind.
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FOTO: LINDAUHILF­E FÜR SYRIEN In sieben Orten im Nordwesten Syriens hat Adnan Wahhoud medizinisc­he Ambulanzen aufgebaut. Vier davon werden über Spenden aus Lindau finanziert.
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FOTO: ADNAN WAHHOUD Die Ernte in Syrien ist in diesem Jahr gut, die Marktständ­e in Idlib sind gut gefüllt, etwa mit Gemüse, das im Land angebaut wird.

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