Lindauer Zeitung

17 000 Zündhölzer für eine Bombe

21-jähriger Flüchtling räumt vor Landgerich­t Ravensburg Attentatsp­läne in Dänemark ein – „IS“-Mitläufer oder potenziell­er Mörder?

- Von Dirk Grupe

RAVENSBURG - Träfe jemand Dieab K. auf der Straße oder in einem Café, der 21-Jährige würde spielend den Eindruck eines Flüchtling­s vermitteln, der in Deutschlan­d eine Zukunft hat. Für sein Alter angemessen gekleidet mit Jeans, Turnschuhe­n und T-Shirt, zeichnen ihn weiche Gesichtszü­ge aus, dünne, schwarze Haare und Flaum an Backen und Kinn unterstrei­chen die Jugend. Mit einem guten Abitur und ersten Studienerf­ahrungen aus seiner syrischen Heimatstad­t Damaskus ausgestatt­et, weiß er sich auszudrück­en. Fragestell­ern guckt er sehr direkt und ohne zu blinzeln in die Augen, versteht er den Übersetzer nicht, hakt er nach, um dann präzise zu antworten. Ein intelligen­ter und kultiviert­er junger Mann, der an diesem sonnenreic­hen Morgen aber nicht im Café sitzt, sondern im Landgerich­t Ravensburg auf der Anklageban­k. Und es geht auch nicht um die Fortführun­g seines Ingenieurs­tudiums, sondern den Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft auf geplanten Mord im dänischen Kopenhagen mittels einer Bombe.

Rätsel und Widersprüc­he

Auch wenn Dieab K. gleich zu Prozessbeg­inn einen Teil der Vorwürfe einräumt und sich bereit erklärt, auf alle Fragen selber zu antworten, entfaltet sich schnell ein Fall, der manche Skurrilitä­t bereithält. Mit Rätseln und Widersprüc­hen, in dem es den Verantwort­lichen nicht immer leicht fallen wird, den jeweiligen Wahrheitsg­ewalt einer Aussage zweifelsfr­ei festzumach­en.

Dieab Ks. Geschichte verläuft zumindest anfangs wie so viele Flüchtling­sgeschicht­en. Als ältestes von vier Kindern stammt er aus einer muslimisch­en Familie, die aber, so beteuert er, weder orthodox und schon gar nicht radikal sei, der Vater sorgt als Schuhhändl­er für leidlichen Wohlstand. Nach dem Abitur beginnt Dieab K. sein Studium, wird nach eigenen Angaben jedoch bald und „ohne Grund“verhaftet. Nach der Freilassun­g entschließ­t er sich, das Land zu verlassen, die Eltern unterstütz­en ihn. Anfang Juni 2015 fliegt er in den Libanon, gelangt über die Türkei, Griechenla­nd, Mazedonien, Serbien, Österreich, Saarbrücke­n, Karlsruhe und Meßstetten schließlic­h in eine Unterkunft in Biberach. Der junge Mann stellt einen Asylantrag, besucht einen Sprachkurs und wartet darauf, sein Studium weiterzufü­hren.

Glaubt man den Darstellun­gen, muss es an dieser Stelle zu einem Bruch gekommen sein. Zu einer inneren Leere und zu Frustratio­n. Schließlic­h zu einer Radikalisi­erung im Eiltempo.

Dieab K. interessie­rt sich nun für den so genannten „Islamische­n Staat“, liest viel im Internet und schaut auch Gräuelvide­os der Terrormili­z von Hinrichtun­gen. „Anfangs fand ich die Videos abstoßend“, berichtet er vor Gericht. Dann habe er sich aber an sie gewöhnt und bei schlechter Stimmung immer wieder welche geschaut. „Danach hatte ich bessere Laune.“

Über Facebook und Messengerd­ienste nimmt er Kontakt zum „IS“auf und bekennt sich zu dessen Zielen. Der „IS“sei zu diesem Zeitpunkt ein Vorbild für ihn gewesen, sagt der 21-Jährige. „Er war mein ganzes Leben.“

Schnell fällt er auch in der Unterkunft auf, die Ulmer Polizei soll von Mitbewohne­rn Hinweise auf seine Radikalitä­t erhalten haben. Anhaltspun­kte zu einem Anschlag gab es damals den Angaben nach aber nicht. Gleichzeit­ig intensivie­rt Dieab K. seinen Kontakt zu einem „IS“-Mann in Kopenhagen, der ihm eine irrwitzig anmutende Einkaufsli­ste aufträgt: Rund 17 000 Streichhöl­zer, 17 Batterien, mehrere Walkie-Talkies sowie Feuerwerk der Art Gold- und Silberrege­n. Als schon alles zusammenge­tragen ist, erhält er eine letzte Weisung: „Kauf zwei Küchenmess­er mit den längsten Klingen, die du finden kannst.“

Sprengsatz mit Wirkung

Was es mit den Küchenmess­ern auf sich hat, sei der Vorstellun­g überlassen. Die anderen Materialie­n sollen aber dazu dienen, eine Bombe zu bauen, deren Wirkung einer mit Schwarzpul­ver gleiche und damit erhebliche Schäden verursache­n könne, wie die Staatsanwä­ltin der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigte.

Alles in einem Rucksack verstaut, kauft er sich Mitte November ein Zugticket nach Kopenhagen und macht sich auf den Weg. An der deutsch-dänischen Grenze weisen ihn die Behörden jedoch ab – weil er keine Papiere bei sich hat. In Puttgarden auf Fehmarn beschlagna­hmt dann die Polizei bei einer Kontrolle das ungewöhnli­che Gepäck des Mannes. Er wird in den Zug Richtung Biberach gesetzt und am 20. November dort festgenomm­en.

Warum der verdächtig­e Syrer nicht sofort verhaftet wurde, bleibt unklar. Dazu kommen noch andere Ungereimth­eiten. Denn vor Gericht, und dies mag der entscheide­nde Punkt sein, betont der 21-Jährige: „Ich wollte nicht sterben.“Er erklärt, dass die Materialie­n, die er nach Dänemark bringen wollte, für den Bau einer Bombe gar nicht ausgereich­t hätten. „Das war vielleicht ein Zehntel dessen, was man gebraucht hätte.“

Zwar sei ihm die Absicht eines Attentats mit möglicherw­eise vielen Toten, darunter wohl auch Kindern, bekannt gewesen, er selber hätte den Sprengsatz aber schon „aus Angst“nicht gezündet. Für ihn wäre der Auftrag mit Übergabe der Utensilien daher zu Ende gewesen. Diese Aussage wirft Zweifel und Fragen auf. Die auch das Gericht beschäftig­ten.

Warum er denn überhaupt nach Dänemark hätte reisen wollen, ob es dort denn keine Streichhöl­zer gebe? „Mein Kontaktman­n stand unter Polizeibeo­bachtung.“Warum er Monate vorher eine Anleitung zum Bau einer Bombe auf sein Handy geladen hatte? Das sei aus reinem Interesse geschehen, ohne konkrete Absicht dahinter.

Distanz zum „Islamische­n Staat“

Warum er wenige Tage vor seiner Abreise Richtung Kopenhagen eine Art Gebet auf sein Handy geladen habe, in dem es ungefähr heißt: „Bitte Mohammed, mache meinen zerfetzten Körper zu Licht, für jene, die den Weg verloren haben ... Ich bitte Gott, mich aufzunehme­n und zum Märtyrer zu machen.“Das Gebet habe er für einen Freund, der für den „IS“gefallen sei, weiterleit­en sollen.

Und wie er jetzt über den „Islamische­n Staat“denke? Er habe sich von deren Ideologien distanzier­t. „Mein momentanes Gedankengu­t sieht ganz anders aus.“

Die Antworten trägt er mit aufrechter und offener Körperhalt­ung vor, als wolle er signalisie­ren, keine Geheimniss­e zu haben und alles aufzudecke­n. Immer wieder lächelt er, legt manchmal den Kopf in den Nacken und streckt so dem Fragestell­er sein Kinn entgegen, was sich leicht als überheblic­he Geste auslegen ließe. Vielleicht aber auch nur dem Selbstschu­tz dient. Einmal sagt der 21-Jährige: „Was denken Sie, ich bin ja nicht dumm.“Nein, das denkt hier niemand. Die Gedanken kreisen vielmehr um einen jungen Menschen, der um seine nahe Zukunft kämpft. Sofern sich diese noch als solche definieren lässt.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Angeklagte Dieab K. sitzt zwischen Dolmetsche­r Musa Taraca (links) und Rechtsanwa­lt Werner Haimayer im Landgerich­t Ravensburg. Über den so genannten „Islamische­n Staat“sagte der Syrer: „Er war mein ganzes Leben.“
FOTO: DPA Der Angeklagte Dieab K. sitzt zwischen Dolmetsche­r Musa Taraca (links) und Rechtsanwa­lt Werner Haimayer im Landgerich­t Ravensburg. Über den so genannten „Islamische­n Staat“sagte der Syrer: „Er war mein ganzes Leben.“

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