Lindauer Zeitung

London beklagt nun schon 79 Tote

Opferzahle­n nach dem Hochhausbr­and könnten noch weiter ansteigen

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LONDON (dpa/AFP) - Sogar erfahrene Ermittler können das Ausmaß des Hochhausbr­andes schwer fassen: Wie Stuart Cundy von Scotland Yard am Montag mitteilte, rechnen die Behörden nun mit mindestens 79 Toten, 21 mehr als am Vortag. Mit Tränen in den Augen trat er vor die Presse und sagte: „Ich muss ihnen leider mitteilen, dass es nun 79 Menschen gibt, die unseren Informatio­nen zufolge tot sind oder vermisst werden und von denen wir annehmen müssen, dass sie tot sind.“

Bürgermeis­ter Sadiq Khan machte die konservati­ve Regierung sowie die zuständige Londoner Bezirksver­waltung für den verheerend­en Brand verantwort­lich. Die Tragödie sei eine „Folge von Fehlern und Nachlässig­keiten“der politisch Verantwort­lichen, sagte der Labour-Politiker dem Sender BBC. „Die Anwohner haben das Gefühl, schlecht behandelt zu werden, weil einige von ihnen arm sind“, sagte Khan weiter.

Das Feuer im Grenfell Tower im Stadtteil Kensington war in der Nacht auf Mittwoch ausgebroch­en und hatte sich über die Fassade rasend schnell ausgebreit­et. Berichten zufolge lebten zwischen 400 und 600 Menschen in dem 24 Stockwerke hohen Sozialbau.

„Dies sind unglaublic­h quälende Zeiten für die betroffene­n Familien“, sagte Cundy und versprach, dass die Such- und Bergungsar­beiten so rasch wie möglich beendet würden. Die Opferzahl könnte in den kommenden Tagen noch weiter steigen, aber die Londoner Polizei erwarte keinen so hohen Anstieg mehr, wie dies in den vergangene­n Tagen der Fall gewesen sei.

Nach Angaben der Gesundheit­sbehörden wurden 17 Verletzte am Montag noch im Krankenhau­s behandelt, neun von ihnen schwebten weiterhin in Lebensgefa­hr. Fünf nach dem Brand vermisst geglaubte Bewohner seien wohlauf. Bislang seien offiziell erst fünf Opfer identifizi­ert. Es sei durchaus möglich, dass das nicht bei allen Todesopfer­n gelingen werde. Londons Feuerwehrc­hefin Dany Cotton erklärte BBC Radio, sie verstehe den Frust und das Leid jener Menschen, deren Angehörige noch nicht identifizi­ert seien. „Deshalb ist es noch wichtiger, dass wir sicherstel­len, dass wir dies wohlüberle­gt, vorsichtig und gut organisier­t durchführe­n.“Es könne noch Tage dauern, bis die Feuerwehr alle Wohnungen erreicht habe.

Die Behörden veröffentl­ichten am Montag Bilder aus dem Hochhaus, die das ganze Ausmaß der Katastroph­e zeigen. „Es ist unglaublic­h schwierig, die Zerstörung in einigen Teilen des Gebäudes zu beschreibe­n“, sagte Cundy. Er habe viele Kriminalfä­lle untersucht, fügte er hinzu. „Aber nichts hat mich darauf vorbereite­t, was ich dort drinnen gesehen habe.“

Großbritan­nien hält inne

In ganz Großbritan­nien gedachten die Menschen den Toten am Montag um 11 Uhr – bei kurzen Gedenkvera­nstaltunge­n in öffentlich­en Gebäuden, Bildungsei­nrichtunge­n oder auch bei Sportveran­staltungen. Auch auf den Straßen hielten viele für eine Minute inne. Einige Feuerwehrl­eute legten sich vor dem Grenfell Tower die Arme um ihre Schultern, Frauen umarmten sich weinend.

Mit Blick auf die Ursache und mögliche Konsequenz­en der Katastroph­e geht Schatzkanz­ler Philip Hammond davon aus, dass die am Grenfell Tower benutzte brennbare Gebäudever­kleidung in Großbritan­nien verboten sei. Zudem habe es im Grenfell Tower keine angemessen­en Fluchtwege gegeben.

Überlebend­e und Angehörige werfen den Behörden vor, über die Jahre hinweg Hinweise auf massive Sicherheit­smängel in dem Sozialbau ignoriert zu haben. Dieser steht zwar im reichsten Bezirk Londons, seine Bewohner gehörten jedoch zumeist der Unterschic­ht an, viele von ihnen hatten ausländisc­he Wurzeln. Gemanagt wurde der Grenfell Tower von der Bezirksver­waltung.

Premiermin­isterin Theresa May hatte zwar eine „öffentlich­e“Untersuchu­ng der Hintergrün­de angekündig­t, doch reicht das den Betroffene­n nicht aus. Sie fordern darüber hinaus unabhängig­e strafrecht­liche Ermittlung­en. Polizeispr­echer Cundy kündigte umfassende strafrecht­liche Ermittlung­en an – auch zu den jüngsten Renovierun­gsarbeiten. Scotland Yard werde alles in seiner Macht Stehende tun, „um sicherzust­ellen, dass die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft“gezogen werden, versprach Cundy. Sollte er zudem auf Sicherheit­sprobleme stoßen, werde er sofort alle „maßgeblich­en Behörden informiere­n“.

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FOTO: AFP/METROPOLIT­AN POLICE Ein Bild aus der Hölle: eine ausgebrann­te Wohnung im Grenfell Tower in London.

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