Lindauer Zeitung

Ruf nach Reform

Eine Initiative fordert das Ende des Pflichtzöl­ibats: Eine Diskussion um verheirate­te Männer als Priester – und um Frauen

- Von Anja Reichert

TETTNANG - Wolfgang Kramer hat einst das Wilhelmsst­ift in Tübingen besucht. Sein Traum war es, Priester zu werden. „Aber ich wusste, ich kann das nicht. Zum zölibatäre­n Leben fühlte ich mich nicht berufen“, sagt er. „Ich war dann einer der ersten Pastoralre­ferenten, die es überhaupt gab.“Heute ist der 68-Jährige offiziell im Ruhestand, bezeichnet sich als „leidenscha­ftlichen Seelsorger“und widmet sich noch immer der Kirche, respektvol­l und kritikfreu­dig. Heute kämpft er für eine Sache, die ihm selbst verwehrt blieb: Dass verheirate­te Männer zu Priestern geweiht werden.

Die Pflicht zur Ehelosigke­it und Enthaltsam­keit für katholisch­e Priester ist eine der umstritten­sten Regeln in der katholisch­en Kirche. Nur Priester dürfen die Messe feiern, Beichte hören und die Krankensal­bung spenden. Damit soll Schluss sein – viele Kirchengem­einden der Diözese Rottenburg-Stuttgart schlagen Alarm: Sie bangen wegen hoher Austrittsz­ahlen, Mangel an Personal um Einschränk­ungen in der Seelsorge. Gerade die sonntäglic­he Eucharisti­efeier am Ort, Quelle und Höhepunkt christlich­en Lebens, kann immer weniger gewährleis­tet werden. Als Ausweg sehen sie das Ende des Pflichtzöl­ibats.

In vielen Kirchen liegen Unterschri­ftenlisten aus, Pfarrer predigen über den Aufruf, Kirchengem­einderäte verfassen Stellungna­hmen. „Uns sind Seelsorgee­inheiten bekannt, in denen der Priester für sieben Gemeinden zuständig ist. So kann keine Seelsorge stattfinde­n – und wie soll dieser Priester seine Gemeindemi­tglieder angemessen betreuen?“, fragt der katholisch­e Kirchengem­einderat der Stadt Tettnang in einer Stellungna­hme, die die Initiative „pro concilio“im Juli Bischof Gebhard Fürst mit weiteren Stellungna­hmen und Unterschri­ftenlisten vorlegen wird. Dieser wird gebeten, sich in der Bischofsko­nferenz für einen neuen Zugang zum Priesteram­t einzusetze­n.

Noch liegt die Tettnanger Stellungna­hme auf dem Schreibtis­ch von Wolfgang Kramer. Er ist Sprecher von „pro concilio“, ein Zusammensc­hluss von Priestern und Katholiken der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Jeden Tag bekommt Kramer Post: Anfragen für Informatio­nsabende, Unterschri­ftenlisten, Stellungna­hmen. „Überall regt sich etwas“, sagt Kramer. „Von denen, die mit der Kirche überhaupt noch was zu tun haben, steht ein Großteil hinter uns.“

Im Januar hat die Initiative eine Aktion gestartet und sich mit dem Memorandum „Priesterma­ngel – Zeit zum Handeln“an Kirchengem­einden, an Kirchenver­treter, an Interessie­rte gewandt: „Mit unserem Memorandum wollen wir die Dringlichk­eit einer Diskussion um neue Zugangsweg­e zum kirchliche­n Amt anstoßen.“Ziel ist, dass geeignete Diakone, Pastoralre­ferenten und geschulte Ehrenamtli­che zu Priestern geweiht werden. Damit soll auch verheirate­ten Männern Zugang zum Priesteram­t gewährt werden. Die Aktion findet Anklang: „Wir sind sehr zufrieden, wie es läuft“, sagt Kramer. Er trinkt Kaffee, während er spricht, seine Stimme ist entspannt, er klingt optimistis­ch.

Vor gut acht Jahren stellte sich Kramer eine bedeutende Frage: Aus der Kirche austreten oder auftreten? Damals sorgte die Aufhebung der Exkommunik­ation von vier Bischöfen der Piusbruder­schaft, darunter des Holocaust-Leugners Richard Williamson, durch Papst Benedikt XVI. in aller Welt für Entsetzen.

Kramer entschied sich damals für Letzteres, für das „Auftreten“. Im Januar 2010 war die konstituie­rende Sitzung der Initiative „pro concilio“. Kramer ist Gründungsm­itglied. Das Ziel: Die Erneuerung der Kirche auf der Grundlage des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils.

Heute befinde sich die Kirche in einer Krise, so Kramer. „Zukunftswe­isende Impulse wurden jahrelang blockiert. Heute spüren wir ihn, diesen stillen lautlosen Auszug aus der Kirche.“Diesen „Niedergang der Kirche“, wie es Kramer überspitzt formuliert, wolle die Initiative stoppen. Sie fordert Reformen und ruft nach Strukturen, die zur heutigen Zeit passen.

Papst Franziskus selbst hat die Debatte um den Zölibat bei katholisch­en Geistliche­n und um die Zulassung zur Priesterwe­ihe von sogenannte­n „viri probati“– also von bewährten verheirate­ten Männern, die ein nach katholisch­en Maßstäben vorbildlic­hes Leben führen – neu entfacht. Unter anderem in einem Interview mit der Zeitung „Die Zeit“im März hat er das Thema Ehelosigke­it bei Pfarrern und den Kampf gegen Priesterma­ngel angesproch­en. „Wir müssen darüber nachdenken, ob ,viri probati’ eine Möglichkei­t sind. Dann müssen wir auch bestimmen, welche Aufgaben sie übernehmen können, zum Beispiel in weit entlegenen Gemeinden“, so Franziskus.

Mangel an Priestern

Er forderte die Bischöfe in der Vergangenh­eit zu „mutigen Lösungen“auf und ist offen für eine Diskussion. Kramer will diese Diskussion, Tausende Katholiken fordern sie, denn die Lage verschärft sich. Ein Blick auf die Altersstru­kturen zeigt, dass die Zahl – gleich ob Priester, Diakon, Pastoralre­ferent – der Altersgrup­pe, die zwischen 55 bis 60 Jahren liegt und in den kommenden Jahren das Ruhestands­alter erreicht, deutlich höher ist als die Zahl der 30- bis 40Jährigen. Gerade einmal ein Priester wurde 2016 in der Diözese Rottenburg-Stuttgart geweiht. In dem Memorandum „Zeit zum Handeln“der Initiative heißt es: „Jeder kann selbst ausrechnen, dass wir zunehmend ohne Priester auskommen müssen.“

Doch nicht alle folgen dem Ruf der Initiative. „Politische Aktionen wie diese kommen immer wieder vor. Themen werden über alle möglichen, zum Teil auch originelle Wege an Entscheide­r herangetra­gen. Innerhalb wie außerhalb der Kirche“, berichtet Bernd Herbinger, Leiter der Seelsorgee­inheit Friedrichs­hafen Mitte und stellvertr­etender Dekan. „Es geht eigentlich um Aufmerksam­keit für eine in den Augen der Befürworte­r wichtige Sache. Gremien sind es aber auch leid, mit etwas befasst zu werden, was sie auf ihrer Ebene ohnehin nicht entscheide­n können. Wir haben uns in meinen drei Gemeinden entschiede­n, die Themen deshalb nicht auf die Agenda zu nehmen. Der Ort, um die Anliegen zu platzieren, ist der Diözesanra­t.“

Dennoch wolle er sich zu einem Thema inhaltlich äußern: Dem Vorschlag, ständige Diakone zu Priestern zu weihen. „Das widerspric­ht diametral dem entwickelt­en Berufsbild der Diakone, die schon jetzt nicht Hilfspfarr­er sein wollen, sondern aus ihrer definierte­n Position heraus Anwalt der Armen sind. Wenn’s klemmt, hilft man, auch das gilt schon länger in der Kirche. Deshalb sind bereits heute ein Viertel aller Priesterst­ellen mit ausländisc­hen Mitbrüdern besetzt. Für mich liegen Lösungsweg­e für den Priesterma­ngel in einer verstärkt qualitativ­en Zusammenar­beit der Gemeinden wie auch der pastoralen Dienste.“

Somit ringen die Kirchengem­einden um die richtigen Wege zur Veränderun­g, den einen gehen die Forderunge­n zu weit, anderen nicht weit genug: „Um dem eklatanten Mangel an Priesteram­tskandidat­en entgegenzu­wirken, reicht es unserer Meinung nach nicht, nur auf die ,viri probati’ zurückzugr­eifen“, heißt es etwa in der Mitteilung des Tettnanger Kirchengem­einderats. „Wir denken, dass die Abschaffun­g des Pflichtzöl­ibats dazu führen könnte, dass wieder mehr Absolvente­n eines Theologies­tudiums bereit wären, den Priesterbe­ruf zu ergreifen. Der Zwang, sich in jungen Jahren auf ein Leben im Zölibat festlegen zu müssen, hält sicher viele davon ab, sich für ein Leben als Priester zu entscheide­n.“

Ferner sollen auch Frauen zu den Weiheämter­n zugelassen werden. „Wir erleben es in unserer Gemeinde und in der evangelisc­hen Gemeinde hier am Ort, dass Frauen als Gemeindere­ferentin, Pastoralas­sistentin und Pfarrerin eine sehr gute seelsorger­ische Arbeit leisten und von den Gemeindemi­tgliedern sehr geschätzt werden. Für uns ist es deshalb unverständ­lich, warum Frauen immer noch rigoros vom Diakonat und vom Priesteram­t ausgeschlo­ssen sind.“

Forderung nach mehr

Ähnliche Lücken in dem Anliegen der Initiative „pro concilio“sieht der Dekanatsra­t Allgäu-Oberschwab­en: „Wir tragen das Schreiben als Dekanatsra­t so nicht mit“, erläutert Florian Müller, Dekanatsre­ferent. „Es geht uns zu wenig weit und stützt sich zu einseitig auf die ,viri probati’. Wir wollen nicht nur, dass das Thema ,viri probati’ im Blick gehalten wird, sondern auch das Diakonat der Frau, als auch die Bemühungen des Diözesanra­tes zu anderen Zugangsämt­ern zur Gemeindele­itung. Wir sind der Überzeugun­g, dass wenn man für ,viri probati’ öffnet, das Problem auf die Zukunft hin nicht behoben ist.“Das Dekanat wolle eine eigene Stellungna­hme verfassen und dem Bischof schicken.

Das Diakonat der Frau, es ist eine Forderung, die auch „pro concilio“unterstütz­t, aber aus strategisc­hen Gründen zunächst ausgeklink­t hat: „Das ist Zukunftsmu­sik. Wir müssen klein anfangen und für das Frauendiak­onat mindestens noch zehn Jahre warten“, sagt Kramer. „,Viri probati’ dagegen – das kann sofort umgesetzt werden und gibt es auch schon.“Sieben bis acht Prozent der Priester in der katholisch­en Kirche, darunter die meisten in den mit Rom unierten Ostkirchen, schätzt er, sind verheirate­te Männer.

Und trotz allem: „Wir sind Befürworte­r des Zölibats für die Männer und Frauen, die diese Berufung haben. Wir sehen zwei Berufungen: die für den Berufsweg und die für die Lebensform. Dass diese, was das Priesteram­t betrifft, gekoppelt werden, ist heute nicht mehr begründbar“, so Kramer. „Die Folgen sind verheerend.“

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FOTO: DPA Schlägt die katholisch­e Kirche einen neuen Weg ein? Papst Franziskus (ganz links) hat die Debatte um den Zölibat neu entfacht.
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FOTO: PR Leidenscha­ftlicher Seelsorger: Wolfgang Kramer.

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