Lindauer Zeitung

Vögel, Insekten und ganze Biotope verschwind­en

Experten fordern eine dringend notwendige Kehrtwende in der Agrarpolit­ik

- Von Teresa Dapp, Annett Stein und Simone Humml

BERLIN (dpa) - Die Lage für Vögel, Insekten, Pflanzen und ganze Lebensräum­e in Agrarlands­chaften verschlech­tert sich einem Bericht des Bundesamts für Naturschut­z (BfN) zufolge dramatisch. „Praktisch alle Tier- und Pflanzengr­uppen in der Agrarlands­chaft sind von einem eklatanten Schwund betroffen“, teilte die Präsidenti­n des Bundesamts, Beate Jessel, in Berlin mit. Die Entwicklun­g sei „alarmieren­d“, es brauche dringend eine Kehrtwende in der Agrarpolit­ik.

Der Report mache einmal mehr deutlich, dass sich Artenvielf­alt in der Agrarlands­chaft im rasanten Sinkflug befinde, hieß es in einer Reaktion des Naturschut­zbundes (Nabu). „Pestizidei­nsatz und monotone Kulturen sorgen dafür, dass Insekten weniger werden, Vögeln Nahrung und Lebensraum fehlt.“

Das Bundesamt für Naturschut­z hat für seinen Agrarrepor­t mehrere Studien zur Entwicklun­g der Natur in der Agrarlands­chaft zusammenge­führt. Besonders brisant ist die Lage demnach für Insekten und Vögel. Zum Beispiel sind 41 Prozent der 560 Wildbienen­arten gefährdet. Verschiede­ne Studien hätten zudem einen drastische­n Rückgang der gesamten Insektenbi­omasse nachgewies­en.

Auch Pflanzen sind bedroht

Bei den Ackerwildk­räutern sieht es ebenfalls schlecht aus: Früher verbreitet­e Arten wie der Acker-Ritterspor­n seien kaum noch zu finden, ebenso das Sommer-Adonisrösc­hen. Der einstmals verbreitet­e Feldhamste­r sei vom Aussterben bedroht.

Zwischen 1990 und 2013 seien die Bestände des Kiebitz um 80 Prozent zurückgega­ngen, die der Uferschnep­fe um 61 Prozent und die der Feldlerche um 35 Prozent. Gründe seien eine intensivie­rte Nutzung der Flächen, der Wegfall von Ackerbrach­en, vergrößert­e Ackerschlä­ge und fehlende Randstreif­en.

Auch Wiesen, auf denen viele Pflanzen blühen, und Weiden stehen unter Druck. Grünland mit hoher biologisch­er Vielfalt ist in der Agrarlands­chaft dem Report zufolge allein 2009 bis 2015 um neun Prozent zurückgega­ngen. „Zwar scheint der Flächenver­lust gestoppt, aber wir müssen eine weiter anhaltende deutliche qualitativ­e Verschlech­terung des Grünlands feststelle­n“, sagte Jessel. Grund sei, dass immer intensiver bewirtscha­ftet werde.

„Um die Artenvielf­alt zu erhalten, reichen die Reförmchen des Agrarminis­teriums wie zuletzt bei der Düngeveror­dnung nicht aus“, erklärte der Vorsitzend­e des Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), Hubert Weiger. „Wir brauchen grundlegen­de Agrarrefor­men in Berlin und auch in Brüssel.“Die auf Agrochemie und auf industriel­ler Tierhaltun­g basierende Landwirtsc­haft sei Hauptverur­sacher des Artensterb­ens.

Der Verlust von Insekten schade nicht nur der Landwirtsc­haft selbst, die auf Bestäubung angewiesen sei, heißt es in der BfN-Mitteilung. Von intensiver Bewirtscha­ftung sei zudem die breite Bevölkerun­g betroffen, wenn etwa wegen Überdüngun­g die Wasserqual­ität schlechter werde. Damit werde eine nicht naturvertr­ägliche Landwirtsc­haft auch für die Volkswirts­chaft auf Dauer teuer. Die Agrarpolit­ik der EU und ihre Umsetzung in Deutschlan­d hätten „versagt“.

Als Beispiel werden die Vorschrift­en für ökologisch­e Vorrangflä­chen und das sogenannte Greening genannt. Die Anforderun­gen für diese Flächen würden durch den Anbau von Zwischenfr­üchten und Leguminose­n erfüllt, die keinen Mehrwert für die biologisch­e Vielfalt erbrächten, erklärte Jessel. „Gemessen an den eingesetzt­en Finanzmitt­eln – jährlich sind etwa 1,5 Milliarden Euro als Greening-Prämie für Landwirte in Deutschlan­d vorgesehen – müssen die Vorrangflä­chen wie auch das Greening als solches als weitgehend wirkungslo­se und zu teure Fehlentwic­klung bezeichnet werden.“

Damit nicht nur Agrar-Großbetrie­be von EU-Prämien profitiert­en, müsse öffentlich­es Geld an öffentlich­e Leistungen gekoppelt werden, hieß es von Weiger. Landwirte hätten über Jahrhunder­te die vielfältig­e Kulturland­schaft und zahlreiche Arten und Lebensräum­e bewahrt. „Statt weiter auf die exportorie­ntierte Landwirtsc­haft zu setzen, brauchen wir eine bäuerlich-ökologisch­e Agrarwende – weg vom Weltmarkt, wieder hin zum Wochenmark­t.“

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FOTO: DPA Mit am meisten gefährdet: die Wildbiene.

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