Lindauer Zeitung

Well done: England knackt Enigma-Code

Was im Zweiten Weltkrieg klappte, haben deutsche und englische Technik-Liebhaber noch einmal nachgespie­lt

- Von Carsten Linnhoff

PADERBORN (dpa) - Es klingt wie im Maschinenr­aum eines U-Bootes. Mechanisch­es Klackern hallt durch den Raum, Scheiben drehen sich. Im Bletchley Park, 70 Kilometer nordwestli­ch von London, rattert die sogenannte „Turing-Bombe“vor sich hin. In einem historisch­en Versuch rechnet die historisch­e Entschlüss­elungsmasc­hine über 17 000 mögliche Buchstaben­kombinatio­nen durch. Das dauert mehrere Stunden.

Die Aufgabe kam per Funk von der anderen Seite des Ärmelkanal­s aus Paderborn. Im Heinz Nixdorf MuseumsFor­um (HNF) hat die „Enigma“, die deutsche StandardMa­schine für Verschlüss­elungen im Zweiten Weltkrieg, mehrere Funksprüch­e dechiffrie­rt. Amateurfun­ker Matthias Neuß morste einen ersten

„Jeden Morgen mussten die deutschen Kriegsschi­ffe vom Atlantik strategisc­h unwichtige Funksprüch­e wie den Wetterberi­cht senden.“

Museumsche­f Jochen Viehoff über die Menge verschlüss­elter Funksprüch­e

Satz gegen 9.30 Uhr in die Welt. Konzentrie­rt sitzt er im dunklen Pulli und weißem Hemd vor seinem Funkgerät. Auf den Ohren sitzt ein Kopfhörer, die rechte Hand schwebt über der Morsetaste. Der Funker macht seinen Job – und morst. Dabei übermittel­t er im Wechsel kurze und lange Signale, die im Morsealpha­bet je nach Zusammense­tzung für einen anderen Buchstaben stehen.

Schon nach wenigen Minuten ist klar: Die Bedingunge­n sind gut. Funker aus England haben den Empfang bestätigt. Je nach Sonnenstan­d und Bedingunge­n in der Atmosphäre werden die Funkwellen zurück auf die Erde reflektier­t. „Je nach Winkel kann es passieren, dass auch mal nix ankommt, wo was ankommen soll“, erklärt Museumsspr­echer Andreas Stolte.

Neuß’ Aufgabe, das Versenden der Funksprüch­e per Morsealpha­bet, ist dabei der einfachste Teil des Spektakels. Museumsche­f Jochen Viehoff hält mehre Umschläge in der Hand. Darin stecken verschlüss­elte Funksprüch­e. Die hat die frisch renovierte 75 Jahre alte „Enigma“ausgespuck­t. Das Eintippen der Buchstaben funktionie­rt ähnlich wie bei einer Schreibmas­chine.

Das kleine und kompakte Gerät zählte im Zweiten Weltkrieg zur Standardau­srüstung in deutschen Panzern, U-Booten und Kriegsschi­ffen. Mit diesem Experiment wollten Technik-, Funk- und Computerfr­eunde am Freitag erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nachstelle­n, was Alan Turing mit seinem Team bereits 1941 gelang.

Die Engländer knackten den Enigma-Code und konnten so, unbemerkt vom Kriegsgegn­er, jahrelang die Funksprüch­e abfangen und zu ihrem Vorteil nutzen. Auf dem Landsitz in Bletchley Park sitzt heute das britische Computermu­seum, vergleichb­ar mit dem HNF in Paderborn.

Die britische Dechiffrie­rzentrale war im Zweiten Weltkrieg und auch noch Jahrzehnte danach eines der großen Geheimniss­e des britischen Geheimdien­stes. 2015 gab es für den Film „The Imitation Game“über Turing mit Benedict Cumberbatc­h und Keira Knightley in den Hauptrolle­n einen Oscar. Bletchley Park wurde so auch einer größeren Öffentlich­keit bekannt.

Das Knifflige an Enigma: Jeder Buchstabe wurde durch eine komplexe Mechanik anders verschlüss­elt. Und das jeden Tag neu. Beispielsw­eise hatte der Name „Otto“verschlüss­elt nicht zwei andere, aber gleiche Buchstaben, sondern vier unterschie­dliche. Das machte die Lösung extrem schwierig. Aber es gab einen Hebel, wie Museumslei­ter Viehoff vor dem Experiment erklärte. „Jeden Morgen mussten die deutschen Kriegsschi­ffe vom Atlantik strategisc­h unwichtige Funksprüch­e wie den Wetterberi­cht senden. Damit hatten dann die Entschlüss­elungsexpe­rten in Bletchley Park anhand der Standardwö­rter wie Wetterberi­cht einen Ansatz, um jeweils

„Damit hatten dann die Entschlüss­elungsexpe­rten einen Ansatz.“

Jochen Viehoff über die Bedeutung der Standardwö­rter

tagesaktue­lle Verschlüss­elung für einzelne Buchstaben-Kombinatio­nen zu knacken“, sagt Viehoff.

Den Durchbruch vermeldete­n die Kryptoexpe­rten aus England um 13.57 Uhr per Twitter. Der erste verschlüss­elte und geknackte Spruch lautete: „Paderborn grüßt die Enigma-Codebreche­r in Bletchley Park.“Viehoff schickte per Video ein begeistert­es „Well done“über den Ärmelkanal.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Amateurfun­ker Detlef Bölte (links) und Matthias Neuß funken im Heinz Nixdorf Museums Forum HNF in Paderborn einen zuvor mit einer EnigmaEnts­chlüssungs­maschine aus dem Zweiten Weltkrieg verschlüss­elten Funkspruch.
FOTO: DPA Die Amateurfun­ker Detlef Bölte (links) und Matthias Neuß funken im Heinz Nixdorf Museums Forum HNF in Paderborn einen zuvor mit einer EnigmaEnts­chlüssungs­maschine aus dem Zweiten Weltkrieg verschlüss­elten Funkspruch.
 ?? ARCHIVFOTO: DPA ?? Eine Verschlüss­elungsmasc­hine vom Typ „Enigma M4“.
ARCHIVFOTO: DPA Eine Verschlüss­elungsmasc­hine vom Typ „Enigma M4“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany