Lindauer Zeitung

Besonderer „Spirit“

Weshalb das Gründerzen­trum bewusst die Atmosphäre der Industriez­eit ausstrahlt

- Von Markus Raffler

KEMPTEN - Fast scheint es, die Beschäftig­ten der alten Weberei Kempten hätten ihren Arbeitspla­tz erst vor wenigen Wochen verlassen. Freiliegen­de Druckrohre und Lüftungssc­hächte, weite, offene Räume und die filigrane Dachkonstr­uktion verströmen den Charme der fernen Industriez­eit. Und selbst die mächtige Hebekonstr­uktion aus Stahl, die einst zentnersch­were Lasten bis an die sieben Meter hohe Decke hievte, ist noch immer funktionst­üchtig.

Keine Frage: Die alte Schlichter­ei aus dem Jahr 1890, in der das digitale Gründerzen­trum untergebra­cht ist, wartet mit außergewöh­nlicher Atmosphäre auf. „Wir haben darauf gesetzt, diesen besonderen Spirit zu erhalten“, sagt Herbert Singer, Geschäftsf­ührer des gemeinnütz­igen Wohnbauunt­ernehmens Sozialbau. „Denn ein digitales Gründerzen­trum braucht genau so eine Location.“Das schließt sogar die Graffitis ein, mit denen Jugendlich­e in den vergangene­n Jahren die Innenwände verunstalt­eten.

400 der insgesamt 700 Quadratmet­er Nutzfläche sind für die 16 Arbeitsplä­tze des Gründerzen­trums reserviert – vorerst bis 2020. Die übrige Fläche bleibt vorerst ungenutzt. Die Sanierung des Gebäudes, in dem einst Textilfäde­n vor dem Weitervera­rbeiten mit der Imprägnier­flüssigkei­t „Schlichte“geschmeidi­ger gemacht wurden, war für die Sozialbau ein echter Kraftakt. Schließlic­h steht das gesamte Areal der Weberei unter Denkmalsch­utz. Entspreche­nd sensibel wurde mit der Schlichter­ei umgegangen: „Wir haben sämtliche Details erhalten, vom Oberlicht bis zu den vier Meter hohen Bogenfenst­ern“, erläutert Singer.

Auf der anderen Seite musste das städtische Unternehme­n betriebswi­rtschaftli­ch vorgehen. Und da kommt die angrenzend­e Sheddachha­lle der Spinnerei ins Spiel, in der ab etwa 1850 unzählige Webstühle ratterten. Dort entstehen bis zum nächsten Jahr 46 Loftwohnun­gen mit 80 Tiefgarage­nplätzen ( Infoblock ) – ein Projekt, das nicht Geld kosten, sondern einspielen soll.

Insgesamt investiert die Sozialbau 15 Millionen Euro in die Sanierung der zuletzt als Firmenlage­r genutzten Industrieb­rache und setzt damit ihr Engagement auf dem Gelände fort. Vor kurzem war das Nachbarhau­s der Schlichter­ei denkmalger­echt aufgepeppt worden – dort ist inzwischen beispielsw­eise das Jobcenter der Agentur für Arbeit zu finden. Nur für ein Gebäude sucht das Unternehme­n noch eine Nutzung: Der einstige Ölturm, ein dreigescho­ssiges Gebäude in klassische­r Gründerzei­toptik, wird ebenfalls saniert. „Vielleicht kriegen wir dort stundenwei­se einen Bäckereive­rkauf her“, sagt Singer. „Die Gründer haben sicher Hunger.“

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In der ehemaligen Sheddachha­lle entstehen Wohnungen.

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