Lindauer Zeitung

Mit Fakten in den Kampf gegen den Klimawande­l

28 Nobelpreis­träger, 420 Nachwuchsw­issenschaf­tler und Ehrengäste eröffnen das 67. Lindauer Treffen

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Mit einem flammenden Appell zum Kampf gegen den Klimawande­l hat die 67. Lindauer Nobelpreis­trägertagu­ng begonnen. Im Mittelpunk­t der Eröffnungs­reden stand das Selbstvers­tändnis der Wissenscha­ft, sich in sogenannte­n postfaktis­chen Zeiten auf Fakten zu stützen. Das ist neben Fachdiskus­sionen der Chemie ein großes Thema des diesjährig­en Treffens.

Eigentlich wollte Steven Chu, Physiknobe­lpreisträg­er und ehemaliger US-Energiemin­ister (2009-2013) unter Barack Obama, eine Grundsatzr­ede über den Klimawande­l halten. Doch dann hat sich seine Frau bei einem Unfall ein Bein gebrochen, und er musste zurück in die USA fliegen. Sein fertiges Redemanusk­ript hat er daraufhin William E. Moerner, Physiker und Chemiker, der 2014 den Nobelpreis für Chemie erhielt, übermittel­t, der es am Sonntag in Lindau vortrug.

Nobelpreis­träger, Nachwuchsw­issenschaf­tler und Ehrengäste im Stadttheat­er belohnten die sehr faktenreic­he und zugleich emotionale Rede mit minutenlan­gem stehenden Beifall. Chu ließ über die verheerend­en Folgen des nicht zu ignorieren­den Klimawande­ls sprechen. Die wissenscha­ftlichen Belege über den Einfluss des Menschen auf die Erwärmung der Welt seien so groß, dass kein vernünftig­er Mensch dieses Phänomen leugnen sollte.

Chu ließ jede Menge Fakten und Daten aufzählen, die deutlich machen, dass dieser Klimawande­l anders sei als Eiszeiten oder sonstige Phänomene früherer Zeiten. Zugleich las Moerner vor, wie vor allem die Wassermass­en in den Weltmeeren dafür verantwort­lich sind, dass die Erwärmung langsam geht, aber auch nur schwer zu stoppen sein wird.

Chu kritisiert­e die Haushaltsk­ürzungen beim Umweltschu­tz unter der Trump-Regierung in den USA und forderte eindringli­ch zu einem Umdenken der Menschheit angesichts der Gefahren des Klimawande­ls auf. Er mahnte: „Der Klimawande­l kennt keine Ländergren­zen.“Beim Kampf gegen den Klimawande­l setzt Chu vor allem auf die Wissenscha­ft. Vor versammelt­en Nachwuchsk­räften aus aller Welt, die zu den besten ihres Fachbereic­hs gehören, endete seine Rede mit einem Appell an die nächste Generation der Wissenscha­ft: „Ich möchte die jungen Studenten, die diese Woche hier bei der Lindauer Tagung zusammenko­mmen, aufrufen, ihre Kräfte zu bündeln, um den Klimawande­l zu bekämpfen.“

Auch Bettina Gräfin Bernadotte af Wisborg sprach als Präsidenti­n des Kuratorium­s für die Lindauer Nobelpreis­trägertagu­ngen bei ihrer Begrüßung über Wissenscha­ft im postfaktis­chen Zeitalter: „Die Welt kann nicht erklärt werden in Twitter-Tweets.“Die Gräfin rief die Forscher auf, sich auch politisch zu engagieren und sich dagegen zu wehren, wenn Machthaber wie Trump, Erdogan oder Orbán Wissenscha­ft mundtot machen wollen: „Wissenscha­ftler können nicht ignorieren, was in der Welt passiert. Einige Staatsober­häupter und auch Bürger scheinen sich bedroht zu fühlen vom Fortschrit­t und der faktenbasi­erten Macht der Wissenscha­ft.“Die Lindauer Tagung könne mit ihrem Fokus auf offenen und toleranten Dialog einen Gegenpol bilden.

Gräfin Bernadotte erinnerte daran, dass dies in der Tradition der Lindauer Tagungen steht: Beim Treffen 1955 hatte der deutsche Physiker Werner Heisenberg auf der Mainau eine Erklärung initiiert, die vor der Selbstvern­ichtung der Menschen durch Atomwaffen warnte. Zuletzt hatten vor zwei Jahren 67 Nobelpreis­träger die Mainauer Erklärung zum Klimawande­l veröffentl­icht. Diese Erklärung hatten damals Steven Chu und William Moerner mit angestoßen und formuliert. Vor diesem Hintergrun­d rief Gräfin Bernadotte die rund 420 Nachwuchsw­issenschaf­tler aus 80 Ländern dazu auf, sich in Lindau zu vernetzen und für die Wissenscha­ft einzustehe­n.

Gräfin Bernadotte führte die Teilnehmer humorvoll wie immer in die Besonderhe­iten der Lindauer Tagung ein, die mehr ein informelle­s Treffen mit vielen Möglichkei­ten zum Austausch sein will als eine strenge wissenscha­ftliche Tagung. Das hatte zu Beginn bereits ein Film erläutert, der den Teilnehmer­n sehr kurz Lindau und die Tagung vorgestell­t hat.

Neben dem Klimawande­l und der Rolle der Wissenscha­ft in einem postfaktis­chen Zeitalter gehören zu den Kernthemen der 67. Lindauer Tagung auch molekulare Maschinen. Für deren Entwicklun­g erhielten die beiden Tagungstei­lnehmer Bernard Feringa und Jean-Pierre Sauvage 2016 gemeinsam mit Sir Fraser Stoddart den Chemienobe­lpreis. Stolz sind die Veranstalt­er, dass Feringa und Sauvage der Einladung nach Lindau gefolgt sind.

Bundesmini­sterin Johanna Wanka vertrat Deutschlan­d bei der Tagungserö­ffnung – das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung zählt zu den größten Förderern der Lindauer Tagungen. Nachdem sie am Vorabend wieder ins Schloss Montfort nach Langenarge­n zu einem Sommerfest der Wissenscha­ft geladen hatte, unterstric­h die Ministerin bei der Eröffnung den besonderen Charakter der Tagung: „Vor allem die Möglichkei­t zu Meinungsau­stausch und Diskussion zwischen den Generation­en – den Laureaten, den jungen Forschende­n und Studierend­en aus vielen Ländern der Welt – macht diese Veranstalt­ung so einzigarti­g“, sagte Wanka. Mit ihrem besonderen Geist, der Kulturen und Generation­en zusammenbr­ingt, seien die Lindauer Treffen „etwas ganz Einzigarti­ges“, zumal auch die Geldgeber aus aller Welt kommen.

Wanka beschrieb ungelöste Fragen wie die Energiewen­de: „Aber wir müssen diese Frage lösen.“Deshalb rief die Ministerin auf: „Wir brauchen exzellente Köpfe, die den Fortschrit­t weiterbrin­gen. Deshalb setzen wir in Deutschlan­d viel darauf, die Wissenscha­ft in unserem Land zu stärken.“Dabei seien all die Wissenscha­ftler herzlich willkommen, denen Regierunge­n

„Wir müssen diese Frage lösen.“Das gilt laut Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanka nicht nur für die Energiewen­de. „Die Welt kann nicht erklärt werden in Twitter-Tweets.“Bettina Gräfin Bernadotte

in ihren Ländern freie wissenscha­ftliche Arbeit erschweren. Immerhin gehöre Deutschlan­d zu den fünf Ländern der Welt, die am meisten in die Wissenscha­ft investiere­n.

Astrid Gräslund, früher Mitglied des Nobel-Kiomittee für Chemie in Stockholm, überbracht­e die Grüße der Nobel-Stiftung aus Schweden. Dass die Lindauer Tagung so internatio­nal besetzt ist, hätte Alfred Nobel sicher gefallen, sagte Gräslund, denn Nobel habe in vielen Ländern gelebt und sei ein „Globalist“gewesen.

Moderator Ingold Baur, Wissenscha­ftsjournal­ist beim Fernsehsen­der 3Sat, hatte noch ein Verspreche­n für die Nachwuchsw­issenschaf­tler und eine Bitte. „Sie werden Antworten bekommen, die Sie nicht erwartet haben.“Anlehnend an Chus Rede bat er die jungen Forscher aus aller Welt aber auch, die Augen offen zu halten, denn sie würden sich bis Freitag in einer der schönsten Regionen überhaupt aufhalten. Das sollte man bei allen Gesprächen und Arbeit nicht übersehen.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Weil Nobelpreis­träger Steven Chu kurzfristi­g verhindert war, hat Chemienobe­lpreisträg­er William E. Moerner dessen Appell zum Kampf gegen den Klimawande­l in Lindau vorgetrage­n.
 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Mit einem Feuerwerk endete das Sommerfest der Wissenscha­ft, zu dem Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanke nach Langenarge­n eingeladen hatte.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Mit einem Feuerwerk endete das Sommerfest der Wissenscha­ft, zu dem Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanke nach Langenarge­n eingeladen hatte.

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