Lindauer Zeitung

Wie Don Quichotte

SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz testet die Stimmung – Auf Wahlkampft­our in Bayern

- Von Rasmus Buchsteine­r

INGOLSTADT - Geht da noch was? Martin Schulz testet die Stimmung – auf Wahlkampft­our in Bayern. Für seine Sozialdemo­kraten ist der Freistaat traditione­ll schwierige­s Terrain. 80 Tage noch bis zur Bundestags­wahl – eigentlich müsste der SPD-Kanzlerkan­didat jetzt zur großen Offensive ansetzen und versuchen, die Stimmung zu drehen. Doch als Schulz am Montag in Ingolstadt Station macht, sind die Zeitungen und Onlineport­ale voll mit Krawallbil­dern von Hamburg und der Frage, wie es dazu kommen konnte. Die Zivilgesel­lschaft müsse sich „diesen Typen entgegenst­ellen“, verurteilt der SPD-Chef die Gewaltexze­sse vom Wochenende.

Schulz’ Problem: Nicht G20-Gastgeberi­n Angela Merkel steht im Fokus der Kritik, sondern ein Sozialdemo­krat: Olaf Scholz, der Erste Bürgermeis­ter der Freien und Hansestadt. Für SPD-Chef Schulz eine missliche Lage: Sein Stellvertr­eter Scholz sieht sich mit Rücktritts­forderunge­n konfrontie­rt. „Ich will zunächst einmal feststelle­n, dass die Zuweisunge­n, die ich jetzt politische­r Art erlebe, wirklich dumm sind“, sagt der SPD-Vorsitzend­e. Dann stapft er durch das Audi-Werk in Ingolstadt. Dass der SPD derzeit niemand so fehlt wie jemand, der für „Law & Order“, für klare Kante bei der Inneren Sicherheit steht, macht die Lage für ihn nicht einfacher. Seit Otto Schily ist die Rolle des „Roten Sheriffs“vakant. Der SPD-Chef muss selbst den Ausputzer geben. „Diese niederträc­htigen hemmungslo­sen Kriminelle­n – die muss man in den Griff bekommen“, spricht er von „marodieren­den Banden“auf den Straßen Hamburgs. Das habe „Züge von Terrorismu­s“gehabt.

Keine Trendumkeh­r

Wie schön hatten sich die Strategen bei den Genossen den Start in den Sommer doch ausgemalt. Dass Schulz in der letzten Parlaments­woche mit der „Ehe für alle“einen Coup gelandet und die Kanzlerin auf dem falschen Fuß erwischt hatte, versetzte die SPD-Wahlkämpfe­r vorübergeh­end in Glücksgefü­hle. Doch die Trendumkeh­r in den Umfragen ist ausgeblieb­en. Im Gegenteil: Der Kandidat fiel um zehn Punkte zurück und kämpft weiter wie Don Quichotte gegen die guten Werte der Kanzlerin. Am Sonntag will er einen DreiPunkte-Plan für den Rest-Wahlkampf präsentier­en.

Nun also Ingolstadt, ausgerechn­et die Heimat von CSU-Chef Horst Seehofer. Schulz unterwegs in Bayern, wo die CSU erfolgreic­h ist und die SPD schwach, wo die Facharbeit­er gut verdienen und es immer neue Beschäftig­ungsrekord­e gibt. Verfängt sein Gerechtigk­eitswahlka­mpf hier? Was sagen die Arbeiter bei Audi zu den Steuerplän­en des Merkel-Herausford­erers? Heiß und laut ist es in den Fertigungs­hallen. Da bleibt kaum Zeit für SPD-Wahlkampfb­otschaften. Schulz spricht sich in der Halle gegen Dieselfahr­verbote aus. Das „macht keinen Sinn“, sagt er, „der Dieselmoto­r wird noch eine gewisse Zeit gebraucht werden.“Bloß keine Unruhe bei den Arbeitern wecken. Dann noch ein paar Selfies – das war's.

Auch die Kanzlerin ist zu Wochenbegi­nn in Bayern unterwegs. Eben noch mit Donald Trump & Co. in Hamburg im Kreise der Mächtigen, am Montag bei der CSU in Kloster Banz. Merkel gegen Schulz – ein Duell mit ungleichen Mitteln. Die Kanzlerin bekommt die große Bühne. Schulz besucht Unternehme­n, Feuerwehre­n, SPD-Empfänge und kommt häufig nicht vor in den Abendnachr­ichten. Ein „Streetfigh­ter“sei er, ein Straßenkäm­pfer, und natürlich werde er Kanzler, hat Schulz vor Wochen den großen Kampf angekündig­t. Doch davon ist nicht viel zu spüren. Er spult sein Programm ab, versucht, seine „Stammbatai­llone“zu mobilisier­en und macht sich Mut damit, dass zwei Drittel der Deutschen das Rennen noch für offen halten. Gefühl und Emotion, so sein Kalkül, könnten auf den letzten Metern entscheide­n. Der Kandidat zwischen Wunsch und Wirklichke­it, während er im tiefschwar­zen Wahlkampfb­us durch Bayern tourt.

Schröders Signatur

Ortstermin in Kösching. Schulz in der kleinen Gemeinde vor den Toren Ingolstadt­s, „einer roten Insel im schwarzen Meer“. Der Ort blickt zurück auf lange Jahre mit SPD-Bürgermeis­tern. 1998 war Gerhard Schröder hier im Wahlkampf, kurz danach zog er ins Kanzleramt ein. Schulz trägt sich ins Goldene Buch ein, findet auch Schröders Signatur. Dann läuft er hinüber zur Freiwillig­en Feuerwehr, die ihn mit Brezen, Leberkäs und einer Brandschut­z-Show willkommen heißt. Während sich Schulz das Löschfahrz­eug zeigen lässt, kommen einem Genossen am Rande des Rummels Zweifel. Der Kandidat mache seine Sache zwar sehr gut. „Aber das ändert nichts daran, dass wir in den Umfragen wieder in den alten Gefilden gelandet sind.“

 ?? FOTO: DPA ?? SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz (Zweiter von links) lässt sich in Ingolstadt die Produktion­sstraßen des Audi A3 erklären.
FOTO: DPA SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz (Zweiter von links) lässt sich in Ingolstadt die Produktion­sstraßen des Audi A3 erklären.

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