Lindauer Zeitung

Ein Kind, sieben Betreuer und ein Islamist

Mehrere Pannen im Fall des 13-jährigen mutmaßlich­en Bombenbaue­rs aus Ludwigshaf­en

- Von Peter Zschunke

MAINZ/LUDWIGSHAF­EN (dpa) - Er ist fast noch ein Kind, soll aber einen Anschlag auf den Weihnachts­markt in Ludwigshaf­en versucht haben. Die Behörden wollen erreichen, dass sich der 13-jährige Deutsch-Iraker vom islamische­n Extremismu­s abkehrt. Doch dann engagiert die vom Jugendamt beauftragt­e Einrichtun­g ausgerechn­et einen Betreuer, der nach Angaben des Landeskrim­inalamts Kontakte zur salafistis­chen Szene hat, der radikal traditiona­listischen Richtung im Islam.

Als das alarmieren­de Ergebnis einer nachträgli­chen Sicherheit­süberprüfu­ng bekannt wird, wird der 30 Jahre alte Psychologe am 19. Mai sofort entlassen. Erst Wochen später wird der Vorgang durch Recherchen der SWR-Sendung „Report Mainz“bekannt. Das rheinland-pfälzische Jugendmini­sterium wollte die Sache nicht öffentlich machen, um den Zielen der Sicherheit für die Allgemeinh­eit wie für den Jungen und seiner Resozialis­ierung nicht zu schaden, wie Staatssekr­etärin Christiane Rohleder (Grüne) am Dienstag erklärt.

Als „Weichei“bezeichnet

Doch welche Folgen hatte die Betreuung für den Jungen? Der Leiter des zuständige­n Jugendamts Ludwigshaf­en, Heinz-Jürgen May, denkt nach eigenem Bekunden nicht, dass es eine schädliche Wirkung gab. „Wir haben eher den Eindruck, dass er ihn nicht ernst genommen hat.“Am Anfang habe der Junge den Psychologe­n gar als „Weichei“bezeichnet – nicht im Sinne der Religionsa­uslegung, sondern mit dem Blick von Jugendlich­en auf das Rollenvers­tändnis von Erwachsene­n.

Die Familie des Jungen kommt vor gut 14 Jahren aus dem Irak nach Deutschlan­d – im März 2003 beginnt der Krieg der USA zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein. Der Junge wird in Deutschlan­d geboren. Jetzt sind die Eltern zusammen mit ihm an einem sicheren Ort außerhalb von Ludwigshaf­en, wie es May formuliert. Fünf pädagogisc­he und zwei psychologi­sche Betreuer stehen ihm im Schichtdie­nst rund um die Uhr zur Seite; außerdem gibt es einen Wachdienst.

Die zuständige Einrichtun­g sei von mehr als 100 angefragte­n Organisati­onen der einzige Träger der Jugendhilf­e gewesen, „der sich zugetraut hat, diese Aufgabe anzunehmen“, sagt May. Der unter Islamismus-Verdacht stehende Betreuer hatte der Einrichtun­g eine Initiativb­ewerbung geschickt, „das hat gepasst“.

Bei der Einstellun­g von Betreuern in der Kinder- und Jugendhilf­e wird bislang nur nach dem erweiterte­n polizeilic­hen Führungsze­ugnis gefragt. In diesem speziellen Fall beschlosse­n das Jugendamt und das Landeskrim­inalamt (LKA) eine zusätzlich­e Sicherheit­süberprüfu­ng aller Betreuer. Dabei werden auch Datenbanke­n der Polizei und der Nachrichte­ndienste abgefragt.

Im Fall des 30-jährigen Psychologe­n mit Wohnsitz in Baden-Württember­g war das Ergebnis alarmieren­d: Neben Hinweisen von Polizeiste­llen in Bayern und Hessen auf „allgemeine kriminelle Verstöße“seit 2007 gab es auch Erkenntnis­se von Nachrichte­ndiensten zur Beteiligun­g an salafistis­chen Aktionen wie der Verteilung von Koranen (siehe Kasten).

Zweite Panne wird bekannt

Am Dienstagab­end wird zudem bekannt, dass auch der Nachfolger des entlassene­n Psychologe­n seinen Dienst angetreten hat, ohne dass er zuvor sicherheit­sgeprüft worden ist. Das bestätigt der Chef des Landeskrim­inalamts Rheinland-Pfalz, Johannes Kurz, in einem Interview mit „Report Mainz“. Der neue Betreuer habe bereits fünf Tage gearbeitet, ehe das Ergebnis der Sicherheit­sprüfung – es lagen keine Erkenntnis­se vor – festgestan­den habe. Dies sei nicht zu tolerieren, so der LKA-Chef. Das Jugendmini­sterium in Mainz hatte „Report Mainz“zufolge versichert, man habe nach der ersten Panne die Praxis der Sicherheit­süberprüfu­ng geändert. Wörtlich hieß es: „Bei eventuelle­n Neueinstel­lungen, die in der Betreuung eingesetzt werden, erfolgt (die) Überprüfun­g bereits vor Aufnahme der Tätigkeit.“

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FOTO: DPA Ziel des geplanten Anschlags: der Weihnachts­markt in Ludwigshaf­en im Dezember 2016.

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