„Rio? Da war ich gar nicht!“
Ex-Kugelstoß-Weltmeister David Storl triumphiert in Biberach und wähnt sich auf richtigem Weg zur WM
BIBERACH - Als David Storl die Sieben-Kilo-Kugel auf 21,53 Meter gewuchtet hatte, seine mit Abstand größte Weite der Saison, da gab es kein Halten mehr für den Ex-Weltmeister und er versuchte sich im Überschwang an etwas zehnmal Schwererem. Niko Kappel, der 1,40 Meter kleine Paralympicssieger, stand neben ihm, also wuchtete Storl auch den in die Luft und ließ ihn hochleben. Beide hatten einen Heidenspaß in der Abendsonne auf dem Biberacher Marktplatz, klar: Der Leipziger Storl hatte gezeigt, dass in vier Wochen bei der WM in London mit ihm wieder zu rechnen sein wird. Der kleinwüchsige Kappel aus dem schwäbischen Welzheim hatte mit 13,81 Meter sogar einen Weltrekord gestoßen. Der wurde am Tag darauf zwar nur zu einem deutschen Rekord – weil das Meeting nicht offiziell beim Paralympischen Kommitee angemeldet war, wurde die Annerkennung weltweit verweigert –, dennoch darf sich der 22-Jährige in den nächsten Jahren wohl auf viele weitere Goldmedaillen freuen. „Wo meine Grenzen liegen? Das würd ich auch gerne wissen. Da gibt es noch so unendlich viel Potenzial im Training und an der Technik, ich werde es herausfinden“, versprach Kappel, der 15 Stunden pro Woche als Bankkaufmann arbeitet und ansonsten eine Art Paralympics-Profi ist. Und außerdem „ein Bombentyp, ein richtiger kleiner Brummer“, findet Storl. „Wir waren im Vorjahr zusammen in Kienbaum. Wir verstehen uns prächtig.“
Wo David Storls Grenzen sind, darüber hatte sich der 26-Jährige zuletzt auch so seine Gedanken gemacht angesichts von Rivalen, die immer besser werden. Mit 21,31 Metern war Storl vor Biberach lediglich Zwölfter der Weltrangliste, mit den 21,53 ist er immerhin Achter. „Auch wenn es einige Medien anders sehen: Eigentlich war es eine stabile Saison, sieben Wettkämpfe über 21 Meter sind nicht schlecht. Aber der Ausreißer nach oben hat gefehlt. Heute konnte ich mich richtig reinsteigern. Ich fühle mich endlich wieder erholt und fit, das letzte Trainingslager in Kienbaum mit bis zu 60 Stößen am Tag hat doch Körner gekostet“, sagte Storl, der nach seinem Waterloo bei den Spielen in Rio Einiges geändert hat in seinem Leben – zuvorderst die Ernährung. Bei einem Test, erzählt Sven Lang, Storls Heim- und Bundestrainer, wurden einige Unverträglichkeiten festgestellt, Hühner-Eiweiß etwa, „das hat er ja zu Tonnen geschluckt. Dass seine Entzündungen im Knie nie weggingen, lag auch daran.“Inzwischen ernährt sich Storl glutenfrei, auf die geliebten Rindersteaks allerdings verzichtet er nicht („Das würde schwer bei ihm“), genauso wenig schlug sich die Umstellung auf der Waage nieder, im Gegenteil: 16 Pfund zugelegt hat Storl, mit 124 Kilo ist er schwer wie nie. „Viel Muskelmasse“, glaubt Lang.
„Der gehört gesperrt“
Um auch stark wie nie zu werden, arbeitet Storl zudem erstmals mit einem Mentaltrainer zusammen. Matthias Große, der Lebensgefährte von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, ein Immobilieninvestor, der bis zur Wende General werden wollte, ist in der Branche zwar als eher unbequemer Zeitgenosse bekannt, Storl aber schwört auf ihn. „Ich kenne ihn nicht als General. Er ist ein Bombentyp und hilft mir, in Ergänzung zum Training die letzten Prozent herauszuholen. Wir haben einen klaren Fahrplan bis zur WM, wir wissen, was wir wollen.“
Eine Medaille nämlich und neue Hoffnung auf dem Weg nach Tokio, wo im Jahr 2020 der nächste Olympiasieg vergeben wird, der letzte Titel, der Storl noch fehlt und von dem er im Vorjahr als Siebter mit 20,64 Meter so weit entfernt war wie Leipzig von der Austragung der Spiele. „Rio? Da war ich gar nicht!“, sagt Storl, es soll ein Witz sein, zeigt aber, wie tief die Enttäuschung sitzt nach einem Jahr, „in dem David einige Freunde verloren hat, wie man so sagt“(Lang). „Die letzte Saison war einfach zum Vergessen“, sagt Storl. Auch durch die Nachwehen seiner Verletzung war er nie über 21,36 Meter hinausgekommen – bei 22,20 steht seit Juni 2015 sein Rekord.
In Biberach kam die Aufbruchstimmung mit drei Topversuchen auf 21,47, 21,51 und 21,53 Meter zurück. „Das war heute die Initialzündung, die 22 traue ich David zu – am besten in London“, sagte Lang. Hinter den überragenden US-Drehstoßern Ryan Crouser und Joe Kovacs könnte Storl dort also um Bronze kämpfen. Mehr wird schwierig, denn noch immer stößt Storl mit der alten Angleittechnik. Die Rückkehr zum Umspringen sei kompliziert, sagt Lang, „wir haben in den letzten drei Jahren wegen des Knies 12 000 Stöße auf diese Weise gemacht – 500 mit Umspringen reichen nicht, um Konstanz hineinzubringen“. Erst nach der WM, vielleicht auch erst nach der EM 2018 in Berlin werde man das Projekt angehen.
Dann wird David Storl übrigens auf so manchen neuen Gegner treffen, der wie ein Komet aus dem Himmel schoss und dessen Leistungen nicht die glaubwürdigsten sind – den 20jährigen Polen Konrad Bukowiecki etwa, der im Januar mit 21,97 Metern Hallen-Europameister wurde. Im Herbst 2016 war dem Junioren-Weltmeister Doping mit Higenamin nachgewiesen worden. Zwar wurde ihm der Titel aberkannt, bestraft jedoch wurde Bukowiecki nicht – die B-Probe war angeblich nicht mehr aufzufinden. „So etwas kann einfach nicht sein. Das ist eine absolute Frechheit, der gehört definitiv gesperrt“, findet Storl, der Minuten nach dem Wettkampf selbst von einer Kontrolleurin zur Urinabgabe gebeten wird.
„Fragen Sie mal die junge Frau, wie so eine Probe verschwinden kann“, fordert David Storl die Journalisten auf, aber immerhin lächelt er dabei. Seit Biberach weiß er wieder: Wenn er in Topform ist, kann er selbst mit gedopten Rivalen mithalten.