Von Schürfwunde bis Schlaganfall
Bereitschaftspraxis am Klinikum Kempten entspannt Situation für Patienten und die Notaufnahme
KEMPTEN - So schlimm, dass man gleich in die Notaufnahme müsste, ist es nicht. Aber so gut, dass man warten könnte, bis die Praxis des Hausarztes wieder öffnet, geht es einem auch nicht. Für solche Fälle ist seit einem Jahr die Bereitschaftspraxis am Klinikum Kempten da. 8000 Patienten wurden seitdem dort betreut – und es gibt noch Luft nach oben. Von der Praxis profitieren nicht nur die Patienten, sondern auch Mitarbeiter der Notaufnahme.
Bereitschaftsdienste als solche sind nichts Neues. Nur musste man als Patient bisher erst einmal herausfinden, welcher Arzt gerade Bereitschaft hat. Zudem fahren viele Patienten direkt in die Notaufnahme. Denn die hat immer offen und ist immer am selben Ort zu finden. Seit einem Jahr aber ist das Allgäu Pilotregion der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) für den Bereitschaftsdienst. Und seitdem gibt es auch in Kempten eine feste Bereitschaftspraxis im Gebäude des Kemptener Krankenhauses.
Zwischen drei- und achtmal im Monat arbeitet Christoph Schicker dort. Schicker ist ein sogenannter Poolarzt. Der Facharzt für Chirurgie hat keine Bereitschaftspflicht, weil er keine eigene Praxis hat. Er macht gerade zusätzlich seinen Facharzt für Allgemeinmedizin und übernimmt Bereitschaftsdienste von Kollegen, die eigentlich verpflichtet wären mitzumachen. Gerade patientenferne Arztgruppen, wie zum Beispiel Radiologen, geben ihre Schichten oft weiter. Und Schicker nimmt sie gern: „Hier sieht man alles, was es so gibt“, sagt der 36-Jährige. Viele kämen mit grippalen Infekten, Schnittverletzungen, Schürfwunden oder Blasenentzündungen. Vor wenigen Wochen kam sogar ein Patient, der deutliche Anzeichen eines Schlaganfalls zeigte. Ihn hat Schicker in die Notaufnahme gebracht.
In den meisten Fällen sei es aber anders herum: Obwohl mittlerweile zahlreiche Patienten direkt in die Praxis kämen, würden immer noch viele von der Notaufnahme „rübergeschickt“. Die Bereitschaftspraxis ist nur über den Haupteingang der Klinik erreichbar und die Patienten wissen oft nicht, dass es die Praxis überhaupt gibt. So auch eine 77-jährige Altusriederin. Sie kam mit Rückenbeschwerden in die Notaufnahme, von dort aus leitete man sie weiter. „Das nächste Mal komme ich direkt hier her“, sagt sie.
Offene Kapazitäten
Die Zusammenarbeit mit der Klinik funktioniert mittlerweile sehr gut, sagt Manuel Holder von der KVB: „Am Anfang war die Praxis ein bisschen wie ein Fremdkörper in einem eigentlich komplett funktionsfähigen Haus.“Jetzt aber hätten sich alle an die neue Situation gewöhnt. Nur einen gemeinsamen Eingang wünscht er sich. „Die Verteilung der Patienten ginge dann noch leichter.“Zudem habe die Praxis noch Kapazitäten. Eigentlich sollte die Notaufnahme die leichten Fälle direkt weiterschicken. Das klappe in den meisten Fällen, aber noch nicht immer. Vonseiten des Klinikums heißt es dazu, man habe sich in Absprache mit dem KVB bewusst für die jetzige Eingangslösung entschieden. Zudem sei ein gemeinsamer Eingang baulich schwer realisierbar, sagt Christine Rumbucher, Pressesprecherin des Klinikums Kempten. Außerdem könnten Patienten selbst entscheiden, wo sie behandelt werden wollen. Das Klinikum sei aber daran interessiert, dass Patienten, wenn möglich, in der Bereitschaftspraxis versorgt werden.
Unter der Woche kommen pro Schicht 20 bis 30 Patienten in die Praxis, am Wochenende sind es bis zu 40. Dadurch spürt die Notaufnahme Erleichterungen: Seit die KVBPraxis in Betrieb ist, verzeichnet man dort pro Monat etwa 150 Patientenkontakte weniger, sagt Rumbucher. „Gerade an Wochenenden und Feiertagen, wenn die Praxis ganztags geöffnet hat, ist eine deutliche Erleichterung spürbar.“
Die Patienten finden das gut: „Der Kontakt hier in der Bereitschaftspraxis ist persönlicher und direkter“, sagt eine 54-jährige Kemptenerin. „Außerdem bleibt die Notaufnahme für die echten Notfälle frei.“Schneller geht es oft auch noch. „Alles in allem hat unser Aufenthalt hier nur 20 Minuten gedauert“, sagt der Begleiter einer weiteren Patientin.