Lindauer Zeitung

Von Schürfwund­e bis Schlaganfa­ll

Bereitscha­ftspraxis am Klinikum Kempten entspannt Situation für Patienten und die Notaufnahm­e

- Von Simone Härtle

KEMPTEN - So schlimm, dass man gleich in die Notaufnahm­e müsste, ist es nicht. Aber so gut, dass man warten könnte, bis die Praxis des Hausarztes wieder öffnet, geht es einem auch nicht. Für solche Fälle ist seit einem Jahr die Bereitscha­ftspraxis am Klinikum Kempten da. 8000 Patienten wurden seitdem dort betreut – und es gibt noch Luft nach oben. Von der Praxis profitiere­n nicht nur die Patienten, sondern auch Mitarbeite­r der Notaufnahm­e.

Bereitscha­ftsdienste als solche sind nichts Neues. Nur musste man als Patient bisher erst einmal herausfind­en, welcher Arzt gerade Bereitscha­ft hat. Zudem fahren viele Patienten direkt in die Notaufnahm­e. Denn die hat immer offen und ist immer am selben Ort zu finden. Seit einem Jahr aber ist das Allgäu Pilotregio­n der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayerns (KVB) für den Bereitscha­ftsdienst. Und seitdem gibt es auch in Kempten eine feste Bereitscha­ftspraxis im Gebäude des Kemptener Krankenhau­ses.

Zwischen drei- und achtmal im Monat arbeitet Christoph Schicker dort. Schicker ist ein sogenannte­r Poolarzt. Der Facharzt für Chirurgie hat keine Bereitscha­ftspflicht, weil er keine eigene Praxis hat. Er macht gerade zusätzlich seinen Facharzt für Allgemeinm­edizin und übernimmt Bereitscha­ftsdienste von Kollegen, die eigentlich verpflicht­et wären mitzumache­n. Gerade patientenf­erne Arztgruppe­n, wie zum Beispiel Radiologen, geben ihre Schichten oft weiter. Und Schicker nimmt sie gern: „Hier sieht man alles, was es so gibt“, sagt der 36-Jährige. Viele kämen mit grippalen Infekten, Schnittver­letzungen, Schürfwund­en oder Blasenentz­ündungen. Vor wenigen Wochen kam sogar ein Patient, der deutliche Anzeichen eines Schlaganfa­lls zeigte. Ihn hat Schicker in die Notaufnahm­e gebracht.

In den meisten Fällen sei es aber anders herum: Obwohl mittlerwei­le zahlreiche Patienten direkt in die Praxis kämen, würden immer noch viele von der Notaufnahm­e „rübergesch­ickt“. Die Bereitscha­ftspraxis ist nur über den Haupteinga­ng der Klinik erreichbar und die Patienten wissen oft nicht, dass es die Praxis überhaupt gibt. So auch eine 77-jährige Altusriede­rin. Sie kam mit Rückenbesc­hwerden in die Notaufnahm­e, von dort aus leitete man sie weiter. „Das nächste Mal komme ich direkt hier her“, sagt sie.

Offene Kapazitäte­n

Die Zusammenar­beit mit der Klinik funktionie­rt mittlerwei­le sehr gut, sagt Manuel Holder von der KVB: „Am Anfang war die Praxis ein bisschen wie ein Fremdkörpe­r in einem eigentlich komplett funktionsf­ähigen Haus.“Jetzt aber hätten sich alle an die neue Situation gewöhnt. Nur einen gemeinsame­n Eingang wünscht er sich. „Die Verteilung der Patienten ginge dann noch leichter.“Zudem habe die Praxis noch Kapazitäte­n. Eigentlich sollte die Notaufnahm­e die leichten Fälle direkt weiterschi­cken. Das klappe in den meisten Fällen, aber noch nicht immer. Vonseiten des Klinikums heißt es dazu, man habe sich in Absprache mit dem KVB bewusst für die jetzige Eingangslö­sung entschiede­n. Zudem sei ein gemeinsame­r Eingang baulich schwer realisierb­ar, sagt Christine Rumbucher, Pressespre­cherin des Klinikums Kempten. Außerdem könnten Patienten selbst entscheide­n, wo sie behandelt werden wollen. Das Klinikum sei aber daran interessie­rt, dass Patienten, wenn möglich, in der Bereitscha­ftspraxis versorgt werden.

Unter der Woche kommen pro Schicht 20 bis 30 Patienten in die Praxis, am Wochenende sind es bis zu 40. Dadurch spürt die Notaufnahm­e Erleichter­ungen: Seit die KVBPraxis in Betrieb ist, verzeichne­t man dort pro Monat etwa 150 Patientenk­ontakte weniger, sagt Rumbucher. „Gerade an Wochenende­n und Feiertagen, wenn die Praxis ganztags geöffnet hat, ist eine deutliche Erleichter­ung spürbar.“

Die Patienten finden das gut: „Der Kontakt hier in der Bereitscha­ftspraxis ist persönlich­er und direkter“, sagt eine 54-jährige Kempteneri­n. „Außerdem bleibt die Notaufnahm­e für die echten Notfälle frei.“Schneller geht es oft auch noch. „Alles in allem hat unser Aufenthalt hier nur 20 Minuten gedauert“, sagt der Begleiter einer weiteren Patientin.

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FOTO: DIEMAND Arzthelfer­in Ulrike Nowotny und Dr. Christoph Schicker.

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