„Der Druck der Wirklichkeit ist auf unserer Seite“
Anton Hofreiter spricht in Lindenberg über die Klimakatastrophe
KREIS LINDAU - Kurz vor Veranstaltungsbeginn, im Biergarten des Lindenberger Hofs, legt Anton Hofreiter mit seinen Parteifreunden vom Grünen-Kreisverband den groben Rahmen fest: „Wie lange soll ich reden: 15 oder 30 Minuten – ich kann auch länger, wenn Ihr wollt.“Man einigt sich auf eine halbe Stunde, um Zeit für Fragen zu lassen, bevor Hofreiter zum Zug nach München muss. Es wird ein dichter Abend.
Wohl keiner der rund 60 Gäste gehört zu den Leuten, die den Klimawandel für eine Mär halten. Gleichwohl dürften die Schilderungen des 47-jährigen Biologen Hofreiter einige erschrecken. Dass sich der Klimawandel schneller vollziehe, als Wissenschaftler noch vor wenigen Jahren geahnt hätten, zeige sich an extremen Hitzewellen in Pakistan und Dürren in Afrika, nie dagewesenen Stürmen vor Peru, dem Abschmelzen der Polkappen und dem Anstieg des Meeresspiegels. Angesichts von Inselvölkern und Küstenstaaten, die davon bedroht sind, müsste die Menschheit laut Hofreiter großes Interesse am Gegensteuern haben. „Dabei geht es nicht um den Planeten – der hat schon ganz andere Dinge überstanden als uns. Es geht um die Lebensgrundlage für 27 Millionen Menschen.“
Welche Schlüsse zieht der Münchner, der seit 2005 im Bundestag sitzt und seit 2013 mit Katrin Göring-Eckart der Bundestagsfraktion vorsteht, aus dem beängstigenden Szenario? „Ganz einfach: Wir müssen aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen“, so Hofreiter. „Das ist nichts Neues. Die Wirkweisen kennen wir seit hundert Jahren.“Umso empörender findet er, dass Deutschland am meisten Braunkohle weltweit verbrenne. Zugleich sei Deutschland in Sachen regenerative Energien Vorreiter und habe sie durch Entwicklung und Förderung konkurrenzfähig gemacht. „Das ist eine gigantische Erfolgsgeschichte. Ich verstehe nicht, dass die Regierung damit nicht stärker hausieren geht.“Über die Photovoltaik, die Energie auch dezentral verfügbar mache, habe „ein kluger Mensch in Afrika“gesagt: „Das ist die größte Entwicklungshilfeleistung, die eine Industrienation geleistet hat.“
Dass in Sachen Bahnelektrifizierung und E-Mobilität in Deutschland kaum etwas vorangehe, schreibt Hofreiter vor allem dem Verkehrsministerium zu: „Dobrindt war in dieser Legislaturperiode mit zweierlei beschäftigt: mit der Ausländermaut – es ist schwierig, eine diskriminierungsfreie Diskriminierung durchzusetzen, deshalb hat das vier Jahre gedauert“– und mit der „Vertuschung des Dieselskandals“. Dabei gebe es neben ökologischen und gesundheitlichen auch ökonomische Gründe, die deutsche Automobilindustrie zu erneuern: „Damit es ihr nicht geht wie Eon und RWE, die lange dachten, das mit den regenerativen Ideen bleibt eine Randerscheinung.“„Wir hätten alle Instrumente in der Hand, um die Probleme zu lösen – wir müssen Widerstände überwinden“, schließt Hofreiter. Dass dies der kleinen grünen Partei auch in den vergangenen Jahren immer wieder gelang, erklärt er so: „Der Druck der Wirklichkeit – so traurig das ist – ist auf unserer Seite.“Hofreiter tritt im Wirtshaussaal auf, wie man ihn vom Bundestag her kennt: mit sparsamer Mimik und Gestik, trockener Tonlage und klaren, oft zugespitzten Aussagen. Nur ganz am Ende der zweistündigen Veranstaltung weicht er einer Frage aus. Warum sich die Grünen nicht deutlicher an erfolgreichen Parteivertretern wie Winfried Kretschmann orientierten, will ein Mann wissen: „Der hat euch vorgemacht, wie man Wahlen gewinnt.“Darauf Hofreiter: „Unser Land ist halt so divers.“Für Berlin und Baden-Württemberg gemeinsam eine grüne Politik zu finden, sei eine „spannende Aufgabe“.