Darauf einen Rydzek-Kaffee
Nach der WM seines Lebens geht der Kombinierer aus Oberstdorf die Olympiasaison kämpferisch-gelassen an
OBERSTDORF - Der Mann würde einen respektablen Barista abgeben. Oberstdorf, Skimuseum an der Schattenbergschanze, ein noch nicht wirklich julihafter Julimorgen: Johannes Rydzek hat seine Siebträgermaschine von zu Hause mitgebracht, kredenzt Espresso. Medientag ist, das Management des Nordischen Kombinierers, die Stuttgarter Agentur „24passion“, hat ins Allgäu geladen. Der altbekannte Satz vom Wintersportler, der im Sommer gemacht wird, soll sich den Journalisten beim Skisprungtraining anschaulich erschließen, den mittlerweile sechsmaligen Weltmeister sollen sie vor der Olympiasaison aber auch abseits von Bakken und Loipe erleben. Als heimat- und naturverbunden hat man den 25-jährigen Oberstdorfer bisher gekannt, als einen auch, dessen Hobbys „vielleicht nicht ganz so konventionell“(Originalton Rydzek) sind: Gleitschirmfliegen etwa und („Ich bin kein StandardTourengeher“) fordernde Skitouren. Jetzt Kaffeekultur. Genuss. Und, sagt Johannes Rydzek: E-n-t-s-c-h-l-e-un-i-g-u-n-g.
Kein Grund, das Rad neu zu erfinden
Die wird es brauchen dann und wann in einem Winter, der binnen vier Monaten 28 (!) Weltcup-Wettbewerbe parat hält ... und die Olympischen Spiele in Pyeongchang. Es wären die dritten für Johannes Rydzek, und die klare Botschaft sieben Monate zuvor heißt: Gold kann man nicht planen. Auch nicht nach Bronze 2010 und Silber 2014, auch nicht mit elf WM-Medaillen. „Aber es ist ganz klar: Ich will natürlich darum fighten, ich werd’ da alles dafür geben.“Tut Johannes Rydzek seit Mitte Mai wieder, seither läuft seine Saisonvorbereitung. Im Zeichen der Ringe anders als sonst? „Das Rad neu erfinden werden wir nicht.“Weshalb auch – bei einem „Grundrezept, das echt funktioniert hat“? 6500 Laufkilometer sind (Wettkämpfe inklusive) auf Skirollern, Ski und zu Fuß bewährte Zutat, 350 bis 400 Trainingssprünge das anvisierte Ziel bis zum Weltcup-Auftakt am 24. November in Kuusamo.
Sechs davon also hier und jetzt – Großschanzensprünge. Kurz nach neun Uhr ist es, leicht nieselt es, Johannes Rydzek ist auf dem Weg nach oben. Im Lift. Auf dem Trainerturm hat unterdessen Kai Bracht sein Laptop ausgepackt, die Videokamera in Position gebracht. Anfahrt dann, Absprung, Übergang, Flug, Landung. Die erste Rückmeldung gleich nach kurzem Studium der Bilder gibt es per Funk – präzise, pointiert. Seit 2011 ist der frühere Spezialspringer Bracht Heimtrainer Johannes Rydzeks; im Stab von Bundestrainer Hermann Weinbuch zeichnet der 39-Jährige als Co-Trainer für Sprungentwicklung, Videoanalyse, Krafttraining und Materialoptimierung verantwortlich.
Die Eigenart sommerlicher Kombinat ions sprung einheiten ist Kai Bracht bestens bekannt: „Die vielen Laufkilometer – die Feinkoordination leidet darunter. Du bist vom Gewicht noch nicht soweit wie in den Wintermonaten, von den Schnell kraft fähigkeiten nicht, sollst aber trotzdem eine Technik entwickeln und ausbauen.“Andererseits gehe „erstaunlich wenig“an Automatismen verloren übers Urlauben im Frühjahr. „Die Athleten starten mittlerweile von einem relativ hohen Niveau. Da“– Selbstvertrauen vorausgesetzt – „bringt dich ein kleinerer Fehler nicht aus der Ruhe.“Selbstvertrauen jedoch „kommt nicht von irgendwo her“, was, ganz nebenbei, auch den so gern bemühten „Lauf“entmystifiziere. Kai Bracht: „Beides musst du dir erarbeiten.“
Im Idealfall belohnt dafür eine Saison wie die vergangene: Lahti war die Weltmeisterschaft des Johannes Rydzek – eine für die Ewigkeit: vier Starts, vier Titel! Acht Weltcup-Siege (plus einer im Team) kamen dazu, sechs zweite und drei dritte Ränge. Doch die Große Kristallkugel ging an Eric Frenzel. Wegen Schonach, wegen des fatalen Ski-Kontakts der Nationalmannschaftskollegen im vorletzten Wettkampf, wegen Johannes Rydzeks Strauchler. Der Enttäuschte packte seine Emotionen vor den TV-Kameras in erregte Worte, ruderte später per Facebook-Video zurück, entschuldigte sich. Auf Anraten seines Managers? Jens Zimmermann schüttelt den Kopf. „Das“, erklärt der Geschäftsführende Gesellschafter von „24passion“ruhig, „kam von ihm. Er hat gesagt: ,Ich möcht’ das gern machen.‘“Da habe es keiner Agentur bedurft. Nochmals Jens Zimmermann: „Johannes ist ein sehr, sehr, sehr ehrgeiziger Sportler, und wenn du so ehrgeizig bist, brauchst du vielleicht einfach mal fünf, zehn Minuten, um runterzukommen. Aber da war das dann so hektisch – schnell, schnell! –, das war letztlich das Problem.“Keines, das sich so bald wiederholen wird – denn: „Johannes ist auch ein sehr, sehr lernwilliger Mensch.“
Geerdet auch auf dem Nebelhorn
Eines braucht Johannes Rydzek nicht zu lernen: geerdet zu bleiben. Nicht einmal auf 2224 Metern Höhe. Als der Gipfel des Nebelhorns als Ort für TVInterviews und Journalisten-Fragerunde erreicht ist (via Seilbahn), sagt der Mann Bemerkenswertes, den sie zum „Nordischen Dominierer“geschrieben haben nach Lahti: „Die letzte Saison, die nimmt mir keiner. Es sind so viele Momente, die unglaublich schön waren.“Kurzes, beredtes Schweigen. „Ich bin einfach nur dankbar für das, was war.“
Und vorbereitet auf das, was wird. Vancouver, seine Olympiapremiere, da war Johannes Rydzek „unglaublich geflasht“. In Sotschi sei mit den Ambitionen die Anspannung gestiegen; „jetzt glaub’ ich zu wissen, was auf mich zukommt“. Das Grinsen gerät breitmöglichst. „Wahrscheinlich wird’s dann doch wieder ganz anders.“Dennoch hilft die Erfahrung mit dem „bissle Speziellen“der Spiele, begleitet das „gute Gefühl“der zwei gewonnenen Test-Weltcups in Pyeongchang nach Pyeongchang.
Noch einige Sommer- und Herbsttage sind es bis Südkorea, bis Kuusamo. Der Fokus an ihnen gilt „ganz extrem dem Sprung“. Verrät Kai Bracht und fügt an: „Du musst da vorne dabei sein. Weil: Wenn du das nicht bist und auf so ’nem Niveau fehlen dir 20, 30, 40 Sekunden ...“An diesem Medientagmorgen fehlen allenfalls Nuancen – die Rydzek’sche Analyse: „Ich hab’ schon cool im Flug arbeiten können, ein bisschen an der Position feilen.“Alles gut also. Der Espresso sowieso.