Österreich droht erneut mit Brenner-Schließung
Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wirft Seenotrettern Unterstützung von Schleppern vor
WIEN - Noch sind es drei Monate bis zur Kanzlerwahl in Österreich, aber die Schließung des Brenners ist längst zum Thema geworden. Den jüngsten Vorstoß machte Innenminister Wolfgang Sobotka von der konservativen ÖVP. In einem Interview mit der „Bild“-Zeitung drohte er am Dienstag erneut damit, die wichtigste Nord-Süd-Achse Europas dicht zu machen. „Binnen 24 Stunden können wir mit Soldaten die Grüne Grenze abriegeln und mit Zoll und Polizei scharfe Grenzkontrollen realisieren“, sagte Sobotka.
Dass derzeit die Lage am Brenner ruhig ist und keinerlei verschärfte Maßnahmen erforderlich sind, erklärte der Tiroler Polizeichef Helmut Tomac jüngst in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“. Sobotka, davon unbeeindruckt, verweist auf derzeit 85 000 Flüchtlinge aus Afrika und Nahost in italienischen Aufnahmelagern, und es würden täglich mehr: „Es ist absehbar, dass sich die Lage zuspitzt, dass das nicht gut geht.“
Auch Sebastian Kurz, Außenminister und ÖVP-Kanzlerkandidat, fordert beinahe täglich die „Schließung der Mittelmeerroute“und warnt Italien zugleich vor einem „Weiterwinken von Flüchtlingen“Richtung Norden: „Österreich wird die Brennergrenze schützen“, sagte Kurz in Richtung Rom. In Italien reagiert man bereits genervt auf die täglichen Alarmmeldungen aus Österreich. Europa-Staatssekretär Sandro Gozi verwies auf ein Telefonat zwischen Kern und seinem römischen Amtskollegen Paolo Gentiloni vor wenigen Tagen, dabei sei „die Brennerfrage bereits gelöst“worden. Kern habe Gentiloni versichert, er sehe keine Anzeichen, wonach Italien die Lage an seiner Nordgrenze nicht unter Kontrolle habe.
Debatte um Rettungseinsätze
Sobotka bekräftigte zudem seine scharfe Kritik an privaten Seenotrettern im Mittelmeer. Einige Hilfsorganisationen würden direkt mit Schlepperbanden vor der libyschen Küste kooperieren, sagte er der „Bild“-Zeitung weiter. Er wiederholte damit Vorwürfe, mit denen ein sizilianischer Staatsanwalt im Frühjahr die Debatte um Rettungseinsätze angeheizt hatte. Für die Anschuldigungen gibt es keine Beweise. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) übte Kritik. „Die Italiener untersuchen Vorwürfe gegen NGOs: Zum Beispiel, dass Schiffe ihre Transponder regelwidrig abstellen, nicht zu orten sind und so ihre Position verschleiern“, sagte er der Funke Mediengruppe. „Das löst kein Vertrauen aus.“
Der italienische Innenminister Marco Minniti habe ihm auch gesagt, dass es Schiffe gebe, die in libysche Gewässer führen und vor dem Strand einen Scheinwerfer einschalteten, um den Schleppern ein Ziel vorzugeben. In der Frage, wie die Migration über das Mittelmeer in die EU eingedämmt werden kann, richtet sich der Blick immer wieder auf die privaten Retter.
Neben der italienischen Küstenwache und Schiffen der EU-Grenzschutzagentur Frontex helfen sie Menschen, die meist von Libyen aus auf Schlauch- oder Holzbooten die Flucht nach Europa wagen, und bringen sie nach Italien. Mehr als 93 300 waren es laut Internationaler Organisation für Migration bereits in diesem Jahr. „Es ist absehbar, dass sich die Lage zuspitzt, dass das nicht gut geht“, sagte Sobotka. Es sei wichtig, „dass selbst ernannte Seenotretter aus Europa nicht mehr bei den Schleusungen helfen, nicht mehr mit den Banden kooperieren“. Sobotka forderte Strafen für die Helfer. Natürlich dürfe niemand im Mittelmeer ertrinken. „Wir müssen aber trotzdem unterbinden, dass sogenannte Helfer weiterhin mit ihren Booten in libysche Hoheitsgewässer eindringen und dort die Flüchtlinge von den Schleppern direkt übernehmen.“
Frontex hatte Anfang des Jahres festgestellt, dass Nichtregierungsorganisationen mit ihrem Engagement im Mittelmeer Schleppern in die Hände spielen, unterstellte den Helfern dabei aber keine böse Absichten. Demnach helfen alle, die an Rettungen beteiligt sind, den Verbrechern unbeabsichtigt, ihre Ziele mit minimalem Kostenaufwand zu erreichen. Ende April sorgte die Äußerung des Staatsanwaltes aus Catania, Carmelo Zuccari, für Aufsehen, NGOs im Mittelmeer könnten von Schleppern finanziert sein. Belege dafür fehlen bislang. Ein parlamentarischer Ausschuss, der mehrere Hilfsorganisationen befragte, konnte die Vorwürfe auch nicht belegen.