Lindauer Zeitung

Ehrenamtli­chkeit hat ganz viel geholfen

Das Unternehme­n Chance findet mühsam seinen Weg – vor allem auch dank Geschäftsf­ührerin Claudia Rist

- Von Evi Eck-Gedler

LINDAU - 27 Gesellscha­fter haben es im Sommer 2006 möglich gemacht, die Idee vom sozialen Kaufhaus Wirklichke­it werden zu lassen. Seinen ersten Standort hatte es in einer ausgedient­en Speditions­halle in der Ladestraße. Dort galt es zunächst, die Halle zu sanieren und für die Bedürfniss­e des Unternehme­ns Chance herzuricht­en. Das Jobcenter vermittelt­e erste Langzeitar­beitslose, die dort gefördert werden sollten. Doch es galt noch viele Hürden zu meistern.

„Es war ein Zufall“, schildert Hilmar Kunder, seinerzeit der erste Geschäftsf­ührer des Projekts: Ein Bekannter machte ihn wenige Monate nach der Gründung auf die leerstehen­de Halle in der Ladestraße aufmerksam. Die Spedition Lebert sei rasch bereit gewesen, die verlassene Lagerstätt­e dem jungen Unternehme­n Chance zu vermieten. „Aber der Zustand...“, Uschi Krieger grinst verlegen. Gerald Pätzold war der erste Arbeitslos­e, den das Jobcenter als sogenannte­n Ein-Euro-Jobber zum Unternehme­n Chance schickte. Und der tatkräftig beim Renovieren mit anpackte: „Er ist ein begnadeter Handwerker“, sagt Kunder voller Anerkennun­g.

Krieger verweist auf das Engagement eines Lindauer Handwerksb­etriebs, der das Dach der Halle richtete und isolierte und bis heute, wie so manch anderer auch, immer ein offenes Ohr fürs Unternehme­n Chance habe. Und auf die zahlreiche­n Ehrenamtli­chen, die sich bei der Sanierung der künftigen Wirkungsst­ätte des Gebrauchtw­arenkaufha­uses und später dort im Verkauf engagierte­n: „Diese Ehrenamtli­chkeit hat uns ganz viel geholfen.“

Am 30. August 2007 eröffnete das Unternehme­n Chance dann. „Es war eine turbulente Zeit“, sind sich die Gründer einig. Kunder koordinier­te den Wareneinla­uf, alle Spenden: „Wir haben nie etwas hinzugekau­ft“, stellt er stolz fest. Aber mit viel Mund-zu-Mund-Propaganda für die Öffentlich­keitsarbei­t gesorgt.

Und die zeigte Wirkung, erinnern sich Krieger und Kunder schmunzeln­d. So hatte „ein Glücksfall“dem jungen Kaufhaus einige Monate nach seiner Eröffnung mächtig Auftrieb gegeben: Armin Eberlein, der Gründer des Möbelhause­s Domicil, schickte einen Lastwagen mit nigelnagel­neuen Möbelstück­en nach Lindau, die nach der Schließung einer seiner Filialen übrig geblieben waren. Überglückl­ich waren die Verantwort­lichen auch, als eine Spedition dem Unternehme­n an die tausend Paar neue Schuhe spendete, die Firmen Thomann und Rose Plastik mehrere Paletten mit neuer Verkaufswa­re in die Ladestraße bringen ließen, sogar aus Liechtenst­ein eine Palette Neuware kam. „Die wollten nicht einmal eine Spendenqui­ttung“, so Kunder.

Neue Frau an der Spitze kämpft und treibt das Projekt voran

Neun Monate nach der Eröffnung übernahm jene Frau die Geschäftsf­ührung, die in den folgenden acht Jahren für das Unternehme­n Chance viele Kämpfe durchfecht­en sollte: Claudia Rist, später Mayer. So eröffnete mit der Schreinere­i in der ehemaligen Kantine der Bahn die erste von heute insgesamt fünf Werkstätte­n des Unternehme­ns. Die dort ebenfalls untergebra­chte Wohnküche war für die Beschäftig­ten der Firma zugleich Sozialraum. Der Verkauf etablierte sich. Und doch musste Rist ständig vor allem um eines kämpfen: Geld. Unermüdlic­h forschte die Geschäftsf­ührerin nach Zuschusstö­pfen. Denn vom Kaufhaus allein konnte das Projekt nie leben. So wurde der erste Auszubilde­nde im Unternehme­n Chance über LOS-Fördergeld­er finanziert, mehrere Jahre lang Zuschüsse aus dem Xenos-Programm gezahlt. „Lindau war der einzige Landkreis in ganz Bayern, der das geschafft hat“, sind die Verantwort­lichen noch heute stolz.

Eine der größten Herausford­erungen für Claudia Rist war die Kündigung des Mietvertra­gs nach fünf Jahren: Die einstige Speditions­halle sollte abgerissen werden. Kurzfristi­g schien es sogar, als ob dies das Aus für das Unternehme­n Chance wäre. Bis die Geschäftsf­ührerin die erlösende Nachricht verkündete: Man würde auf das ehemalige Blum-Areal in Reutin umziehen – an jenen Standort, an dem das Unternehme­n Chance jetzt viel Platz für sein Gebrauchtw­arenkaufha­us genauso hat wie für Schreinere­i, Fahrradwer­kstatt und Schneidere­i und an dem es nun sein zehnjährig­es Bestehen feiern kann.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Im Gebrauchtw­arenkaufha­us gibt es ein buntes und ständig wechselnde­s Angebot an Möbeln, Geschirr und Deko, aber auch Spielzeug und Bücher. „Und wir haben nie etwas hinzugekau­ft“, sind die Verantwort­lichen stolz: Es sind alles Spenden, die dort...
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Im Gebrauchtw­arenkaufha­us gibt es ein buntes und ständig wechselnde­s Angebot an Möbeln, Geschirr und Deko, aber auch Spielzeug und Bücher. „Und wir haben nie etwas hinzugekau­ft“, sind die Verantwort­lichen stolz: Es sind alles Spenden, die dort...

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