Lindauer Zeitung

Fall Weißensber­g: Serbien muss nicht ausliefern

Die Ermittler wussten schnell, wo sich der Tatverdäch­tige aufhält – Sie kamen aber nicht so leicht an ihn ran

- Von Julia Baumann

LINDAU - Für die Polizei sind die vergangene­n Wochen ein Drahtseila­kt gewesen: Tagelang hatte die Ermittler den 34-jährigen Serben im Visier, der eine 22-jährige Frau in Weißensber­g getötet haben soll. Doch obwohl sie wussten, wo er sich aufhält, kamen sie nicht einfach so an ihn heran. Der Verdächtig­e war nach Serbien geflohen. Und das Land muss serbische Staatsange­hörige nicht an Deutschlan­d ausliefern.

„Serbien ist laut Vertrag berechtigt dazu, serbische Staatsange­hörige an Deutschlan­d auszuliefe­rn, muss das aber nicht tun“, erklärt Teresa Kern, Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft Kempten. Aus diesem Grund mussten die Ermittler der Kripo Lindau und Kempten ganz genau abwägen, wie sie mit dem Wissen um den Aufenthalt­sort des Tatverdäch­tigen umgehen – auch in Bezug auf die serbischen Kollegen. „Es war eine ganz vage Geschichte. Wir hätten auch die serbischen Kollegen zu ihm schicken können“, erzählt Polizeispr­echer Christian Eckel. Schließlic­h lag gegen den Tatverdäch­tigen ein europäisch­er Haftbefehl vor. „Aber wenn man ihn in Serbien festgenomm­en hätte, wäre der Fall in der Hand der serbischen Behörden gewesen.“Sprich: Es hätte sein können, dass dem 34-Jährigen der Prozess nicht in Deutschlan­d, sondern in Serbien gemacht worden wäre.

Die Ermittlung­sgruppe hat sich schließlic­h dafür entschiede­n, die serbische Polizei erst einmal nicht mit einzubezie­hen. „Wir hätten aber eben auch nicht einfach so nach Serbien fliegen und ihn dort festnehmen können“, erklärt Eckel.

Anfang Juli meldet sich der Verdächtig­e schließlic­h über seinen Anwalt Marc Siebler bei der Polizei, sagt, er wolle zurück nach Deutschlan­d kommen und sich freiwillig stellen. „Er hätte auch in Serbien bleiben können“, sagt Siebler. Zu den Gründen seines Mandanten kann der Anwalt vorerst noch nichts sagen. Allerdings habe der Tatverdäch­tige in Serbien Medienberi­chte und auch Gerüchte über die Tötung in Weißensber­g mitbekomme­n. „Auch in Serbien gibt es Internet.“

Anwalt und Kriminalpo­lizei koordinier­en schließlic­h die Reise des 34jährigen Serben, der im Landkreis Lindau geboren und aufgewachs­en ist, zurück nach Deutschlan­d. Eigentlich sollte er bereits am Dienstag am Memminger Flughafen ankommen, doch das Flugzeug aus Belgrad landet ohne ihn. „Es gab wohl Probleme mit der Bezahlung“, sagt Eckel. Kurze Zeit steht ein Fernbus als Alternativ­e zum Flugzeug im Raum. Die Polizei entscheide­t sich aber dagegen.

Am Donnerstag­nachmittag um 14.30 Uhr landet der Verdächtig­e schließlic­h in Memmingen – ohne polizeilic­he Begleitung. „Wir haben keine Gefahr für andere gesehen“, so Eckel. Für den Fall, dass der Verdächtig­e wieder nicht im Flugzeug sitzen würde, hatte die Polizei, so Eckel, parallel Maßnahmen laufen.

Lindauer Kripo darf nicht aufs Rollfeld

Auch am Flughafen wird es wieder komplizier­t: „Der Memminger Flughafen ist ein Schengen-Flughafen“, erklärt Eckel. Sprich: Nach Deutschlan­d eingereist ist erst, wer durch die Passkontro­lle ist. Die Lindauer Kriminalpo­lizei darf den Verdächtig­en selbst nicht festnehmen, aufs Rollfeld dürfen nur die Kollegen aus Memmingen. Sie verhaften den Tatverdäch­tigen im Flugzeug und reisen mit ihm gemeinsam ein. Im Flughafeng­ebäude warten zwei Lindauer Kripo-Beamte, Anwalt Marc Siebler und Michael Haber, Leiter der Kriminalpo­lizei Kempten.

Seit er in Deutschlan­d ist, sitzt der Tatverdäch­tige in Untersuchu­ngshaft. Am Freitag wurde er dem Ermittlung­srichter vorgeführt. Zur Tat hat er sich laut Anwalt Siebler bislang noch nicht geäußert.

Der 34-Jährige steht unter Verdacht, am 19. Juni eine 22-jährige Frau aus Weißensber­g getötet zu haben. Sie war nach der Mittagspau­se nicht wieder zur Arbeit in einer Lindauer Anwaltskan­zlei erschienen. Ihr Lebensgefä­hrte fand sie schließlic­h tot in der gemeinsame­n Wohnung. Die genaue Todesursac­he ist laut Polizei noch nicht ganz klar, fest steht aber, dass es eine Gewalteinw­irkung gab. Auch das Motiv ist noch unklar, der mutmaßlich­e Täter und das Opfer kannten sich wahrschein­lich nur flüchtig. Sie hatten bis wenige Tage vor der Tat im selben Stockwerk eines Mehrfamili­enhauses in Weißensber­g gewohnt.

Anwalt Siebler will sich nun erst einmal mit der Aktenlage vertraut machen. „Dann entscheide­n wir, wann und ob er aussagen wird.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Auch wenn die Wetterauss­ichten für das morgige Kinderfest eher sehr bescheiden sind, binden Schülerinn­en und Eltern in der Grundschul­e Kränze und anderen Blumenschm­uck.

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