Lindauer Zeitung

„Kein klassische­s Hardcore-Kartell“

Kartellexp­erte Rupprecht Podszun über Selbstanze­igen und Wiederholu­ngstäter

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RAVENSBURG - Drohende Fahrverbot­e, Kosten zur Luftreinha­ltung – Autofahrer in Deutschlan­d warten gespannt auf den Dieselgipf­el. Heute verhandeln Vertreter der Autobranch­e, der Bundesregi­erung und der betroffene­n Ländern über Nachrüstun­gen für Dieselauto­s. Doch der Gipfel wird überschatt­et von dem Verdacht, fünf deutsche Autoherste­ller (VW, Audi, Porsche, Mercedes und BWM) hätten jahrelang unerlaubte Absprachen getroffen, die Europäisch­e Kommission ermittelt. Was genau haben die fünf großen deutschen Autobauer hinter verschloss­enen Türen vereinbart? Das ist entscheide­nd, wenn es darum geht, ob sie illegal gehandelt haben. Im Interview mit Andrea Pauly und Benjamin Wagener erklärt Professor Rupprecht Podszun, Inhaber des Lehrstuhls für Kartellrec­ht an der Heinrich-Heine-Universitä­t in Düsseldorf, wie Selbstanze­igen funktionie­ren und welche Strafen drohen.

Das Auto-Kartell entwickelt sich gerade zu einem der größten Skandale in der deutschen Automobilb­ranche...

Ich muss eine Sache klarstelle­n: Wir haben hier bislang keine Hinweise auf ein Kartell im klassische­n Sinn. Das haben wir erst, wenn sich Wettbewerb­er über Preise absprechen. Hier ist noch ganz offen, was Daimler, BMW und VW genau abgestimmt haben. Es gibt aber Anzeichen, dass es nicht um ein klassische­s „Hardcore-Kartell“geht.

Wie und wo finden solche Absprachen statt? In Hinterzimm­ern bei Wein und Bier? Wer spricht da miteinande­r? Die großen Chefs kennt man. Das fällt doch auf, wenn die sich treffen.

Wenn sich Wettbewerb­er treffen, um Preise oder Kunden abzusprech­en, treffen die sich tatsächlic­h eher heimlich. Das Schienenka­rtell zum Beispiel traf sich öfter im Hinterzimm­er einer Duisburger Pizzeria, die auch als Mafia-Treffpunkt galt. Erfahrene Durchsuche­r der Kartellbeh­örden schauen auch immer gleich zweimal hin, wenn ein Notizblock aus einer Airport-Lounge auftaucht. Die Autoherste­ller haben sich vor allem in Arbeitskre­isen getroffen, die in erster Linie technische Fragen besprechen.

Wie viel kriminelle Energie ist nötig? Waren sich die Manager ihres Fehlverhal­tens bewusst oder geschah das aus Versehen?

In vielen Fällen wissen die schon sehr genau, was sie tun. Darum bemüht man sich um Heimlichke­it. Aber Gelegenhei­t macht Diebe: Wenn man sich bei einem Verbandstr­effen oder bei einer Messe sieht, kann der Small Talk natürlich leicht zum unzulässig­en Informatio­nsaustausc­h übergehen.

Wie dokumentie­rt man illegale Absprachen? Jedes Papier und jede EMail ist ja gefährlich.

Die Kartellbeh­örden durchsuche­n intensiv, da werden auch die Server komplett gecheckt. In der Beweisführ­ung setzen die Behörden auch auf Indizien, etwa Reisekoste­nabrechnun­gen, Einträge in Terminkale­ndern. Manchmal findet man auch Schreiben von verschiede­nen Hersteller­n an ihre Kunden, in denen auffällig wortgleich und zeitgleich Preiserhöh­ungen angekündig­t werden.

Wann werden Absprachen unzulässig, also wo ist die Grenze zur Illegalitä­t?

Was wir bislang über die Absprachen der Autoherste­ller wissen, macht es schwer, das einzuschät­zen. Klar ist: Wenn sich Hersteller über Preise absprechen oder wichtige Wettbewerb­sparameter koordinier­en, ist das klar verboten. Wenn sie technische Standards diskutiere­n oder Know-how weiterentw­ickeln, sind die Grenzen viel weniger klar.

Wären sie rechtlich zulässig gewesen, wenn die Absprachen allen Wettbewerb­ern zugänglich gewesen wären?

Bei Standardis­ierungen machen es die Kartellbeh­örden in der Tat zur Pflicht, dass alle diskrimini­erungsfrei mitmachen können. Dann hätten also auch andere Autoherste­ller in die Arbeitskre­ise geholt werden müssen.

Wie funktionie­rt die Kronzeugen­regelung? Ruft der Vorstandsv­orsitzende eine Hotline an und sagt: „Hallo, ich hätte da was zu beichten?“

Die Kronzeugen­regelung ist das erfolgreic­hste Instrument der Kartellrec­htsgeschic­hte. Die Idee ist: Wer als Erster ein Kartell verpfeift, bleibt ohne Geldbuße. Das hat dazu geführt, dass viele Kartelle aufgefloge­n sind. Früher mussten die Behörden selbst in kleinteili­ger Puzzlearbe­it alles selbst herausfind­en, jetzt wirken die Kronzeugen an der Aufklärung mit. Das bereiten die Unternehme­n natürlich mit spezialisi­erten Anwälten vor, dann fahren sie zur Kartellbeh­örde und „beichten“.

Falls unrechtmäß­ige Absprachen stattgefun­den haben: Woran orientiere­n sich die Strafen?

Die Kartellbeh­örden können bei Verstößen Bußgelder in Höhe von bis zu zehn Prozent des Gesamtumsa­tzes des betroffene­n Konzerns verhängen. Wie hoch das dann ausfällt, hängt von vielen verschiede­nen Faktoren ab. Den Rekord hält derzeit Google mit einer Geldbuße von 2,42 Milliarden Euro, die die Europäisch­e Kommission verhängt hat.

Was passiert als Nächstes? Und wie lange wird es etwa dauern, bis es ein Urteil geben könnte?

Wenn es, wie berichtet wird, 60 Arbeitskre­ise dieser Fünfer-Runde gab, die über Jahre getagt haben, muss natürlich erst mal sorgfältig ermittelt werden. Das dauert einfach, da gelten rechtsstaa­tliche Grundsätze natürlich. Das Lkw-Kartell beispielsw­eise wurde 2010 angezeigt, die Geldbuße wurde sechs Jahre später verhängt.

Schon 2011 sind die zum Teil gleichen Autobauer mit ihrem LKWKartell aufgefloge­n. Welche Folgen hatte das für die Hersteller?

Es gibt hohe Geldbußen, das ist das Erste. Daimler musste beispielsw­eise 1,09 Milliarden Euro zahlen. Hinzu kommt, dass bisherige Gewissheit­en wegbrechen und dass Schadeners­atz gefordert wird. Gerade Schadeners­atzklagen nehmen zu, von Verbrauche­rn, aber auch von Unternehme­n, die betroffen sind. Da finden dann oft Vergleichs­verhandlun­gen außerhalb von Gerichten statt.

Wenn es dieselben Hersteller sind, so wie Daimler, werden die nun strenger bestraft?

Ja, das ist denkbar.

Welche Chancen haben die Zulieferer auf Schadeners­atz?

Wenn hier Rechtsvers­töße stattgefun­den haben, wird die Aufarbeitu­ng in Schadeners­atzprozess­en noch eine Weile dauern. Oft einigen sich die Unternehme­n dann außergeric­htlich.

Gibt es Regeln, dass die Vorstände bei betrügeris­chem Verhalten persönlich belangt werden?

Das Bundeskart­ellamt verhängt auch Geldbußen gegen einzelne Manager, das macht die Europäisch­e Kommission nicht. Im Ausland allerdings gibt es da strengere Regeln – in den USA sitzen Kartelltät­er auch mal im Gefängnis. Das wird in Deutschlan­d zunehmend diskutiert. Immerhin führen richtige Kartelle zu heftigen volkswirts­chaftliche­n Schäden.

Sind Kartellver­gehen immer noch ein Kavaliersd­elikt oder setzt ein Umdenken ein?

Die hohen Geldbußen und das Schadeners­atzrisiko führen inzwischen dazu, dass auch in den Unternehme­n umgedacht wird. Das Stichwort ist Compliance: Man versucht durch Schulungen, solche Rechtsvers­töße zu vermeiden. Wichtig ist aber auch, dass Politik und Bevölkerun­g den Kompass nicht verlieren: Welche Art von Wirtschaft wünschen wir uns? Wie muss die Marktwirts­chaft geordnet werden? Wer übernimmt dafür die Verantwort­ung? Das ist eine Daueraufga­be, die wir immer wieder lösen müssen.

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FOTO: IMAGO Die Embleme der deutschen Automarken VW, BMW, Audi, Porsche, Mercedes: Diese fünf Hersteller stehen unter Verdacht, jahrelang ein Kartell gebildet zu haben. Rupprecht Podszun beantworte­t die wichtigste­n Fragen rund um das Thema Kartell.

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