Von Lindau in die Drei-Sterne-Küche
Lukas Meßmer will hoch hinaus in einer Branche mit Nachwuchssorgen
LINDAU - Viel Stress, lange Arbeitszeiten: Warum sollten junge Leute noch Koch werden? Weil es ein direkter und kreativer Beruf ist, sagt Lukas Meßmer. Der Jungkoch aus Lindau kocht mittlerweile so gut, dass sich die Haute Cuisine, die gehobene Küche, für ihn interessiert.
In der Küche des Berufsschulzentrums herrscht reges Treiben: Es ist Prüfungstag. Lukas Meßmer, 20 Jahre alt, trägt seine weiße Kochjacke mit der Aufschrift Schachener Hof und hat eine Kochmütze auf dem Kopf. Er checkt seinen Warenkorb. Kontrolliert, ob auch alle Zutaten da sind. Schreibt einen Ablaufplan, der ihm später in der Prüfung helfen soll, sich zu organisieren. „Süßkartoffelstroh hobeln“steht darauf, oder „Bohnen schneiden und blanchieren“. Dann fängt er an, Gemüse in feine Streifen zu schneiden. „Je länger die Vorbereitungszeit in einem Restaurant ist“, sagt er, „desto besser ist es.“In fünf Stunden muss er sein Menü drei Prüfern servieren.
Sein Menü hat Meßmer selbst kreiert und vor vier Wochen beim Prüfungsausschuss eingereicht: Pastetchen vom Rauchfelchen mit Avocado zur Vorspeise, Dreierlei vom Kalb als Hauptspeise und zum Dessert „Himbeere und Schokolade“. Vor der Prüfung stand es auf der Karte des Schachener Hofs, damit er es im Küchenalltag üben kann.
Nicht alles wie bei Tim Mälzer
Meßmer wollte seine Ausbildung in einem Betrieb machen, der seinen Vorstellungen entspricht. Deshalb hat er vorher acht Praktika absolviert. Er hat das aber auch gemacht, um zu wissen, worauf er sich einlässt. „Viele junge Leute gucken Fernsehen, sehen da Tim Mälzer kochen und denken, das ist die Realität“, sagt Liam McMahon, einer der Prüfer. Dass eine Kochausbildung anders aussieht als das lockere 30Minuten-Kochen im Fernsehen, wird vielen bald klar: In Meßmers Jahrgang hat ein Drittel der AuszubildenKochlehrstellen den die Lehre abgebrochen. Einer davon, sagt der Jungkoch, weil er seine Freunde selten gesehen hat. Meßmer kann das nicht verstehen. Er habe durch seinen Beruf nicht Freunde verloren, sondern neue gewonnen.
In der Küche wird es heißer, langsam breitet sich Hektik unter den Prüflingen aus. Noch eineinhalb Stunden hat Meßmer Zeit, dann muss er servieren. Es duftet nach in Butter gebratenem Fleisch und Rotwein, der in einem Topf vor sich hin kocht. Auf seinem Tisch dampft ein Sieb mit blanchierten Karotten, während der Prüfling Sahne unter eine hellrosa Creme rührt. Er ist konzentriert, aber nicht aufgeregt, anders als noch vor ein paar Stunden. „Als ich angefangen habe zu kochen, war die Aufregung weg.“Der angehende Koch ist aus dem Arbeitsalltag Druck gewohnt: „Jeder Teller muss perfekt sein“. Wenn er es nicht ist, beschwert sich der Gast. „Kochen ist ein sehr direkter Beruf. Das ist das Schöne daran.“Manche schreckt die Direktheit in der Küche aber ab. Köche sollten nicht allzu sensibel und nachtragend sein, sagt Meßmer. „Im Stress in der Küche rutscht halt vielleicht mal etwas raus.“
Die kleinen Kalbsschnitzel in Meßmers Pfanne brutzeln noch kurz im Fett, während er vorsichtig Frikadellen und Kalbsrolle auf Bohnenund Paprikagemüse neben Süßkartoffelpüree drapiert. Er schmeckt die dunkle Soße ab, die er dann vorsichtig über die vorgewärmten Teller tröpfelt. Eine Serviceschülerin holt den Hauptgang kurze Zeit später und trägt ihn in den Gastraum.
Nach dem Dessert betreten die angehenden Köche den Raum. „Ihr habt einen sicheren Job“, sagt Markus Anselment von der IHK Schwaben. „Wenn es keinen Tourismus mehr gibt, gibt es auch keine Welt mehr.“
Küchen gehen die Köche aus
Das Paradoxe daran ist: Immer weniger wollen die Arbeit machen, die so sicher ist. Laut Agentur für Arbeit sind derzeit fast die Hälfte aller im Landkreis Lindau noch unbesetzt. „Früher, als ich hier angefangen habe, habe ich noch eine ganze Woche geprüft“, sagt McMahon. Mittlerweile reichen zwei Tage. Laut Alexander Spies, Bereichsleiter für Gastronomie der Berufsschule, liegt das vor allem daran, dass der Job mit vielen Vorurteilen behaftet ist: lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, rauer Umgangston. „Das ist aber alles schon besser geworden“, sagt er. Ein anderer Grund sei, dass sich insgesamt immer weniger junge Leute für eine Ausbildung interessieren,“sagt McMahon: „Die gehen alle weiter zur Schule und wollen studieren“. Und von denen, die eine Lehre zum Koch anfangen, brechen viele wieder ab.
Mit dem Dessert ist es noch nicht getan: Meßmer muss noch ein abschließendes Prüfungsgespräch führen. Die Prüfer stellen Fragen zu seinem Menü: „Mit welchem Aperitif würden sie anfangen?“, fragt McMahon. Meßmer setzt auf regionale Produkte, der Jahreszeit angemessen. Er ist perfekt vorbereitet, auf jede Frage hat er eine umfangreiche Antwort. Einen Schüler wie Meßmer sehen die Prüfer gerne. „Der geht in seiner Freizeit fürs Praktikum ins Drei-Sterne-Restaurant und kocht“, sagt McMahon. „Das ist ein TopMann.“
„Top-Männer“gibt es aber immer weniger. „Früher war die Auswahl an Bewerbern größer“, sagt Prüfer KarlHeinz Röss. Die Betriebe müssten bei der Auswahl ihrer Auszubildenden immer mehr Abstriche machen. Einen so guten Tag wie heute hätten die Prüfer schon lange nicht mehr gehabt: Alle Auszubildenden haben bestanden.
Noch bis September bleibt Meßmer in Lindau, dann geht er nach Köln, ins Restaurant „Vendome“eins von zehn Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland. Dort wird er Commis de Cuisine, das heißt Jungkoch. McMahon bestärkt ihn zum Abschied: „Geh Du jetzt mal Sterne kochen.“