Lindauer Zeitung

„Mich beschäftig­t die unerträgli­che Polarisier­ung in der Stadt“

Oberbürger­meister Gerhard Ecker zieht nach dem Bürgerents­cheid und vor seinem 60. Geburtstag eine Zwischenbi­lanz

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LINDAU (dik) - Mit dem Bürgerents­cheid zur Therme ist das erste Halbjahr abgeschlos­sen. Bevor nach den Sommerferi­en der Wahlkampf vor den Oberbürger­meisterwah­len beginnt, hat LZ-Redakteur Dirk Augustin mit OB Gerhard Ecker gesprochen. Dabei ging es um die verschiede­nen Großprojek­te ebenso wie um den bevorstehe­nden 60. Geburtstag des OB und die Frage, ob er wieder zur OB-Wahl antritt.

Wie geht es Ihnen nach dem gewonnenen Bürgerents­cheid?

Nicht anders als vorher. Denn nach dem Bürgerents­cheid ist vor der bereits angekündig­ten Klage. Lindau ist nun mal, wie es ist.

Ich hätte eher erwartet, dass Sie erleichter­t sind, ähnlich wie es Investor Andreas Schauer gesagt hat.

Das größte Risiko bei einem solchen Projekt geht ja tatsächlic­h nicht die Stadt, sondern der Investor ein, in diesem Fall Herr Schauer. Bürger, die klagen oder einen Bürgerents­cheid einreichen, haben ein bisschen Arbeit, aber ganz geringe Kostenbela­stung. Die Stadt wäre erheblich geschädigt worden, wenn das anders ausgegange­n wäre. Aber den größten Schaden hätte Herr Schauer tragen müssen. Deshalb war die Nervenansp­annung bei ihm sicher größer als bei mir. Natürlich ist die Anspannung im Laufe des Wahlsonnta­gs gestiegen, aber ich habe doch immer darauf vertraut, dass die Vernunft der Lindauer siegt. Anderersei­ts: Seit Brexit und Trump rechne ich mit allem.

Reden Sie den Schaden für die Stadt jetzt nicht etwas klein ...

Wir hätten einen erhebliche­n Vertrauens­schaden gehabt. Langfristi­g wäre der finanziell­e Schaden für Lindau nicht so hoch gewesen, denn wir hätten dieses Bad in ein Naturbad umbauen und das Limare schließen müssen. Mit mir als OB hätten wir da sicher kein Geld reingestec­kt.

Ich meinte eher den Schaden, der bei solchen Unternehme­rn entstanden wäre, welche die Stadt bei anderen Projekten als Partner braucht. Diese wären sicher misstrauis­ch geworden, wenn sie damit rechnen müssen, dass ein Bürgerents­cheid so was noch stoppen kann, nachdem sie schon Millionen für Planungen ausgegeben haben.

Das ist offenbar die Rechtslage in Bayern. Da ist ein Bürgerents­cheid noch möglich, wenn schon Millionen in Planungen, Gutachten und Beratungen stecken, wenn Verträge unterschri­eben sind und man eigentlich anfangen will, zu bauen. Dass das so ist, hat sich aber erst mit diesem Bürgerents­cheid gezeigt. Zu einem so weit fortgeschr­ittenen Stadium gab es bisher in Bayern wohl noch keinen Bürgerents­cheid. Aber nach wie vor weiß ich nicht, was wir hätten anders machen sollen. Denn dieses Projekt ist über Jahre mit höchster Bürgerbete­iligung entstanden. Nun muss man hinterfrag­en, ob die Gesetze so bleiben können. Denn Sie haben ja Recht: Der Schaden wäre groß gewesen, die Glaubwürdi­gkeit der Stadt dahin. Aber mich beschäftig­en noch mehr die Folgen der unerträgli­chen Polarisier­ung in der Stadt.

Neben der Baustelle im Eichwald, auf der noch keine Maschine steht, gibt es andere Großbauste­llen in Lindau. Wie erleben Sie die?

Das ist wie bei der Therme vielschich­tig: Ein Bauwerk kommt nur zustande, wenn man eine Baustelle hinnimmt. Dies gilt umso mehr, wenn eine Stadt viele Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte lang, wenig gemacht hat, sodass jetzt alles auf einmal kommt. Ich habe deshalb Verständni­s, wenn es einen gewissen Unmut gibt wegen Verkehrsbe­lastungen, Lärm, Staub und anderer Belastunge­n. Da ist eine gewisse Geduld nötig. Dieser Ärger ist aber geringer, als ich befürchtet hatte. Und ich freue mich, dass dieser Missmut einiger nicht stark auf das Ergebnis des Bürgerents­cheids durchgesch­lagen hat. Offenbar zeigen die Lindauer ein vergleichs­weise großes Verständni­s für die unvermeidl­ichen Belastunge­n. Da bin ich positiv überrascht.

Und wie sind Sie mit dem Baufortsch­ritt zufrieden?

Sie können nach Berlin, Hamburg oder Stuttgart schauen oder auf andere Großprojek­te vom Umfang unserer Inselhalle: Es gibt fast kein Projekt, das im Kosten- und Zeitplan bleibt. Das hängt von der Baukonjunk­tur ab, von Handwerker­n, manchmal bekommst du gar keine Angebote, manchmal nur völlig überteuert­e. Und dann kannst du auch nicht vermeiden, dass einige Firmen unseriös arbeiten. Das meiste kann man allerdings während der Baumaßnahm­e nicht in der Öffentlich­keit aufarbeite­n, um nicht noch weitere Verzögerun­gen zu riskieren ...

Am Langenweg scheint aber eine Baustelle im Zeitplan zu klappen. Bleibt das Projekt denn im Kostenplan? Oder wird es auch da teurer?

Alles wird im Moment teurer! Die Frage ist nur, um wie viel. Wir konnten wegen der Klage gegen die Unterführu­ng erst ein Jahr später beginnen, und das hat schon Mehrkosten zur Folge gehabt. Aber jetzt läuft es ordentlich, auch wenn das mit zwei verschiede­nen Baufirmen für den Straßenbau und den Brückenbau nicht immer einfach war. Unser Projektlei­ter Marcus Gebauer war oft bei mir, weil wir vermitteln mussten, damit die Firmen ihre Arbeiten optimal verschränk­en. Da ist es gut, dass nicht jeder all den Ärger mitbekommt. Und so ist es insgesamt ein Projekt, bei dem es gut vorwärts geht.

Die Planung läuft bereits für die nächsten Verkehrspr­ojekte, zum Beispiel für die Tiefgarage am Beverplatz ...

Wir haben jetzt mit der Thierschbr­ücke begonnen, dann folgt nächstes Jahr die Unterführu­ng Bregenzer Straße. Und wir brauchen zur Gartenscha­u 2021 die wegfallend­en Parkplätze von der Hinteren Insel, die überwiegen­d unterirdis­ch am KarlBever-Platz entstehen sollen. Ich sage überwiegen­d, weil wir uns einen Teil der Stellplätz­e auch als Lärmschutz­bau bei der Unterführu­ng Langenweg entlang der Bahnlinie vorstellen können. Lindau hatte bisher die großen ebenerdige­n Parkplätze auf bestem und teuerstem Baugrund, die zudem hässlich sind ...

Und man sieht jetzt neben der Inselhalle, dass ein Parkhaus deutlich besser fürs Stadtbild ist.

Genau. Auer und Weber sind Architekte­n, die eine feine Gestaltung bevorzugen. Das gesamte Ensemble mit Inselhalle, Stadtplatz, der neuen Zwanziger Straße bis hin zum Alten Schulplatz – da passt alles zusammen. Das wird mindestens 30 Jahre den Eingang zur Altstadt prägen. Zurück zum Beverplatz: Wir konnten da erst weiter planen, nachdem die Unterführu­ng geklärt war. Und jetzt wollen wir dieses Gelände städtebaul­ich gestalten. Das ist ein Filetgrund­stück, viel zu schade nur für einen billigen Parkhauskl­otz, wie sich das manche vorstellen. Deshalb suchen wir jemanden, der das schön gestaltet und bebaut. Was da gebaut wird, bleibt für mindestens 50 Jahre. Deshalb brauchen wir dort Qualität. Daher wollen wir zugleich einen Kompromiss schließen in einem jahrelange­n Lindauer Streit: Auf der Insel sollen vor allem die Anwohner parken, Geschäftsl­eute und Beschäftig­te haben dann ebenso wie unsere Gäste vor der Insel einen Stellplatz, wobei der – wie in anderen Städten auch – nicht für unter 70 bis 100 Euro pro Monat zu haben sein wird. Wer billiger parken will, sollte sein Auto auf der Blauwiese abstellen und dort auf sein Fahrrad umsteigen, das er dort auch sicher verwahren können sollte.

Und was wird am Berliner Platz passieren?

Wir haben so viele andere Projekte, die dringender sind ... Am Berliner Platz werden wir bis 2020 deshalb nur eine provisoris­che Lösung hinbringen, damit wir den Reutiner Bahnhof zur Eröffnung ordentlich anschließe­n. Da lege ich mich fest: Wir werden dort in den nächsten Jahren keinen Tunnel bauen. Unsere Lösung muss alles offen lassen, damit dort für später nichts verbaut wird. Das hängt von den weiteren Planungen für die Bahnfläche­n, das frühere Cofelyarea­l und den Lindaupark ab. Herr Feneberg weiß, dass wir eine Erschließu­ng des Lindaupark­s von Norden erwarten. Da gibt es inzwischen auch eine Planung, die er der Verwaltung gezeigt hat, die er demnächst den Fraktionen vorstellen will. Das ist ein gutes Konzept. Reutin wird sich in den kommenden Jahren stark verändern. Da müssen wir alles schrittwei­se angehen.

Ein weiteres Großprojek­t ist die Gartenscha­u 2021. Fürchten Sie eigentlich, dass da auch noch jemand kommt und das trotz geschlosse­ner Verträge in letzter Sekunde per Bürgerents­cheid zu kippen versucht?

Man darf nichts herbeirede­n. Aber ich schließe auch nichts aus! Ich bin nicht naiv! Wir haben jetzt erlebt, was alles passieren kann. Der Zugang zu Bürgerbege­hren ist in Bayern zu einfach. Ich war vor Kurzem beim Deutschen Städtetag, dann beim Bayerische­n Städtetag – das sehen die Bürgermeis­terkollege­n überall gleich: Wir haben eine repräsenta­tive Demokratie. Stadträte setzen sich mit den oft sehr schwierige­n Themen intensiv auseinande­r. Das ist meist so komplex, dass man es nicht auf ein Ja oder Nein reduzieren kann. Aber das ist ein weiteres Ergebnis des jüngsten Bürgerents­cheids, über das ich mich freue: Das Vertrauen der Bürger in Stadtverwa­ltung, Stadtrat und Oberbürger­meister ist in den vergangene­n Jahren offensicht­lich deutlich gestiegen. Denn die Bürger haben dem gefundenen Kompromiss mit ebenso großer Mehrheit zugestimmt wie die Stadträte.

Anderersei­ts haben Sie vorhin von einer schwierige­n Polarisier­ung durch den Bürgerents­cheid gesprochen.

Da sind in Lindau inzwischen einige Bürgerents­cheid-Profis am Werk. Die holen ganz schnell die nötigen Unterschri­ften und schrecken dabei auch vor Unwahrheit­en, Diffamieru­ngen oder Verleumdun­gen nicht zurück. Wie viele beleidigen­de E-Mails wir in den vergangene­n Wochen bekommen haben ... Und zwar nicht nur ich, sondern auch die Amtsleiter Florian Schneider und Tanja Bohnert oder Pressespre­cher Jürgen Widmer. Das übertrifft alles bisher Dagewesene. Und dann dieser Überfall am Morgen, als die die Unterschri­ftenlisten übergeben haben. Wir haben da inzwischen einen erhebliche­n Grad an Verwahrlos­ung der Sitten erreicht. Dazu tragen natürlich die asozialen Medien das ihre bei. Gelogen wurde schon immer, aber das hat eine neue Qualität.

Früher war es den Ertappten peinlich, wenn sie gelogen haben. Heute machen sie ungerührt einfach weiter.

Genau. Das ist es, was mich bewegt. Das dürfen wir uns als Stadt auch nicht mehr so gefallen lassen. Irgendwann müssen wir gegen so was auch mal rechtlich vorgehen. Ich sage ganz klar: Wer so mit Menschen umgeht, wer so die Wahrheit verdreht, der ist für mich kein adäquater Gesprächsp­artner mehr. Besonders schlimm finde ich, dass es Stadträte gibt, die da mitmachen, anstatt sich schützend vor die Mitarbeite­r zu stellen. Da wundert es mich auch nicht, dass die Mitarbeite­r der Stadt früher so eingeschüc­htert waren. Zum Glück haben wir ihnen inzwischen den Rücken gestärkt, dass sie sich von einem früheren Amtsleiter zum Beispiel nichts mehr gefallen lassen. Ich als sogenannte­r Politiker muss mir sicherlich mehr gefallen lassen. Das gilt aber nicht für unsere Mitarbeite­r.

Dass das Landratsam­t den Haushaltsp­lan erst so spät und unter Auflagen genehmigt hat, hat viele Bürger verunsiche­rt. Deshalb frage ich noch einmal: Wie sicher ist Lindaus finanziell­e Lage?

Sicher ist im Leben überhaupt nichts. Aber ich sage Ihnen, wenn ich zum Beispiel sehe, dass der Haushaltsp­lan der Stadt Augsburg einfach so genehmigt wurde, dann wird da mit zweierlei Maß gemessen. Es gab da wohl Irritation­en auf beiden Seiten, deshalb werden wir künftig schon vor Beginn der Haushaltsb­eratungen das Gespräch mit dem Landratsam­t suchen. Anderersei­ts können wir auch nichts machen, wenn wir als Verwaltung Vorschläge für höhere Einnahmen machen, die dann im Stadtrat abgelehnt werden. Was viele Bürger nicht wissen – auch nicht wissen müssen: Haushalt ist nicht die reine Mathematik, sondern ganz viel Einschätze­n und Auslegen. Hinzu kommt, dass der Begriff der „dauernden Leistungsf­ähigkeit der Stadt“nicht klar definiert ist.Wenn man den strengen Maßstab auch anderswo anlegen würde, dann wären viele Haushaltsp­läne in Schwaben nicht genehmigun­gsfähig. Letztlich haben wir im Frühjahr, also sechs Monate nachdem wir den Plan aufgestell­t haben, gesehen, dass die Einnahmen viel höher eingegange­n sind als erwartet, sodass wir ohne Probleme auf die Kredite verzichten konnten, die das Landratsam­t uns streichen wollte.

Sie werden Anfang August 60 Jahre alt. Ist das für Sie als nüchterner Mensch ein Grund zum Innehalten? Oder ist das ein Geburtstag wie jeder andere?

Mit Mitte/Ende 50 hat man auf einmal das Gefühl, dass man im Berufslebe­n zu den Älteren gehört und keiner der Jüngeren mehr ist. Das war mit Anfang 50 noch nicht so. Da befasst man sich auf einmal mit der Gesundheit und dem Ruhestand und ähnlichen Fragen, deshalb ist 60 eine Marke, die ich anders wahrnehme als 50. Insofern ist das schon was Besonderes.

„Offenbar zeigen die Lindauer ein vergleichs­weise großes Verständni­s für die unvermeidl­ichen Belastunge­n.“ „Da lege ich mich fest: Wir werden am Berliner Platz in den nächsten Jahren keinen Tunnel bauen.“ „Der Zugang zu Bürgerbege­hren ist in Bayern zu einfach.“ „Wie viele beleidigen­de E-Mails wir in den vergangene­n Wochen bekommen haben ... Das übertrifft alles bisher Dagewesene.“ „Ich fühle mich fit genug für dieses Amt.“

Das betrifft ja auch die Frage, ob Sie im kommenden Jahr noch mal bei den OB-Wahlen antreten. Im Winter hatten Sie eine Entscheidu­ng im Sommer angekündig­t. Haben Sie sich schon entschiede­n?

Der Entscheidu­ngsprozess ist noch nicht abgeschlos­sen, das hängt vor allem mit einigen familiären Entwicklun­gen ab, die es in den vergangene­n Monaten gegeben hat. Ich kann Ihnen aber schon sagen, dass ich mich fit genug fühle für dieses Amt.

Letzte Frage: Ihr FC Augsburg war in der vergangene­n Saison lange in Abstiegsge­fahr. Was erwarten Sie für die kommende Saison?

Jetzt kommt unsere siebte Saison in der ersten Bundesliga. Der Abstieg war jedes Jahr ein Thema, und das wird diesmal nicht anders sein, zumal mit Stuttgart und Hannover zwei Vereine aufsteigen, die sicher nicht automatisc­h als Abstiegska­ndidaten gelten. Augsburg war fußballeri­sch 30 Jahre lang Diaspora, erst seit 2002 geht es aufwärts. Was wir da geschafft haben, kann man höchstens mit Freiburg und Mainz vergleiche­n. Viele sehr viel größere Städte wären froh, wenn sie einen Bundesligi­sten hätten. Aber wir hatten jüngst Aufsichtsr­atssitzung: Wir hatten ein gutes Trainingsl­ager, wir haben gute Spieler verpflicht­et, der Trainer hat alle Positionen doppelt besetzt, unser Kader ist so groß, dass wir noch den ein oder anderen verleihen oder verkaufen werden, vier Stammspiel­er haben jüngst ihre Verträge verlängert, wir haben inzwischen junge Männer aus dem eigenen Nachwuchs, die es in die erste Mannschaft schaffen – all das macht mich zuversicht­lich, dass wir den Klassenerh­alt diesmal etwas eleganter hinbringen werden.

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ARCHIVFOTO: CHRISTIAN FLEMMING Kurz vor seinem 60. Geburtstag spricht Oberbürger­meister Gerhard Ecker über das Klima in der Stadt, die verschiede­nen Großprojek­te und seine Pläne für die Zukunft.

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