Lindauer Zeitung

Belgische Behörden wussten seit Juni von den Fipronilei­ern

Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) weist Kritik an seinem Krisenmana­gement zurück

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BERLIN (dpa/AFP) - Der Skandal um mit dem Insektengi­ft Fipronil belastete Eier und daraus hergestell­te Produkte weitet sich aus. Aus Belgien wurde am Wochenende bekannt, dass die dortigen Behörden schon seit Anfang Juni die giftige Substanz in Geflügelbe­trieben vermuteten – Wochen, bevor sie andere EU-Länder informiert­en. In Niedersach­sen wird weiter nach den Hintermänn­ern einer Briefkaste­nfirma gesucht, an die mit Fipronil versetztes Reinigungs­mittel geliefert wurde. Die Gefahren für Verbrauche­r sind laut Experten aber überschaub­ar.

Derzeit wird angenommen, dass ein belgischer Hersteller einem gängigen Reinigungs­mittel verbotener­weise Fipronil beimengte und die Mischung an Betriebe in Belgien, den Niederland­en und Deutschlan­d verkaufte. In den Niederland­en wurden am Wochenende 14 weitere Identifizi­erungscode­s belasteter Eier veröffentl­icht. Insgesamt lag die Zahl gelisteter Kennzeichn­ungen am Sonntag bei 170.

Den belgischen Behörden war der Verdacht schon lange bekannt. „Ein belgisches Unternehme­n hat uns gemeldet, dass es ein Problem mit Fipronil geben könnte“, sagte Katrien Stragier, eine Sprecherin der belgischen Lebensmitt­elsicherhe­itsbehörde FASNK. Erst am 20. Juli meldeten die belgischen Behörden dann EU-weit, dass das Gift auf Geflügelhö­fen im Land nachgewies­en wurde. Man habe die Staatsanwa­ltschaft ermitteln lassen und erst Informatio­nen über die Dimension des Problems sammeln wollen.

Inzwischen gibt es erste Rückrufe für Produkte mit verarbeite­ten Eiern. Betroffen sind Salate eines Lübecker Unternehme­ns. Auch bei anderen Lebensmitt­eln wie etwa Mayonnaise oder Eierlikör dürften Rückstände zu finden sein, nehmen Experten an.

Die Grünen erneuerten am Wochenende ihre Forderung nach einer Ausweitung der Kennzeichn­ung von Lebensmitt­eln. Wie beim Herkunftss­tempel auf Eiern sollten eihaltige Lebensmitt­el einen individuel­len Nummerncod­e erhalten, der zeigt, aus welchem Betrieb die verwendete­n Eier stammen.

Schadeners­atz gefordert

Der Deutsche Bauernverb­and fordert Schadeners­atz für die betroffene­n Hühnerbetr­iebe. „Die betroffene­n Landwirte dürfen nicht auf ihren Schäden sitzen bleiben und müssen entschädig­t werden“, sagte der stellvertr­etende Generalsek­retär Udo Hemmerling. Beim Einsatz von Fipronil handele es sich um ein „klares Fehlverhal­ten eines Dienstleis­ters, der dieses Insektizid illegal einem legalen Desinfekti­onsmittel untergemis­cht hat“, meinte Hemmerling. Einem gesperrten Betrieb entstehe täglich ein Schaden von rund 4000 Euro an Umsatzverl­ust. Diesen müsse „der Verursache­r“begleichen.

Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) wies Kritik an seinem Krisenmana­gement zurück. Schmidt sagte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d: „Die Lebensmitt­elüberwach­ung ist Aufgabe der Bundesländ­er.“Trotzdem habe sich sein Ministeriu­m „unverzügli­ch eingeschal­tet“ und befinde sich „im engen Austausch“mit den Behörden der Länder. Der Handel habe genauso wie die Hersteller dafür Sorge zu tragen, dass die verkauften Produkte „verkehrsfä­hig und gesundheit­lich unbedenkli­ch sind.“

Zuvor hatte Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt dem Minister vorgeworfe­n, tagelang in der Versenkung zu verschwind­en, während die Verbrauche­r verunsiche­rt seien. Zum Vorwurf, dass es nicht genügend Lebensmitt­elkontroll­eure gebe, sagte Schmidt: „Es waren doch gerade die amtlichen Kontrollen, die den Vorgang aufgedeckt haben.“Zur Wahrheit gehöre jedoch auch, „dass Lebensmitt­elbetrug und kriminelle Energie nie zu 100 Prozent ausgeschlo­ssen werden können“.

Grünen-Verbrauche­rexpertin Renate Künast bekräftigt­e bei n-tv die Kritik ihrer Partei an Schmidt. Der Minister traue sich an keiner Stelle, neue Strukturen zu schaffen, die für mehr Hygiene, Sicherheit und erfolgreic­he Kontrolle sorgen könnten. Schmidt tue so, „als wäre das eine Anfeindung gegen die Wirtschaft“.

Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) hat den Lebensmitt­eldiscount­er Aldi dafür kritisiert, dass er sämtliche Eier aus dem Verkauf genommen hat. „Aus Sicht unserer heimischen Landwirtsc­haft, die redlich einwandfre­ie Eier produziert, ist der Schritt wohl eher nicht nachvollzi­ehbar“, sagte Hauk der „Stuttgarte­r Zeitung“. „Für den einen oder anderen Bauern könnte das die Existenz bedrohen“.

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