Ende gut, alles gut?
Die letzte Spielzeit von Frank Castorfs „Ring des Nibelungen“bei den Bayreuther Festspielen
BAYREUTH - Im fünften und letzten Jahr von Frank Castorfs Inszenierung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ging in Bayreuth der Premierenzyklus zu Ende. Ende gut, alles gut? Marek Janowski, der 2016 Kirill Petrenko als musikalischen Leiter beerbt hatte, bekam vom „Rheingold“an bis zur „Götterdämmerung“bei jeder Verbeugung langanhaltende Beifallsstürme und Bravorufe zu hören. Castorf, seit 2013 von Anfang an dabei, stellte sich nur nach der „Götterdämmerung“mit seinem Regieteam in stoischer Ruhe vor den Vorhang und ließ die seltsame Mischung von frenetischem Beifallsgetrampel und Buh-Orkanen über sich ergehen.
Es war die 14. Inszenierung in Bayreuth seit der ersten Aufführung im August 1876. Von Anfang an fand diese schrille und provokative Regie eine geteilte Akzeptanz. Genial oder albern? Viele Anspielungen waren einfach nicht auf Anhieb zu verstehen oder wirkten läppisch. Vor allem die zahllosen Videoeinspielungen waren des Guten zu viel und gelegentlich sogar peinlich. Man muss den Mund einer Sängerin nicht in Großaufnahme à la Picasso von der Seite und gleichzeitig von vorne sehen oder eine Sexszene im Detail verfolgen. Ein Videobeweis ist allenfalls im Fußball, nicht aber in der Oper sinnvoll. Wenn die Rheintöchter im „Rheingold“nach ihrem Geplätscher im Swimmingpool vor einem Motel schließlich in der „Götterdämmerung“die Jalousie einer Dönerbude in Drehorgelart permanent vor und zurückdrehen, dann ist das einfach unlogisch.
Auch die gigantischen und in ihrer Art sehenswerten Bühnenbilder von Aleksandar Denic, oft in expressionistisch explosiven Farben, waren für einen Teil des Publikums unpassend. Man will nicht akzeptieren, dass nach dem Niedergang der Götterwelt die Geschichte des Öls erzählt wird und dabei die Orte des Geschehens ins Texas der 1970er-Jahre, nach Aserbaidschan der Zeit Wagners, vor einen kommunistischen Mount Rushmore, mit Liebesduett auf den Berliner Alexanderplatz der Vorwendezeit und an die zunächst in Christo-Art verhüllte New Yorker Wallstreet verlegt werden.
Blenden wir einmal kurz auf den Ring der 1950er-Jahre zurück, als Wieland Wagner, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wurde, inszenierte. Schon damals gab es Buhs, als der Wagnerenkel eine radikale Abwendung von den zeitgebundenen Bild- und Regievorschriften seines Großvaters vollzogen und den Kern der Werke freigemacht hat. Castorf dagegen hat eine Kernspaltung vorgenommen. Wieland hat entrümpelt, Castorf verwirrt mit viel zu viel Ideen. Wieland hat die Werke neu gefasst und verwendet in seiner Betrachtung eine Sammellinse, Castorf verfremdet und nimmt eine Zerstreuungslinse in die Hand. Beim einen gelang ein zeitlos gültiges Werk, beim anderen entsteht Beliebigkeit, eine Sequenz von Happenings.
Phantastisches Orchester
Untadelig sind die feinen Klangbilder, die Marek Janowski zeichnet. Die Dynamikskala reicht vom zarten Pianissimo, das das Ohr kaum noch wahrnimmt und nur vom Herzen verstanden wird, bis zu gewaltigen Klangexplosionen, die nur das phantastische Festspielorchester und der Festspielchor in der unvergleichlichen Akustik des Festspielhauses erzeugen können. Janowski kennt die Wagner-Partituren auf das Genaueste und liebt den stets runden Wohlklang. Er hat ein Faible für flüssige und schnelle Tempi und verblüfft durch seine Sensibilität. Sein „Wotans Abschied“in der „Walküre“, sein „Walkürenritt“, sein „Siegfried Idyll“und sein Trauermarsch in der „Götterdämmerung“bleiben im Gedächtnis verankert.
Von den vielen Vokalsolisten, die in ihren Rollen immer wieder überragende Momente hatten und stets schauspielerisch gefordert waren, sei beispielhaft die Brünnhilde Catherine Foster genannt, die im „Ring“von Anfang an dabei war und bei den Festspielen nach 49 Vorstellungen ihren Abgang hat. Es wäre beckmesserisch, bei ihrer Riesenrolle jeden Ton auf die Goldwaage zu legen.
Nach zwei weiteren Ringzyklen beginnt nun Ende August eine zweijährige ringfreie Zeit. Wie es 2020 weitergeht, da hält sich Katharina Wagner, Festspielleiterin in vierter Generation, noch bedeckt. Sicher ist nur, dass sie selbst 2018 in Leipzig den „Ring“inszeniert.