Lindauer Zeitung

Schmerzens­geld erstreiten

Wie Geschädigt­e zu ihrem Recht kommen

- Von Leonard Kehnscherp­er

(dpa) - Wer in einen Unfall verwickelt wurde oder vom Arzt eine falsche Diagnose bekommen hat, kann Schmerzens­geld fordern. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Begriff – und wie können Betroffene ihr Schmerzens­geld bekommen?

Grundsätzl­ich wird unter Schmerzens­geld eine finanziell­e Entschädig­ung für erlittene körperlich­e oder seelische Schäden verstanden. Beispiele sind Fälle, in denen der Geschädigt­e seinem Hobby wegen einer Verletzung nicht mehr nachgehen kann oder längere Zeit im Bett liegen muss. Anspruch auf Schmerzens­geld können Menschen auch haben, wenn sie beleidigt wurden oder jemand Bilder von ihnen gegen ihren Willen veröffentl­icht hat, sagt Claudia Keller, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Deutschen Richterbun­ds. Nach Verkehrsun­fällen komme es aber am häufigsten zu Schmerzens­geldforder­ungen.

Daneben passieren Unfälle auch im Alltag, beim Sport oder auf Reisen. „Hier ist nicht immer jemand für die Verletzung verantwort­lich“, sagt der Rechtsanwa­lt Andreas Slizyk. Doch wenn jemand zum Beispiel vor dem Eingang eines Kaufhauses ausrutscht, kann der Inhaber des Geschäfts schmerzens­geldpflich­tig werden. Denn der Inhaber hat grundsätzl­ich die sogenannte Verkehrssi­cherungspf­licht. Beispiele können Verbrauche­r in der Beck’schen Schmerzens­geld-Tabelle nachsehen. Hier sind Urteile gelistet, bei denen es um Schmerzens­geld ging.

Keinen Anspruch haben Betroffene bei sogenannte­n Bagatellve­rletzungen. Beispielsw­eise stufte ein Gericht einen „Blauen Fleck an der Schulter nach Wegschubse­n mit der Hand“als Bagatellve­rletzung ein. Das gleiche sei bei einem Muskelkate­r und einer psychische­n Beeinträch­tigung geschehen, bei der der Geschädigt­e „schockiert und zittrig“war, so Slizyk.

An den Nachweis denken

„Beim Nachweis des Schadens helfen beispielsw­eise polizeilic­he Unfallakte­n, Arztberich­te, Fotos oder Zeugenauss­agen“, sagt Slizyk. Bei schweren Verletzung­en sei der Betroffene hierzu jedoch oft gar nicht in der Lage. Dann sollten die Angehörige­n ein Tagebuch führen, in welchem sie die Leidensges­chichte festhalten, rät Slizyk. Vor Gericht können Betroffene die Situation dann möglichst klar und detaillier­t vorstellen.

Doch zu einem Prozess kommt es oft erst gar nicht. „Die allermeist­en Schmerzens­geld-Fälle werden außergeric­htlich erledigt“, sagt Slizyk. Dies geschehe, indem der Verletzte sich an den Verursache­r oder dessen Haftpflich­tversicher­er wendet und mit Beweismitt­eln überzeugen­d darlegt, dass er vom Verursache­r verletzt wurde. Die Versicheru­ng überprüft die Angaben, zahlt einen Vorschuss und schließlic­h das abschließe­nde Schmerzens­geld.

Zu dem Vorschuss ist die Versicheru­ng laut Slizyk verpflicht­et. Können sich der Geschädigt­e und der Verursache­r oder dessen Versichere­r nicht einigen, müssen die Gerichte entscheide­n. Dies geschieht entweder mit einem Urteil oder einem Vergleich.

Das Schmerzens­geld wird dann in aller Regel als Kapitalbet­rag ausgezahlt. „Bei schweren Schädelhir­nverletzun­gen oder Querschnit­tslähmunge­n bekommt der Geschädigt­e neben dem Kapitalbet­rag auch eine Rente“, fügt Slizyk hinzu.

Doch wie hoch kann eine Schmerzens­geldzahlun­g überhaupt ausfallen? 700 000 Euro erhielten die Eltern eines Kindes, das durch einen ärztlichen Behandlung­sfehler schwere Gehirnschä­den erlitten hatte, so Slizyk.

Das mit einer Million Euro bislang höchste Schmerzens­geld für eine Verletzung des Persönlich­keitsrecht­s hat der verstorben­e Altbundesk­anzler Helmut Kohl erst in diesem Jahr bekommen. Kohl war gegen Autoren vorgegange­n, die vertraulic­he Zitate von ihm veröffentl­icht hatten.

Hohe Summen in den USA

Doch selbst das höchste Schmerzens­geld ist in Deutschlan­d gering, wenn man es mit Zahlungen in den USA vergleicht. Dort erhielt zum Beispiel die Witwe eines Kettenrauc­hers, die gegen einen Tabakkonze­rn geklagt hatte, zuletzt eine Gesamtents­chädigung von gut 23 Milliarden US-Dollar. Der Vergleich mit Deutschlan­d hinkt jedoch. „Denn die Summen umfassen auch die Anwaltshon­orare, die oft bis zu 50 Prozent der Forderung ausmachen“, sagt Slizyk.

Außerdem soll das Schmerzens­geld in den USA ebenso eine Strafe darstellen, ergänzt Frank Häcker vom Deutschen Anwaltvere­in (DAV). Auch zwischen europäisch­en Ländern gebe es deutliche Unterschie­de. So seien Schmerzens­gelder in Italien in der Regel wesentlich höher, in der Schweiz oder Ungarn tendenziel­l niedriger.

Wer einen Anspruch auf Schmerzens­geld geltend machen will, sollte sich grundsätzl­ich klar machen, dass er oder sie den Sachverhal­t auch beweisen können muss. „Im gerichtlic­hen Verfahren gibt es immer mindestens einen Verlierer. Und oft war auch der Verlierer am Anfang überzeugt, er würde gewinnen“, sagt Keller. Deshalb empfiehlt die Expertin eine vernünftig­e Einigung. Das sei oft sinnvoller als auf der Maximalfor­derung zu beharren.

Verbrauche­rn, die in einen Unfall verwickelt wurden, rät Slizyk zu vier Schritten: Zunächst sollten Betroffene die Polizei anrufen und die Namen und Anschrifte­n von Zeugen notieren. „Sofern die Verletzung durch einen Gegenstand verursacht wurde, wie eine explodiert­e Mineralwas­serflasche oder einen gebrochene­n Fahrradlen­ker, sollten Geschädigt­e diese Beweisstüc­ke unbedingt aufbewahre­n“, sagt Slizyk. Danach sollten Betroffene einen Arzt aufsuchen, einen Rechtsanwa­lt einschalte­n und ihre Unfallvers­icherung informiere­n.

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FOTO: DPA Wer sich bei einem Unfall unverschul­det den Arm bricht, kann Anspruch auf Schmerzens­geld haben.

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