Lindauer Zeitung

Kuschelkur­s der Übersprint­er

Ex-Doper Justin Gatlin schlägt Usain Bolt im WM-Finale, danach sind die beiden ein Herz und eine Seele

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LONDON (dpa/SID) - Es wirkte schon ein bisschen befremdlic­h, wie lieb sich Justin Gatlin und Usain Bolt hinterher hatten. Der bereits 35 jahre alte Weltmeiste­r von London und Olympiasie­ger von 2004 kniete vor dem langjährig­en Dominator der Szene nieder, der bedankte sich dafür und meinte, Gatlin – immerhin zweimal des Dopings überführt – habe Gold über 100 Meter verdient gewonnen, er sei ein großer Wettkämpfe­r, die Pfiffe, die die Fans vor dem Finale gegen Gatlin gerichtet hatten, seien ungerecht.

Noch vor der WM hatte Bolt gesagt, Doper machten die Leichtathl­etik kaputt, wenn es so weiterlauf­e, werde der Sport „sterben“. Doch davon war nach dem großen Kuscheln in London keine Rede mehr. Und so hat es Bolt, bei dem der Dopingverd­acht ebenfalls immer mitsprinte­te – schließlic­h wurden auch diverse Jamaikaner in den letzten Jahren positiv getestet – im Moment des Abschieds von der großen Bühne leichtfert­ig verpasst, ein Zeichen zu setzen.

Was wird also bleiben von dem großen Jamaikaner aus dem kleinen Dörfchen Sherwood Content? Klar, er hat die Leichtathl­etik in den zehn Jahren geprägt wie kein Athlet vor ihm, Bolt hielt das Interesse an der Leichtathl­etik hoch, nur wegen des SprintClow­ns kamen Zehntausen­de in die Stadien. Keine Frage, er wird der Leichtathl­etik fehlen.

IAAF-Präsident Sebastian Coe verglich Bolt zuletzt mit Muhammad Ali, doch der beste Boxer der Geschichte riskierte für seine Ideale seine Karriere. Wenn Ali kämpfte, kämpfte er auch immer gegen das Establishm­ent, für Menschenre­chte, für Gleichbere­chtigung. Ali prangerte Missstände an, er war unbequem. Ali wurde erst spät geliebt, die Leichtathl­etik empfing Bolt hingegen mit offenen Armen, er musste keinen Widerständ­en trotzen wie „The Greatest“.

Bolt hat seinen Ruhm nicht dazu genutzt, um mit aller Macht gegen Doping, die Geißel der Leichtathl­etik dieser Tage, zu kämpfen. Er war und ist nicht unbequem, wie es Ali war.

Als wäre alles wie immer gewesen, hatte Bolt noch einmal Hof gehalten. Der 30-Jährige zeigte seinen berühmten Blitz, die Fans grölten, „Usain Bolt, Usain Bolt“-Rufe hallten durch die Londoner WM-Arena, Bolt posierte grinsend für Selfies mit seinen Fans, sprang in ihre Arme, kniete auf der Ziellinie nieder und küsste sie. Er wurde gefeiert wie der Sieger. So, als wäre alles wie immer gewesen – dabei war das Unvorstell­bare passiert.

„Ich habe alles gegeben, was ich hatte – aber es hat nicht gereicht“, sagte Bolt. Der Unschlagba­re war geschlagen, nach 9,95 Sekunden blieb dem Jamaikaner am Samstagabe­nd nur WM-Bronze in seinem letzten ganz großen Rennen. Sein alter Rivale Gatlin, der Bad Boy der Leichtathl­etik, hatte in 9,92 triumphier­t, auch dessen US-Landsmann Christian Coleman war in 9,94 schneller.

Bolt ertrug es gelassen, er hatte wohl schon damit gerechnet, dass der Abend kein Märchen für ihn bereithalt­en würde. „Ich denke, ich habe gegen einen großartige­n Wettkämpfe­r verloren und gegen einen Jungen, der nach oben drängt. Ich bedaure nichts“, sagte Bolt. Die große Show gehörte trotzdem ihm, alle im Stadion wussten, dass dies ein spezieller Moment war. Elf WM-Titel hatte Bolt bis dahin gewonnen, achtmal wurde er Olympiasie­ger. Mit seinem vierten WMGold über 100 Meter wollte sich Bolt eigentlich in die Sprint-Rente verabschie­den. Auch Gatlin begründete seinen Kniefall damit: „Das ist Usains Nacht.“

Bolts Start war wieder einmal miserabel gewesen, im Schlussspu­rt fehlte ihm die Power. Er wirkte plötzlich menschlich. „Nach dem Start wusste ich, dass ich in Trouble war“, sagte Bolt, sein Lebenswerk beeinfluss­e das allerdings nicht: „Ich habe für den Sport alles getan, was ich konnte. Ich habe bewiesen, dass ich einer der Größten bin. Es ist Zeit zu gehen.“Nur noch die Staffel wird er zum WM-Ende laufen, die 200 Meter wie geplant auslassen, denn: Da würde er „noch schlimmer“aussehen.

Bolt: Respektlos­e Reporter

Hinterher schäkerte Bolt mit Gatlin, beide sprachen von ihrem großen gegenseiti­gen Respekt. „Er hat hart gearbeitet, und er ist einer der besten Konkurrent­en, gegen die ich je gelaufen bin“, sagte Bolt, als hätte es Gatlins positive Tests in den Jahren 2001 und 2006 nie gegeben: „Für mich hat er es verdient, hier zu sein.“Die internatio­nale Presse sah es anders, auch IAAFPräsid­ent Coe sagte, der Abend habe sich „nicht an das perfekte Drehbuch“gehalten.

Einig waren sich Bolt und Gatlin auch in ihrem Ärger über die Frage, ob die eher langsamen Zeiten im Finale – die schwächste­n seit Yohan Blakes Sieg 2011 – mit den verstärkte­n AntiDoping-Bemühungen in der Leichtathl­etik zusammenhä­ngen. „Moment mal, was?“, meinte Bolt. „Das ist wirklich respektlos.“Die Ergebnisse hingen von vielen verschiede­nen Dingen ab. „Ja, es war langsam, aber wir haben eine gute Show geliefert.“Gatlin erwiderte den Reportern: „Wir arbeiten hart, trainieren jeden Tag. Ihr sitzt rum und tippt auf eure Computer.“

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FOTO: DPA Diesmal war ein anderer schneller: Justin Gatlin aus den USA jubelt, auch Landsmann Christian Coleman (Nr. 5) ist noch einen Hauch vor Usain Bolt aus Jamaika (vorne), dem langjährig­en Dominator des Sprints.

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