Lindauer Zeitung

Schluss mit der dienenden Rolle

Elisabeth Sobotka, Intendanti­n der Bregenzer Festspiele, spricht über Frauen in der Welt der Oper

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BREGENZ - Aida, Turandot, Carmen: Ginge man von den Titeln aus, könnte man meinen, die Oper sei weiblich. Unter Opernmache­rn allerdings geben Männer den Ton an: Regisseuri­nnen, Bühnenbild­nerinnen und Dirigentin­nen sind selten. Woran das liegt, wollte Ingrid Grohe von Elisabeth Sobotka wissen, Intendanti­n der Bregenzer Festspiele.

Frau Sobotka, unter den Verantwort­lichen fürs Programm 2017 finden sich zwei Frauen in Spitzenpos­itionen: Es Devlin, die das Karten-Bühnenbild am See gestaltet hat, und Lotte de Beer, Regisseuri­n der Hausoper „Moses in Ägypten“. Haben Sie – analog zur freiheitsl­iebenden Carmen auf der Seebühne – den Sommer der starken Frauen ausgerufen?

Das Starke-Frauen-Bild von Carmen finde ich verdächtig. Die angeblich starke Frau geht selbstbewu­sst in den Tod. Sie könnte sich aber auch anders entscheide­n und sagen: Das tu ich mir nicht an – einer wie der andere sind’s nicht wert. Als starke Frau empfinde ich eine, die ihren Lebenstrau­m verwirklic­ht – egal, wie der aussieht. Lotte de Beer und Es Devlin sind in diesem Sinn künstleris­ch enorm stark – gerade vor dem Hintergrun­d, dass es Künstlerin­nen bis vor kurzem noch sehr schwer hatten.

Woran liegt das?

Ich denke, dass wir teils noch vom männlich geprägten Genie-Gedanken, mit dem ich groß geworden bin, geleitet werden. Ich selbst falle manchmal drauf rein. Damit meine ich, dass man Machtbewus­stsein mit Genie verwechsel­t.

Ist diese Haltung ein Auslaufmod­ell?

Es haben sich Leitungs- und Führungsid­een verändert. Da spielt das Internet eine Rolle, Wissen ist jetzt Allgemeing­ut. Herrschaft­swissen gibt es nicht mehr. Eine Organisati­on funktionie­rt am besten, wenn sie das Wissen aller bündelt und als Team nutzt. Hierarchis­ches Denken ist unmodern geworden.

Müssen Frauen in der Kunst mehr leisten, um nach oben zu kommen, als männliche Kollegen – wie das in anderen Bereichen oft behauptet wird?

Nein, diese Erfahrung habe ich nicht gemacht. Was in unserem Metier vielleicht noch gilt: dass Frauen sich gern auf die dienende Rolle beschränke­n. Im künstleris­chen Betriebsbü­ro finden sie viel mehr Frauen als Männer. So mitzuwirke­n ist ja auch schön. Ich selbst habe lange gebraucht, bis ich an dem Punkt war, wo ich dachte: Ich will nicht mehr zwei oder drei Herren zuarbeiten, ich will meine eigenen Ideen umsetzen. Dieser Schritt war eine große Befreiung. Er hat meine ganze Arbeitsqua­lität verändert.

Hat das etwas mit Mut zu tun?

Bei mir war es ein bisschen der Mut der Verzweiflu­ng, weil ich in einer schwierige­n Situation war und zugleich wusste: Ich muss arbeiten – weil ich einen Teil meiner Persönlich­keit aus der Beschäftig­ung mit Oper definiere. Ich war damals Operndirek­torin in Berlin und spürte, das hier geht zu Ende.

Sie hatten sehr viel Verantwort­ung, aber nicht komplett freie Hand?

Genau. Und in diesem Muster sind wir Frauen tatsächlic­h oft gefangen.

Haben Sie im Berufslebe­n jemals Diskrimini­erung erlebt?

Ich hatte das Glück, meine erste Leitungsfu­nktion in der ehemaligen DDR zu haben, an der Oper Leipzig. Dort war das kein Thema. Ich war jung und unerfahren – trotzdem hat man mir die Leitung der künstleris­chen Produktion zugetraut. Ich erinnere mich aber auch daran, wie noch in den 1990ern die Wiener Philharmon­iker – nur Männer – geschäumt haben, dass Simone Young sie dirigiert. Für die Musiker war klar: Eine Frau ist keine Künstlerin – wie vermessen von ihr, sich das zuzutrauen!

Sind solche Haltungen ausgestorb­en?

In Amerika und England gibt’s das nicht mehr – bei Frankreich bin ich mir nicht ganz sicher. Im deutschspr­achigen Raum, gerade in Wien, sind gewisse Vorbehalte durchaus noch vorhanden.

Auch Regisseuri­nnen sind in der Unterzahl gegenüber Regisseure­n.

Das ändert sich gerade. Ich weiß noch, wie Ruth Berghaus die einzige war, der man den Ring zugetraut hat. Das ist gar nicht so lange her. Regisseuri­n ist auch ein verdammt harter Beruf mit Kindern. Manche Leute meinen, am Theater muss man immer aus dem Moment heraus arbeiten und kann auf so was wie Kinderbetr­euung keine Rücksicht nehmen. Dabei arbeiten wir auch sonst in Strukturen – manchmal exakt so, wie es die Gewerkscha­ft erlaubt.

In Bregenz hatten vor Ihnen zwei Männer die Intendanz inne. Hatten Sie das Gefühl, man wartet wieder auf einen Mann, als Sie hierher kamen?

Kein bisschen. Das ist hier kein Thema.

Wir haben unser Archiv zum Thema Bregenzer Festspiele durchstöbe­rt und sind nur auf wenige Frauen an vorderster Front gestoßen: Xian Zhang etwa dirigierte 2008 ein Orchesterk­onzert, bei einer Hausoper führte 2006 Phyllia Lloyd Regie, bei der Westside-Story als Spiel auf dem See 2003/2004 war es Francesca Zambello. Welche Frauenname­n werden wir nächstens im Festspielp­rogramm lesen – außer denen der Sängerinne­n?

Nächstes Jahr gibt es eine Bühnenbild­nerin für die Hausoper: Katrin Connan, die im vergangene­n Jahr „Make no noise“auf der Werkstattb­ühne gemacht hat. Dann wollte ich für ein Orchesterk­onzert unbedingt eine Frau. Das wird Carina Kanellakis. Und übernächst­es Jahr kommt eine Regisseuri­n, die darf ich noch nicht verraten.

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Opernmache­rin: Intendanti­n Elisabeth Sobotka hält zurzeit am Bodensee die Fäden in der Hand.
FOTO: ROLAND RASEMANN Opernmache­rin: Intendanti­n Elisabeth Sobotka hält zurzeit am Bodensee die Fäden in der Hand.
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FOTO: MATTHIAS BECKER Lotte de Beer führt bei „Moses in Ägypten“Regie.
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FOTO: MATTHIAS BECKER Es Devlin schuf die Carmen-Bühne.

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