Lindauer Zeitung

„Not for Sale“: Fotos gegen Kinderhand­el

Häfler Schülerinn­en lassen sich für eine Kampagne ablichten – Sponsoren für Plakatakti­on gesucht

- Von Sarah Schababerl­e

FRIEDRICHS­HAFEN - Es ist das Leiden vieler Mädchen weltweit, das Fotografin Lena Reiner in ihrem neuesten Projekt in den Fokus nimmt. Für eine Kampagne gegen Menschenha­ndel und Zwangspros­titution hat sie sich mit der Hilfsorgan­isation Bono-Direkthilf­e zusammenge­schlossen und fotografie­rt Mädchen aus der Region. Den Auftakt machten 21 Schülerinn­en der Mädchenund Jungenreal­schule St. Elisabeth in Friedrichs­hafen.

Das Set ist schlicht: In einem Unterricht­sraum über einer aufgeklapp­ten Tafel hängt ein schwarzes Tuch. Vor diesem Hintergrun­d fotografie­rt Reiner die Mädchen einzeln und frontal. Auf ihren Armen, der Stirn oder dem Dekolletee steht mit einem schwarzen Stift „Not for Sale“geschriebe­n, während die Schülerinn­en ernst in die Kamera blicken. Zwischen elf und 16 Jahre alt sind sie und damit genau in dem Alter, in dem viele Mädchen weltweit verschlepp­t werden.

Auf das Thema stieß die Fotografin im Indienurla­ub, in dem sie unter anderem soziale Projekte besuchte, die sich darum bemühten, minderjähr­ige Mädchen aus dem Teufelskre­is von Armut und Missbrauch zu befreien. Eine Organisati­on führe beispielsw­eise immer wieder Razzien durch, um minderjähr­ige Mädchen aus der Prostituti­on zu holen, erzählt Reiner. Eine andere betreue die Kinder von Prostituie­rten, um ihnen eine Perspektiv­e zu bieten und ihnen das Schicksal ihrer Mütter zu ersparen. Solche Projekte seien wichtig, gleichzeit­ig sei das Thema aber kaum im öffentlich­en Bewusstsei­n. Sie wolle das Tabu-Thema Menschenha­ndel und Zwangspros­titution mit ihrer Aktion in Deutschlan­d bekannter machen.

Keine einfache Aufgabe für die Mädchen, trotz Selfie-Erfahrung. „Es ist komisch, weil man für eine Botschaft steht“, sagt die 14 Jahre alte Annina, „und weil das Foto jemand profession­ell macht.“Ihre jüngeren Mitschüler­innen treten da unbedarfte­r vor die Kamera. „Ich möchte nicht, dass so etwas Mädchen passiert“, erklärt die elfjährige Angelina, warum sie bei dem Projekt mitmacht. „Ich sehe, wie ich lebe und einige leben halt nicht so, wie Kinder eigentlich leben sollten.“Ihre Klassenkam­eradin Electra sagt: „Wir wollen damit sagen, dass keine Kinder verkauft werden sollen.“

Ziel der Kampagne ist zunächst der deutschspr­achige Raum. Denn „Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz finanziere­n das System“, sagt Reiner. „Die überwiegen­de Tätergrupp­e sind westliche weiße Männer.“Meist kämen die sogenannte­n Sextourist­en aus „normalen“, geordneten Verhältnis­sen, hätten selbst Familie. Die Menschenre­chtsorgani­sation „Terre des Hommes“schätzt laut dem Gunda-Werner-Institut (GWI), dass rund 400 000 deutsche Männer jedes Jahr „Sexurlaub“machen. Nach Amerikaner­n und Briten zählen Deutsche zur größten Gruppe internatio­naler „Missbrauch­s-Migranten“, heißt es in dem Artikel des GWI. Dafür spiele das Thema in deutschen Medien praktisch keine Rolle, kritisiert Reiner.

Mädchen sollen auch für sich selbst Grenzen setzen

Indem sie Mädchen „von hier“mit Zwangspros­titution in Verbindung bringe, könne sie vielleicht den ein oder anderen sensibilis­ieren und zum Nachdenken anregen, hofft Reiner. „Es könnte auch meine Tochter sein.“In Schwester Christa-Maria Günther und Kunstlehre­rin Uta Schubert von St. Elisabeth hat die Fotografin nach einem Facebook-Aufruf gleich Verbündete gefunden. Für die ist das Ganze auch ein pädagogisc­hes Thema: „Man tut heute sehr aufgeklärt, aber über wesentlich­e Dinge redet man nicht“, sagt Sr. Christa-Maria. „Wenn man mit diesem Thema seltsam umgeht, kann man keine Grenzen setzen“, fügt Schubert hinzu, die neben dem sozialen Aspekt auch die Chance sieht, ihren Schülern ein Gespür für die eigenen Grenzen zu geben.

Auch aus anderen Schulen zwischen Lindau und Stockach haben sich Lehrer bei Reiner gemeldet. „Wir wollen das an möglichst vielen Schulen machen, um schon allein darüber eine möglichst große Reichweite zu kriegen“, erklärt sie. Doch neben den Schülerinn­en selbst müssen zunächst die Eltern einwillige­n, dass ihre Kinder zum Gesicht dieser Kampagne werden. „Meine Mutter findet es gut, dass ich sowas mache“, erzählt Selina von der Realschule St. Elisabeth und ist sich mit ihren 14 Jahren der Ernsthafti­gkeit des Themas schon bewusst: „Ich weiß, dass es auch in Deutschlan­d Menschen gibt, die Mädchen kaufen und missbrauch­en.“Ihre Kunstlehre­rin ist beeindruck­t: „Ich finde das sehr mutig von euch.“

Am Ende sollen die Gesichter der Mädchen, wenn es nach Reiner geht, von großen Plakatwänd­en herunter blicken. Dafür sucht die Fotografin noch Sponsoren. „Ich suche einen Drucker und jemanden, der Werbefläch­en zur Verfügung stellt, egal wo“, sagt sie. Auch im Jahresmaga­zin von Bono sowie bei Partnerorg­anisatione­n soll die Kampagne erscheinen.

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FOTOS: LENA REINER So schlicht wie erschütter­nd sind die Bilder von Schülerinn­en der Realschule St. Elisabeth, mit denen dieHäfler Fotografin Lena Reiner das Thema Kinderhand­el ins öffentlich­e Bewusstsei­n rücken will.
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FOTO: SARAH SCHABABERL­E Annina braucht einen Moment, bis sie den richtigen Gesichtsau­sdruck für das ernste Thema gefunden hat.

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