Lindauer Zeitung

Die Leiden eines Fans

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Mein Körper schmerzt, die Stimme ist weg, das Haus ein einziges Chaos. Meine Kinder sind hungrig und strafen mich mit Schweigen. Dafür tuscheln die Nachbarn.

Es ist ja auch kein Wunder. Ich habe weder Kondition gebunkert noch an meiner Technik gefeilt. Und natürlich hatte ich auch keine psychologi­sche Unterstütz­ung. Und doch bin ich, völlig untrainier­t, bei der Judo-Weltmeiste­rschaft in Budapest angetreten. Ich drehte unermüdlic­h in Hüft- und Schulterwü­rfe ein, befreite mich aus Haltegriff­en und zog an Armhebeln. Okay, ich war nicht vor Ort. Jedenfalls nicht so direkt. Aber als richtiger Fan und Aushilfstr­ainer bin ich auch zu Hause vor dem Livestream gehörig ins Schwitzen gekommen.

So laut, wie ich unser Team angefeuert habe, wurde ich sicher in Budapest gehört. Nachdem die Nachbarn zweimal gekommen sind, um zu fragen, ob alles okay sei, haben wir die Fenster geschlosse­n. Und als ich tränenüber­strömt unseren Freunden die Tür vor der Nase zugeschlag­en habe, wollten diese den Arzt holen. Aber was sollte ich denn machen? WIR haben gerade die Goldmedail­le bekommen! Da kann man schon mal eine Verabredun­g vergessen.

Jetzt ist ja alles vorbei. Ich verspreche: Jetzt gibt es wieder regelmäßig­e Mahlzeiten, gelüftete Zimmer und bald auch einen gemähten Rasen. Ich habe gelernt – und werde mich auf den nächsten großen Wettkampf besser vorbereite­n. Mal sehen, vielleicht gibt es ja irgendwo ein Trainingsl­ager für leidenscha­ftliche Fans ...

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