„Fünf Maß sind sicher zu viel“
Wiesn-Arzt Wagner hält vor allem das sogenannte Vorglühen für ein Problem
MÜNCHEN - Die Wiesn startet heuer am 16. September. Das Spektakel endet am 3. Oktober und dauert damit einen Tag länger als sonst. Ralf Müller hat sich mit Frithjof Wagner unterhalten. Er ist gewählter Chefarzt beim Kreisverband München des Roten Kreuzes und Mitglied des Führungsteams der Oktoberfest-Sanitätswache.
Sie sind seit 1983 auf dem Oktoberfest tätig, erst als Sanitäter, später als Arzt. Was hat sich in den letzten Jahren auf dem größten Volksfest der Welt aus Ihrer Sicht geändert?
Die Probleme sind eigentlich die gleichen geblieben. Die auf dem Oktoberfest beschäftigten Menschen haben Mückenstiche, Kreuzweh, verbrannte Finger, Handgelenksbeschwerden. Wir versorgen ja auch über 20 000 Beschäftigte, die auf der Wiesn arbeiten und die auf gar keinen Fall krank geschrieben werden wollen. Die kommen zu uns und wir versorgen sie quasi hausärztlich.
Und die fünf bis sechs Millionen Besucher pro Jahr?
Die Gäste sind immer internationaler geworden. Die Australier kamen schon immer, aber zum Beispiel Chinesen sind neu hier. Das sind für die Medizin teilweise andere Herausforderungen. Der Japaner verträgt nicht so viel Alkohol wie der Australier. Das kann man schon sagen.
Wird auf dem Oktoberfest der Droge Alkohol im Übermaß gehuldigt?
Wir hatten ja einen bayerischen Ministerpräsidenten, der zwei Maß für den Konsum freigegeben hat. Das wäre für einen 50 Kilogramm leichten Japaner sicher zuviel. Paracelsus sagt, die Dosis macht das Gift. Ich denke, eine Wiesn-Maß steht sicher noch auf der Genuss-Seite, und fünf Maß sind sicher zu viel.
Ist die Zahl der Alkoholvergiftungen, die Sie registrieren, besorgniserregend? Im letzten Jahr waren es 577.
Insgesamt weisen etwa drei Prozent unserer „Kundschaft“der Oktoberfest-Sanitätsstation Alkoholvergiftungen auf. Das ist eigentlich eine sehr erfreuliche Zahl, wenn man bedenkt, dass fünf bis sechs Millionen Menschen auf die Wiesn kommen. Ein Problem ist, dass junge Menschen auf die Wiesn kommen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten können, und die schon vorher anderes genommen haben als Bier. Viele von denen müssen dann auch ins Krankenhaus.
Es handelt sich also in diesem Bereich im Wesentlichen um Jüngere?
Es geht vom Kind, dass sich die Noagerl (bayerisch für die Reste in den Bierkrügen) zusammenschüttet, bis zum Greis, der nicht versteht, warum er mit 80 nicht mehr so viel verträgt wie mit 20.
Die Wiesn war früher ein klassischer Ort für Maßkrugschlägereien. Landen die Beteiligten immer noch bei Ihnen?
Es gibt ganz wenige Schlägereien. Ich kann mich an die letzten größeren Geschehnisse während des Jugoslawien-Kriegs erinnern. Der wurde ein wenig auch hinter dem Autoscooter ausgefochten. Ansonsten ist es recht friedlich. Die Polizei arbeitet sehr gut und erstickt die meisten Konflikte im Keim.
Aber das war doch nicht immer so?
Ich kann nur sagen: Die meisten Verletzten, die zu uns kommen, sind nicht Opfer von Gewalt. Viele haben sich die Hände beim Anstoßen verletzt, wenn der Maßkrug bricht. Oder sie treten in eine Glasscherbe. Wahrscheinlich ist es auf dem Oktoberfest wesentlich friedlicher als am Stachus.
Was hat sich in den 34 Jahren, in denen Sie auf dem Oktoberfest tätig sind, abgesehen von Ihrem Arbeitsgebiet, noch verändert?
Es ist größer, schneller und lauter geworden, aber doch nicht wesentlich anders. Die Wiesn ist eben ein Spektakel – und das macht ja auch ihren Reiz aus.
Gehen Sie eigentlich privat noch aufs Oktoberfest?
Privat gehe ich mittags auf die Wiesn. Ein Wiesn-Hendl und eine frische Maß Bier gehören ganz klar dazu. Abends gehe ich nur dienstlich auf die Wiesn.