Der vergessene Schädel
Rätsel um Plinius den Älteren vielleicht gelöst
ROM (dpa) - Beharrlich haben ein Militärhistoriker und ein freier Journalist die Geschichte eines antiken Schädels erforscht. Tests einer Anthropologin sollen nun Gewissheit bringen: Handelt es sich um die Überreste von Plinius dem Älteren?
Jahrzehntelang hat der Schädel unbeachtet in einem italienischen Museum gelegen. Sollten sich die Vermutungen der Forscher bestätigen, könnte es sich bei dem Exponat um die Überreste von Plinius dem Älteren (23-79 n. Chr.) handeln.
Plinius ist als Autor der „Naturgeschichte“bekannt. Als Fregattenkapitän mobilisierte er eine Flotte zur Rettung der Überlebenden des Vesuv-Ausbruchs – und wurde in Pompeji selbst ein Opfer der Katastrophe.
„Ich habe 30 Jahre lang daran gearbeitet“, sagt der Militärhistoriker Flavio Russo der Deutschen PresseAgentur. „Wir können nicht vollkommen sicher sein. Aber es gibt viele überzeugende Hinweise, und weitere Tests können uns eine fast definitive Antwort geben.“
Isolina Marota von der Universität Camerino hat ihre Hilfe angeboten. Die Anthropologin, die zuvor die Mumie des berühmten Gletschermannes Ötzi aus Südtirol untersucht hatte, will die Zähne des Schädels unter die Lupe nehmen und mit bekannten Porträts des älteren Plinius abgleichen.
Wissenschaftler können Isotope im Zahnschmelz mit Isotopen im Boden einer bestimmten Region vergleichen. Sollten die Isotope des römischen Schädels mit den Proben von Plinius’ Geburtsort Como übereinstimmen, wäre das Rätsel möglicherweise gelöst.
Sollten die Wissenschaftler die Verbindung bestätigen, wäre der Schädel „der erste (identifizierte) menschliche Überrest aus dem antiken Rom“, sagt der Kunsthistoriker und Journalist Andrea Cionci.
Plinius wurde im Jahr 23 n. Chr. geboren. Die meisten Informationen über sein Leben stammen aus den Briefen seines Neffen Plinius des Jüngeren. Er schrieb, dass sein Onkel am Strand von Stabiae gestorben sei – an den giftigen Gasen des Lava spuckenden Vulkans.
Russo wertet die Taten des älteren Plinius als „allerersten Katastrophenschutz-Einsatz“. Seine Erkenntnisse schilderte er in einem Buch. Er glaubt, dass Plinius entweder von einer Brieftaube oder durch die Rauchzeichen einer Frau namens Rectina gewarnt wurde, bei der es sich möglicherweise um eine Geliebte des Gelehrten gehandelt haben könnte. Daraufhin mobilisierte er ein Dutzend Schiffe, die von rund 2500 Ruderern angetrieben wurden, und rettete damit um die 1000 Menschen – einschließlich Rectina.
Verstaubt im Museum
Die mutmaßlichen Überreste von Plinius wurden im frühen 20. Jahrhundert unter 73 Skeletten entdeckt. Eines von ihnen war von den anderen getrennt und mit wertvollem Schmuck dekoriert worden, darunter eine Goldkette, Ringe und ein Schwert mit Elfenbein und Muschelschalen.
Der Ingenieur Gennaro Matrone, der damals die Grabung leitete, stellte als erster die Verbindung zu Plinius her. Aber ein führender Archäologe sagte ihm, ein römischer Admiral könne nicht als „Kabarett-Tänzerin“verkleidet sein. Später bestätigten Studien, dass solche Dekorationen für Persönlichkeiten von Plinius’ Rang durchaus normal waren. Matrone durfte den Schmuck behalten, den er anschließend verkaufte. Den Schädel schenkte er einem ArmeeGeneral, der ihn später dem Historischen Nationalmuseum für die Kunst der Medizin in Rom übergab.