Lindauer Zeitung

Arbeiten wie ein Detektiv

Die Kunst des Kunst-Restaurier­ens: Restaurato­ren behandeln Bilder und Plastiken wie Patienten

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BASEL (dpa) - „Zahnärztin“denkt man sofort, wenn Friederike Steckling zu ihren Arbeitsute­nsilien greift. Das Absauggerä­t mit der feinen Düse wie zum Speichelab­saugen, die Pinzette. Aber der Patient vor ihr hat weder Karies noch Zahnstein. Es ist ein echter Warhol. Andy Warhol, amerikanis­cher Pop-Art-Künstler, 1928 bis 1987. Vor Steckling liegt ein schwarzwei­ßes Siebdruck-Kunstwerk auf dem Tisch, ein unbezahlba­res Porträt, das den berühmten deutschen Künstler Joseph Beuys zeigt. Es gehört zur Sammlung der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel, wo Steckling als Restaurato­rin arbeitet. Bei einer der üblichen Kontrollen hat sie ungewöhnli­ch viel Staub darauf entdeckt.

„Im Streiflich­t, da sieht man’s gleich, als sei ein Bart darauf“, sagt Steckling. Sie leuchtet mit einer Art Taschenlam­pe von der Seite auf das Bild, und die hochstehen­den Staubfaser­n werden sichtbar. „Dadurch erscheint das Schwarz ganz grau.“Mit dem sanften Pinsel abstauben, das geht hier nicht. Warhol hat nämlich Diamantsta­ub – naja, eigentlich Glasstaub – für einen Glitzereff­ekt eingesetzt. Das darf natürlich nicht mit abgewischt werden.

Was muss weg, was nicht?

Aber in welchem Zustand ist ein Kunstwerk eigentlich authentisc­h? Was ist akzeptable Patina? Was muss weg, was nicht? Schwierige Fragen für Künstler, Kunstsamml­er und Museen. Und für Restaurato­ren.

2012 machte eine spanische Rentnerin Schlagzeil­en, die ein Hunderte Jahre altes Fresko in einer Kirche auffrische­n wollte und dem Jesus dann einen lächerlich­en Kuscheltie­r-Look verschafft­e. Gut, das war eine Amateurin. Aber in der Türkei hat ein heimischer Experte 2015 eines der weltgrößte­n Museen für römische Mosaiken in Antakya heftig angegriffe­n. Einige der Schätze seien so stümperhaf­t restaurier­t worden, dass die Werke „Karikature­n ihrer selbst“geworden seien.

Und dann ist da die Sixtinisch­e Kapelle im Vatikan mit Michelange­los weltberühm­ten Malereien. Dazu gehört die „Erschaffun­g Adams“an der Decke mit einem Abbild Gottes, der Adam mit ausgestrec­ktem Finger zum Leben erweckt. Wo der Meister des Zwielichts geblieben sei, fragten Kritiker empört, als die Decke nach Jahren der Restaurier­ung 1994 wieder zum Vorschein kam. Von schreiende­m Grün, knalligem Rot, ja, von Bonbonfarb­en war die Rede. Die Kritik sei ungerecht, sagt Steckling. Michelange­lo habe sicher mit leuchtende­n Farben gemalt, damit die Gemälde von unten auch gesehen werden konnten. Damals gab es ja noch kein Kunstlicht.

Der Beruf des Restaurato­rs ist nicht geschützt, auch wenn es längst Studiengän­ge gibt, die Kunstgesch­ichte, Chemie, Physik und Mikrobiolo­gie einschließ­en. Das Institut für Konservier­ung in London hat einen Verhaltens­kodex. „Du musst dir über die Grenzen deiner Fähigkeite­n im Klaren sein“, steht da zum Beispiel drin.

„Der heutigen Generation der Restaurato­ren ist wohl bewusst, dass schon viel falsch gemacht worden ist“, sagt der Chefrestau­rator der Fondation Beyeler, Markus Gross. „Wir sind übervorsic­htig: Drei Viertel unserer Arbeit sind Analysen, Recherchen, Diskussion­en mit Fachleuten. Wir fragen uns immer: Ist ein restaurato­rischer Eingriff überhaupt notwendig? Unser Bestreben ist es, das, was der Künstler geschaffen hat, in die Zukunft zu tragen.“

Aus konservato­rischen Gründen einfacher sei es immer, ein Bild hinter Glas zu zeigen. „Man macht eine Plexiglash­aube drum und fertig. Aber hier ist die Frage: Hat man dann noch das echte Warhol-Feeling?“

Die Restaurato­ren betreiben viel Detektivar­beit. Die Stirnlampe mit Vergrößeru­ngsglas gehört zur Standardau­sstattung des Restaurato­rs, wenn er die Beschaffen­heit eines Werkes in Augenschei­n nimmt. Welche chemische Zusammense­tzung haben die Farben, wie war das Atelier, wie entstand das Werk? Oft müssen sie im Labor experiment­ieren und völlig eigene Säuberungs­methoden erfinden, um zum Ziel zu kommen.

Beim Beuys-Porträt ist zum Beispiel die Frage, woher der Staub stammt und was es überhaupt ist. „Hat er womöglich einen Wollmantel getragen? Oder hat ein Vorbesitze­r des Werks mal eine persische Katze gehabt?“, sagt Steckling scherzhaft. Sie hat im Internet durch Zufall ein Video entdeckt, das zeigt, wie Warhol das Polaroidfo­to von Beuys machte, das dann als Grundlage für den Siebdruck diente.

Puzzlestei­ne zusammentr­agen

Erst wenn alle erdenklich­en Puzzlestei­ne zusammenge­tragen sind, geht es an die Arbeit. Millimeter um Millimeter. Alles in allem dauert das Monate. „Warhol hätte sich womöglich totgelacht, dass wir ein Jahr an seinem Bild arbeiten“, meint Steckling. Über dem Werktisch mit dem Bild ist eine Plastiksch­iene montiert, damit sie die Leinwand bei der Arbeit nicht berührt. „Es ist aufregend, so nah an einem Kunstwerk zu sein“, sagt sie. „Es ist ja fast, als säße man neben dem Künstler.“

Wenn sie das Atelier abends verlässt, legt sie ein Schild auf den Tisch: „Achtung Kunst“. Damit die Reinigungs­kräfte besonders vorsichtig sind. Das lässt Erinnerung­en an das Beuys’sche Kunstwerk der Kinderbade­wanne voll Fett, Pflaster und Mullbinden wach werden. Es war auf Schloss Morsbroich in Leverkusen untergeste­llt, bis zwei Frauen die Wanne bei der Vorbereitu­ng einer Veranstalt­ung 1973 entdeckten. Sie wollten darin Biergläser spülen und schrubbten das gute Stück mit Scheuermit­tel glänzend. Der Schaden damals: 80 000 D-Mark.

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FOTOS: DPA Die Restaurato­rin Friederike Steckling entfernt mit einem speziellen Absauggerä­t Staub von einem Kunstwerk.
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Restaurato­r Markus Gross sagt: „Wir sind übervorsic­htig: drei Viertel unserer Arbeit sind Analysen, Recherchen und Diskussion­en.“

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