Lindauer Zeitung

Das Paradies, das die Hölle ist

„Mother!“von Darren Aronofsky ist ein Überhorror­film mit einer aus der Zeit gefallenen Frauenfigu­r

- Von Rüdiger Suchsland

Mit dem Catcherfil­m „Wrestler“gewann der New Yorker Darren Aronofsky 2008 den Goldenen Löwen von Venedig. Sein neuer Film „Mother!“wurde vergangene Woche am gleichen Ort ausgebuht. Jetzt kommt das harte Horrorstüc­k in die deutschen Kinos. Die Titelrolle spielt Jennifer Lawrence, neuerdings auch Aronofskys Lebensgefä­hrtin.

Der Schauplatz ist ein sehr altes, ziemlich herunterge­kommenes Haus, dessen Abgelegenh­eit sofort spürbar ist. Es ist umgeben von Wald und hohem Gras, man hört Grillen zirpen und ist im Nu drin, im Southern Gothic, jener amerikanis­chen Südstaaten-Variante viktoriani­scher Horror-Geschichte­n. Dieses Haus wird schnell lebendig, es knarzt und knirscht an allen Ecken; es besitzt verborgene Gänge, die sich plötzlich auftun, es gibt Löcher, aus denen manchmal eine blutähnlic­he Flüssigkei­t tropft und quillt. Irgendwas scheint da auch hinter einer Wand zu liegen.

In dem riesigen Gebäude leben nur zwei Personen: Eine Frau (Jennifer Lawrence) und ein Mann (Javier Bardem). Die Frau bezieht sich in all ihrem Tun eigentlich nur auf den Mann, dauernd blickt sie zu ihm hin, auf ihn, nach Feedback gierend. Und dem Mann gefällt es, so eine kleine, ihm hörige Abhängige vor sich zu haben.

Eigennamen tragen diese beiden Hauptfigur­en bis zum Ende keine. Im Abspann heißt sie „Mother“(also „Mutter“) und er „Him“, also „Er“, großgeschr­ieben, wie einst Gott in der Bibel. Auch das beweist, wie so ziemlich alles in diesem Film, dass Regisseur Darren Aronofsky nach dem Höchsten zielt. Er erzählt nicht von Menschen, sondern, mindestens, von Archetypen.

Bald kommt Besuch von einem Fremden. Der Hausherr, „Er“, pflegt sofort vertrauten Umgang mit dem „Mann“(so die Bezeichnun­g des von Ed Harris gespielten Besuchers). Er darf gleich über Nacht bleiben. „Er“ ist der Boss und macht, was „Er“will. „Mutter“ist davon genervt: „Er ist doch ein Fremder. Und Du lässt ihn in unserem Haus wohnen?“Zumal der Fremde die ganze Zeit schrecklic­h hustet und trotz Verbot auch im Haus raucht. Am nächsten Tag kommt auch „Frau“(gespielt von Michelle Pfeiffer. Dass man ihr einmal wieder auf der Leinwand begegnet, ist einer der wenigen Lichtblick­e in diesem Film). Wie selbstvers­tändlich zieht sie auch ein. Auch sie ist übergriffi­g, benimmt sich nicht wie ein Gast.

„Mutter“muss derweil immer arbeiten, sie will das Haus herrichten, schöner machen, perfekt. „Es soll ein Paradies werden.“Damit „Er“arbeiten kann. Denn „Er“ist nicht einfach der Boss, sondern ein von sich selbst überaus eingenomme­ner Schriftste­ller-Narziss. Jennifer Lawrence spielt die unbedarfte neue Frau dieses Künstlers, der zuvor seine Familie offenbar in einem schrecklic­hen Feuer verloren hat. Sie soll seine Muse sein – das ist wohl auch nötig, denn er hat Schreibblo­ckade und ist sexuell impotent.

Prinzip Eskalation

Alles eskaliert. Eskalation ist überhaupt das Prinzip dieses Films, wie vielleicht aller Filme Aronofskys. Die trashigen Horroreffe­kte häufen sich, passen aber nicht unbedingt zusammen: Ein fieses Etwas gluckst im Klo. „Er“nagelt die Tür zu seinem Schreibzim­mer zu. Die zwei Söhne von Mann und Frau kommen auch ins Haus. Innerhalb von fünf Minuten ist der eine vom anderen erschlagen.

Dann haben „Mutter“und „Er“Sex. Am nächsten Morgen wacht sie auf: „Ich bin schwanger.“Und er kann wieder schreiben (also zeugen).

Alles wird zunehmend hysterisch­er, eskaliert bald endgültig: Schnell kommen Fans von ihm, aus wenigen werden Massen, sie dringen in die Wohnung ein, nehmen alles auseinande­r. Aus den Fans wird eine Art Sekte. Gewaltbere­ite Massen. In der Folge dreht „Mutter“dann kaum überrasche­nd endgültig durch.

Formal zieht Aronofsky im Lauf des Films alle Register verschiede­nster Horrorgenr­es: Eindringli­ngs-, Verwünscht­es Haus-, Wahnpsycho­se-, Kannibalis­mus- und Satanismus-Genre wechseln im Minutentak­t. So ist dies ein Überhorror­film, von allem zuviel, mit nervtötend­er Kamera, die konstant an Lawrence' Gesicht klebt. Aber Horrorthri­ll will beim Zuschauer nicht aufkommen. Natürlich zitiert der New Yorker Regisseur überdeutli­ch Polanskis „Ekel“und „Rosemarys Baby“– aber er kann es einfach nicht richtig.

Was für ein primitiver, hässlicher, zugleich hysterisch­er Film! Und was für eine verdrießli­che, dumpfe Botschaft: Denn im Kreislauf aus Apokalypse und Wiedergebu­rt steckt die peinliche Story eines Künstlers, der nichts als sein Werk ernst nimmt, und für jedes neue Buch eine neue Frau und Muse verschleiß­t. Und Lawrence’ Muttermuse, die ständig bewundernd zum Gatten blickt und ihm ein Paradies bereiten und ein Kind schenken will, ist eine komplett aus der Zeit gefallene Frauenfigu­r.

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FOTO: PARAMOUNT PICTURES/DPA Javier Bardem und Jennifer Lawrence in dem hysterisch­en Überhorror­film „Mother“von Darren Aronofsky.

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